Donnerstag, Oktober 10

Rund 36 000 Asylsuchende wohnen derzeit in britischen Hotels, die während der jüngsten Unruhen Zielscheiben von Gewalt wurden. Nun will die Labour-Regierung die teuren und umstrittenen Asyl-Hotels schliessen.

Auf den ersten Blick wirkt das Hotel Holiday Inn Express in Crawley in der südenglischen Grafschaft Sussex verlassen. Auf dem Parkplatz steht kein einziges Auto, die Türe ist geschlossen, und die Vorhänge der meisten Fenster sind zugezogen. Auf einer kleinen Mauer sitzen zwei Männer, die eine Zigarette rauchen. In gebrochenem Englisch erzählen sie, sie stammten aus Eritrea, seien mit einem Boot über den Ärmelkanal gelangt und wohnten seit einigen Monaten im Hotel, das als Unterkunft für Asylsuchende dient.

Nach wenigen Minuten stürmt ein Wachmann aus dem Gebäude und beendet das Interview abrupt. Weitere Hotelangestellte eilen herbei, schicken die beiden Eritreer ins Hotel zurück. Sie betonen, zur Sicherheit der Asylsuchenden seien Medieninterviews auf dem Grundstück nicht gestattet. «Wir haben die Vorsichtsmassnahmen erhöht nach allem, was in den letzten Wochen geschehen ist», erklärt einer und verweist für alle weiteren Fragen ans Innenministerium.

Asylsuchende statt Reisende

Die Nervosität überrascht nicht. Im Zuge der Unruhen in englischen Städten waren mehrere Hotels, die als temporäre Unterkünfte für Asylsuchende dienen, zur Zielscheibe von Angriffen geworden. In Rotherham versuchten rechte Krawallmacher gar, ein Hotel in Brand zu setzen. Im Internet kursierten Anfang August auch Aufrufe zu Protesten vor dem «Holiday Inn Express» in Crawley. Am Ende aber reisten Hunderte Gegendemonstranten aus der linken Hochburg Brighton an und versetzten die rechten Protestierenden in die Minderheit.

Crawley ist kein Touristenmagnet, sondern eine unscheinbare südenglische Ortschaft. Sie liegt verkehrstechnisch gut an der Autobahn- und der Zugstrecke zwischen London und Brighton. Zudem hat der nahe gelegene Flughafen Gatwick Firmen in den Bereichen Aviatik, Logistik oder Lagerung angezogen. Auch das Hotel Holiday Inn Express war bis zu seiner Umnutzung auf den nur zehn Autominuten entfernten Flughafen ausgerichtet. Passagiere verbrachten hier eine Nacht vor einer frühen Flugverbindung. Handwerker stiegen hier für temporäre Arbeitseinsätze am Flughafen ab.

Dass nun stattdessen Asylsuchende in den Zimmern logieren, löst bei der Lokalbevölkerung keine Begeisterung aus. «Wenn die jungen Männer in Gruppen ausgehen, stört mich das», sagt die 62-jährige Indira Jagan, die in einem Wohnblock gleich neben dem Hotel wohnt. «Ich bin selber Migrantin und weiss, dass man sich anpassen muss», erklärt sie. Die aus dem westafrikanischen Mauritius stammende Frau hat lange in Italien gelebt und die dortige Staatsbürgerschaft erlangt, bevor sie vor sieben Jahren vor dem Vollzug des Brexits nach Grossbritannien ausgewandert ist. Nun arbeitet sie als Reinigungskraft in einem Krankenhaus des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS).

Die Krawalle der letzten Wochen haben Jagan verunsichert, wobei sie betont, dass sie persönlich in Crawley bisher nie offenen Rassismus erlebt habe. Sie versteht aber, dass die Unterbringung von Asylsuchenden im Hotel Verärgerung auslöst. Die jungen Männer aus dem Hotel träten in Gruppen auf, rauchten trotz Verbot an der Bushaltestelle und nähmen das ganze Trottoir in Anspruch.

Gutes Geschäft für Hoteliers

Die Nutzung von Hotels als Asylunterkünfte begann während der Corona-Pandemie. Im Auftrag der britischen Regierung mieteten Agenturen Zimmer in unrentablen Hotels, die wegen der ausbleibenden Touristen kaum Buchungen aufwiesen. Die Hoteliers konnten zwar nicht den vollen Preis verrechnen, machten aber ein gutes Geschäft dank der garantierten Vollbelegung und Kostensenkungen, da beispielsweise die Zimmer nicht täglich gereinigt werden mussten. Auch die Vermittler strichen saftige Gewinne ein.

Dass die Notlösung nach dem Ende der Pandemie weitergeführt wurde, hat mehrere Gründe. Das Innenministerium hatte mit weniger Asylsuchenden gerechnet und daher nicht genügend Behausungen bereitgestellt, weshalb im letzten Jahr 400 Hotels als Asylunterkünfte genutzt wurden.

Zudem sind die Behörden bei der Behandlung von Asylgesuchen hoffnungslos im Verzug. Eine 2023 in Kraft getretene Gesetzesrevision besagt, dass über den Ärmelkanal gelangte Migranten in Grossbritannien kein Recht auf ein Asylverfahren mehr haben und stattdessen nach Rwanda ausgeschafft werden sollen. Da dieser Rwanda-Plan nie umgesetzt werden konnte, steckten die betroffenen Personen in einer rechtlichen Grauzone fest – und verblieben oft in den Hotels.

Gemäss den letzten offiziellen Daten waren im März 2024 knapp 36 000 Asylsuchende in Hotels untergebracht. Im letzten Jahr schlugen die Kosten dafür mit 3,1 Milliarden Pfund zu Buche, was etwa 8 Millionen Pfund pro Tag entspricht. Damit verschlang die Unterbringung in Hotels rund zwei Drittel der gesamten staatlichen Ausgaben für die Betreuung von Asylsuchenden.

Labour will Asyl-Hotels schliessen

Genutzt werden in der Regel Hotels in ärmeren Regionen im Norden Englands oder in Flughafengemeinden wie Crawley, wo die Zimmerpreise eher tief sind. Die Asyl-Hotels befeuern den Unmut vieler Anwohner, die unter den steigenden Lebenshaltungskosten leiden und sich oft keine Ferien in einem Hotel leisten können. Über das Asyl-Hotel in Crawley ärgert sich auch der Lokomotivführer Steve, der nur seinen Vornamen nennen möchte. «Die Situation ist absolut lächerlich», ruft er aus.

Der Mittfünfziger betont, dass er nicht grundsätzlich gegen Migration sei. Doch habe die Einwanderung ein zu hohes Ausmass angenommen. Steve sagt, er wohne seit 16 Jahren in der Nachbarschaft des «Holiday Inn Express». Seit dieses keine Handwerker und Touristen mehr beherberge, beklagten sich die Besitzer von Restaurants und Pubs in der Umgebung über Umsatzeinbussen.

Negative Folgen machen auch die Behörden von Crawley geltend. Während Gemeinden vor dem Bau von permanenten Asylunterkünften konsultiert werden müssen, haben sie bei der Nutzung von Asyl-Hotels kein Mitspracherecht. Eine Sprecherin der Gemeindeverwaltung erklärt auf Anfrage, Crawley leide ohnehin unter einem akuten Mangel an Sozialwohnungen. «Wenn Hotel-Bewohner Asyl erhalten, ziehen sie aus und bitten oft die Gemeinde um Unterstützung», sagt die Sprecherin. «Das verschärft die Wohnungsnot.»

Die neue Labour-Regierung von Keir Starmer hat versprochen, in den nächsten zwölf Monaten alle Asyl-Hotels zu schliessen. Nach der Beerdigung des Rwanda-Plans will sie den Bootsmigranten wieder ein ordentliches Asylverfahren gewähren und die Pendenzen so abbauen. Prioritär behandelt werden sollen Gesuche von Menschen aus Indien, Vietnam oder Albanien, die kaum je Asyl erhalten und rasch in ihre Heimat abgeschoben werden sollen. Zudem will die Labour-Regierung die Asylsuchenden besser im Land verteilen, so dass nicht nur ärmere Gegenden Unterkünfte beherbergen müssen.

Eine konzise Strategie zur Reduktion der Migration über den Ärmelkanal hat Starmer aber bisher nicht erkennen lassen. Allein am letzten Sonntag gelangten in elf Booten über 700 Migranten nach England. Viele Beobachter gehen davon aus, dass dieses Jahr die bisherige Rekordzahl von 45 000 Überfahrten von 2022 übertroffen werden könnte.

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