Donnerstag, November 28

Neben Tadej Pogacar und Remco Evenepoel sind die einheimischen Radprofis im Strassenrennen am Sonntag klare Aussenseiter. Warum der Nationaltrainer Michael Albasini dennoch optimistisch ist.

Wenige Minuten nach dem Start des WM-Strassenrennens in Winterthur werden die Fahrer am Sonntag das 600-Einwohner-Dorf Berg am Irchel passieren. Ein besonderer Moment für Johan Jacobs, weil den Radprofi in seiner Heimatgemeinde eine von Schulfreunden und Verwandten orchestrierte Fankurve erwartet. Was noch unvergesslicher werden könnte, falls er dann vor dem Feld her jagt.

Der Schweizer Nationaltrainer Michael Albasini sagt, die Chance sei hoch, dass Jacobs in der frühen Ausreissergruppe mitfahre. Genau dafür hat er ihn nominiert: «Gibt es zu Beginn einen offenen Schlagabtausch, würde ich Johan gerne auf den Weg schicken.»

Die Strecke bemisst stolze 273,9 Kilometer, noch länger war der Kurs an der Strassenrad-WM zuletzt 1988. Alleine siebenmal ist die hügelige, kräftezehrende Schlussrunde zwischen Zürcher Innenstadt, Greifensee und Goldküste zu bewältigen. Dass eine Ausreissergruppe durchkommt, die sich bereits in Berg am Irchel gebildet hat, ist äusserst unwahrscheinlich.

Ist es also Harakiri, Jacobs so früh «auf den Weg schicken» zu wollen? Nicht unbedingt. Andere Teams würden gezwungen, im Feld zu arbeiten, während sich die Schweizer schonen könnten. Und Jacobs wäre später in der Lage, in die Helferrolle wechseln, falls ein Landsmann zu ihm aufschliesst.

Eigentlich ist die Ausgangslage schwierig: Die grossen Favoriten heissen am Sonntag Tadej Pogacar und Remco Evenepoel. Sie zu schlagen, erwies sich zuletzt in vielen Rennen als Ding der Unmöglichkeit. Und doch ist dem Schweizer Nationalcoach im Gespräch im Klotener Teamhotel die Vorfreude aufs Heimrennen anzumerken: Er wirkt auffallend optimistisch.

Völlig unberechtigt ist das nicht. Auch das Schweizer Spitzentrio, bestehend aus Marc Hirschi, Stefan Küng und Mauro Schmid, ist in Form. Hirschi gewann zuletzt fünf Eintagesrennen in Folge, Küng triumphierte an der Vuelta im Zeitfahren, Schmid erkämpfte sich dort nach Hunderten Kilometern in Fluchtgruppen zwei zweite Plätze und einen vierten Rang.

1998 gewann Oscar Camenzind in ähnlicher Konstellation

«Drei Schweizer auf ähnlichem Niveau, die alle den Unterschied machen können», sagt Albasini, «das war zuletzt 1998 der Fall.» Damals traten Oscar Camenzind, Beat Zberg und Niki Aebersold für die Schweiz an. Camenzind wurde Weltmeister, obwohl seinerzeit kaum jemand mit ihm rechnete, und Albasini sagt: «Ich hoffe, das ist ein gutes Omen.»

Der Trainer will Küng und Schmid mitgeben, dass sie möglichst nicht warten sollten, bis Pogacar oder Evenepoel auf einer der sieben Schlussrunden das Tempo forcieren. Auf die scharfen Attacken der Überflieger reagieren zu wollen, wäre für sie tatsächlich Harakiri. Das Ziel lautet also, diese zu antizipieren. Ideal wäre für Albasini, wenn die Stars nach ihrem erwarteten Angriff erst zu einer Gruppe mit Küng oder Schmid aufschliessen müssten. Nach einem Zusammenschluss könnten die Schweizer dann durchaus dranbleiben, so der Coach.

Irgendwo auf der Schlussrunde, etwas ausserhalb von Zürich, wird Küngs belgischer Fanklub am Sonntag seine 4,2 Meter hohe, eisenumrahmte Styroporskulptur aufstellen, die schon in anderen Rennen zu sehen war. Dass der echte Küng in Führung liegend an seinem Imitat vorbeirast, scheint durchaus möglich.

Auch dem Zürcher Mauro Schmid dürfte es am Streckenrand nicht an Unterstützung mangeln, zumal er sich im Vorfeld besonders optimistisch gab. Bereits im Juni sagte der 24-Jährige: «Die WM-Strecke ist extrem gut auf mich zugeschnitten. Wenn ich in guter Verfassung ankomme, wird es ein gutes Rennen für mich.»

Marc Hirschi findet zu seiner Form von 2020 zurück

Frühe Offensiven der Teamkollegen Küng oder Schmid könnten helfen, dass der Dritte im Bunde vergleichsweise unbehelligt ins Finale kommt. Hirschi solle Kräfte sparen, solange es ihm möglich sei, lautet Albasinis Vorgabe. Denn er sei am ehesten in der Lage, explosive Tempoverschärfungen zu kontern. «Marc hat seinen Killerinstinkt wiedergefunden», so der Coach. Er agiert wieder ähnlich selbstbewusst wie 2020, in seiner bisher besten Saison.

Die Fahrer zelebrieren im Vorfeld Harmonie. «Bei uns ist es egal, wer das Resultat einfährt», sagt Küng. «Alle haben eine Chance.» Es gelte, Rennsituationen zu schaffen, in der andere reagieren müssten. Im Finale werde man sich gegenseitig fragen, wer sich noch gut fühle – und diesen dann unterstützen.

Trotz allem Optimismus gibt Albasini zu: «Es wird schwierig, Pogacar im Zaum zu halten.» Zumal die WM für die Schweizer durchwachsen begonnen hat. Am Sonntag blieb Küng im Zeitfahren unter seinem Potenzial, am Mittwoch enttäuschte Jacobs im Teamwettbewerb. Die von Küng propagierte Geschlossenheit ist der beste Trumpf der Schweizer.

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