Mittwoch, Februar 12

Firmen wie SGS testen alles, was wir kaufen, essen und trinken. Jetzt will der führende Warenprüfkonzern profitabler werden – und das passe nicht zur Zentrale in Genf, heisst es.

Früher brauchte SGS einen Weltkrieg als Grund für einen Umzug. Heute reicht das liebe Geld. SGS ist ein Schweizer Milliardenkonzern und Weltmarktführer – aber ziemlich unbekannt, weil sie nicht im Rampenlicht, sondern hinter den Kulissen des Welthandels tätig ist. SGS prüft Dinge aller Art, seien es Wasserproben, Elektrogeräte oder Schiffsladungen.

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Im Jahr 1915 siedelte die Société Générale de Surveillance von Frankreich nach Genf um, um Schutz unter dem Dach der Schweizer Neutralität zu suchen. 110 Jahre später will SGS wieder umziehen – denn noch besser als Neutralität ist Neutralität zu einem kleineren Preis. Der Konzern gibt die Zentrale an der repräsentativen «1 Place des Alpes» in feinster Genfer Lage auf.

Schon Ende Jahr will SGS nach Zug ziehen

Ziel ist das steuerfreundliche Zug. So schwebt es der CEO Géraldine Picaud vor. Zug ist weniger mondän als Genf, aber auch weniger teuer, wie die frühere Finanzchefin des ebenfalls dort ansässigen Zementriesen Holcim bestens weiss. Ausserdem eignet sich die Genfer Zentrale, eine Mischung von historischem Altbau und gläsernem Neubau von der Grösse eines ganzen Häuserblocks, laut Picaud nicht mehr.

Der Hauptsitz im noblen Pâquis-Viertel stehe weitgehend leer, erklärte die Chefin am Dienstag gegenüber Journalisten. Mit über 12 000 Quadratmetern Fläche sei er viel zu gross für die dort beschäftigten 150 Mitarbeiter. Es brauche nur 2000 bis 3000 Quadratmeter. Alle Arbeitsplätze blieben in Zug erhalten.

«Wir müssen unsere Assets produktiv einsetzen. Derzeit ist die Zentrale nicht das beste Beispiel dafür», so Picaud. Ende März soll der Ortswechsel den Aktionären vorgeschlagen werden, schon Ende Jahr wird im besten Fall umgezogen – «so schnell wie möglich», wie die Konzernleiterin sagt.

Das ist typisch für Picauds Herangehensweise. Erst seit Ende März 2024 ist sie im Amt und trimmt SGS seither auf Effizienz und Wachstum. Dafür wurde die Chefin am Dienstag mit einem Kursplus der SGS-Aktien von zeitweilig mehr als 7 Prozent belohnt. Der Konzern meldete für das vergangene Jahr eine Umsatzsteigerung um knapp 3 Prozent auf 6,8 Milliarden Franken. Ohne die starke Heimatwährung wäre das Wachstum sogar fast drei Mal so hoch ausgefallen.

Besonders die Profitabilität beeindruckte die Analysten. Der Betriebsgewinn (Ebit) kletterte um knapp 6 Prozent auf 904 Millionen Franken. Picaud verschlankt die Abläufe und die Länderstruktur des Riesen mit weltweit fast 100 000 Mitarbeitern. Warentests und Inspektionen von Ladungen erfordern viel Personal. Der Markt wächst, denn die Dichte an Regulierungen, die Unternehmen mit ihren Produkten einhalten müssen, nimmt weltweit zu. Aber auch ohne Vorschriften steigen die Qualitätsansprüche, etwa in der Lebensmittelproduktion.

Zu riskante Übernahme von Bureau Veritas

In diesem positiven Umfeld will SGS überproportional an Gewicht zulegen. Dafür hatte Picaud einen Paukenschlag geplant, der noch lauter gewesen wäre als der Abzug aus Genf: eine Fusion mit dem französischen Konkurrenten Bureau Veritas, dem zweitgrössten Anbieter von Tests, Inspektionen und Zertifizierungen.

Im Januar wurde bekannt, dass die beiden Firmen über eine Fusion verhandeln. De facto wäre es eine Übernahme durch die etwas grössere SGS gewesen. Für Bureau Veritas erwarten Analysten 2024 einen Umsatz von umgerechnet 5,8 Milliarden Franken. In den vergangenen Jahren wuchsen die Franzosen aber dynamischer als die Schweizer.

Allerdings wurden die Gespräche ergebnislos beendet. Die Risiken waren für beide Seiten zu gross. Das erscheint verständlich in einer Branche, wo sich alles um sichere Ergebnisse dreht: Es wurde noch nie geprüft oder getestet, ob dort eine Fusion dieser Grössenordnung funktionieren kann. Entstanden wäre ein globaler Gigant mit 180 000 Mitarbeitern in über 120 Ländern und manchen Überlappungen.

Diesen Grosskonzern neu zu organisieren, hätte lange dauern können – bei ungewissem Erfolg. Auch die «Fusionen unter Gleichen» von Holcim und Lafarge oder Daimler und Chrysler wurden seinerzeit von anhaltenden Querelen begleitet. Irgendwann wird die Komplexität zu gross, so die Befürchtung. Eine Fusion von SGS und Bureau Veritas wurde in den vergangenen 20 Jahren immer wieder diskutiert, aber nie umgesetzt.

Es gibt genug andere Kaufobjekte

Bureau Veritas sei ein formidables Unternehmen, sagte Picaud, und eine Fusion hätte viele Vorzüge gehabt. Das klingt etwas, als würde sie der geplatzten Transaktion nachtrauern. Ganz im Gegensatz zum Aktienmarkt: Als die Gerüchte im Januar aufkamen, büssten SGS-Aktien fast einen Zehntel an Wert ein. Mittlerweile haben sie sich aus diesem Loch herausgearbeitet. Viele Investoren sind überzeugt, dass SGS allein die besseren Karten hat.

SGS setzt trotzdem auf Zukäufe, auch wenn es nicht der grosse Brocken Bureau Veritas sein wird. Elf Akquisitionen wurden 2024 getätigt; 2025 soll es mindestens eine pro Monat sein. Möglich ist das, weil die Branche sehr zersplittert ist: Die grössten 20 Firmen erreichen laut Picaud zusammen weniger als einen Viertel Marktanteil. Das hat auch mit der grossen Spezialisierung zu tun – sowohl angesichts der Vielzahl von Produkten, die es zu überprüfen gilt, wie auch geografisch.

So ist SGS stark in Asien vertreten und schwächer in den USA. In den Vereinigten Staaten will Picaud nun zulegen, der Umsatz soll sich bis 2027 verdoppeln – ausgerechnet unter einem Präsidenten Donald Trump, der sich den radikalen Abbau von Regulierungen auf die Fahne geschrieben hat.

Doch die Chefin gibt sich unbeeindruckt: Die Ansiedlung von Firmen in den USA mache mehr Überprüfungen notwendig, und die Umweltstandards würden hoch bleiben. So nehme zum Beispiel die Nachfrage nach Tests auf langlebige PFAS-Chemikalien in den USA um mehr als 30 Prozent zu. Picaud sagt SGS ein grossartiges Jahr 2025 voraus. Die Realität wird sie testen.

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