Donnerstag, Dezember 26

Die Staatsanwaltschaft Madrid fordert eine lange Haftstrafe für den Real-Trainer Carlo Ancelotti. Der Italiener betont seine Unschuld – und vercoacht am Mittwochabend fast das Weiterkommen in der Champions League.

Schwarzer Mantel über schwarzem Anzug und nur die nötigsten Regungen: Carlo Ancelotti zeigte sich Mittwochabend am Seitenrand im Estadio Santiago Bernabéu wie gewohnt. Der Trainer von Real Madrid beobachtete im Achtelfinal gegen RB Leipzig ein typisches Europacup-Spiel der Königlichen: Der Gegner dominierte, Real zog dank dem 1:1 (Hinspiel 1:0) trotzdem in die nächste Runde ein.

Zu sehen gab es allerdings eine so matte Version von Ancelottis Mannschaft, dass das Publikum sie zur Halbzeit mit einem lauten Pfeifkonzert bedachte – und es hernach viele Fragen gab. Beispielsweise jene, warum das Glück eigentlich immer auf der Seite der Galaktischen zu sein scheint: Der letzte von vielen Abschlüssen der Leipziger landete in der Nachspielzeit auf der Latte.

Ancelotti räumt ein, die falsche Taktik gewählt zu haben

Die Gäste ärgerten sich ausserdem über den scheinbar ewigen Schiedsrichterbonus des Europacup-Rekordsiegers: Derweil den Deutschen im Hinspiel ein reguläres Tor aberkannt worden war, durfte der spätere Real-Torschütze Vinícius im Bernabéu trotz einer Tätlichkeit auf dem Platz bleiben. Auf der anderen Seite rätselten die Madrider Fans darüber, was sich Ancelotti wohl dabei gedacht hatte, in einem Heimspiel nur einen Stürmer auf den Platz zu schicken.

Der Italiener erklärte, dass er damit das Pressing und die Kontrolle im Mittelfeld verstärken wollte – und räumte das Scheitern der Idee ein: «Ich würde diese Aufstellung nicht wiederholen.» Das Problem sah Ancelotti jedoch grundsätzlicher: «Es gehört zur Geschichte dieser Mannschaft, dass wir nicht in der Lage sind, einen Vorsprung zu verwalten.» Zum Beweis dieses Sachverhalts ging er bis weit zurück ins Jahr 2015, als auf einen 2:0-Auswärtssieg gegen Schalke 04 ein wildes 3:4 im eigenen Stadion gefolgt war.

Ob ihm genau dieser Match einfiel, weil Ancelotti bereits zum Tagesbeginn mit dem Jahr 2015 konfrontiert worden war? In seiner ersten Zeit als Real-Coach soll er so viele Steuern hinterzogen haben, dass die Madrider Staatsanwaltschaft am Mittwoch eine Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten gegen ihn beantragte. Exakt 383 361 Euro für 2014 und insbesondere 675 718 Euro für 2015 soll der erfolgreichste Trainer der Champions-League-Geschichte – je zwei Titel mit der AC Milan und mit Real – und einzige Coach mit Meisterschaften in allen fünf grossen Ligen am Fiskus vorbeigeschleust haben.

Auch du, Carletto? Spaniens Finanzamt hat sich im vergangenen Jahrzehnt schon Weltstars wie Lionel Messi (rund vier Millionen Euro hinterzogen, Verurteilung zu 21 Monate Haft auf Bewährung), Cristiano Ronaldo (15 Millionen Euro, zwei Jahre auf Bewährung nach Vergleich mit der Staatsanwaltschaft) und die Pop-Sängerin Shakira (14,5 Millionen, drei Jahre auf Bewährung nach Vergleich) vorgeknöpft. Deren früherer Lebensgefährte Gerard Piqué, der in letzter Instanz freigesprochen wurde, oder Reals Luka Modric, der acht Monate auf Bewährung bekam, gehörten zu den Dutzenden weiteren Fussballer-Granden im Visier der Ermittler. Mit José Mourinho, der 5,3 Millionen Euro Busse bezahlen musste und zwölf Monate auf Bewährung erhielt, wurde auch einer von Ancelottis Trainer-Vorgängern in Madrid belangt.

Anders als sein portugiesischer Kollege mit dokumentiertem Bösewicht-Image galt Ancelotti bisher jedoch als Meister darin, sich von Ärger fernzuhalten. Während seiner fast 30-jährigen Karriere als Cheftrainer arbeitete er für so mächtige, umstrittene und teils notorisch mit Justizkonflikten beschäftigte Männer wie Silvio Berlusconi (Milan), Roman Abramowitsch (Chelsea), Nasser al-Khelaifi (Paris Saint-Germain) oder Florentino Pérez, den Chef bei Real Madrid. Doch persönlich blieb er stets unbefleckt. Der Bauernsohn aus der Emilia-Romagna galt immer als integrer Gentleman.

Nach Spielschluss am Mittwoch versuchte er, diesen Ruf so gut wie möglich zu wahren. «Ich bin überzeugt davon, dass ich unschuldig bin», erklärte er dem TV-Sender «Movistar». In der Pressekonferenz fügte er hinzu: «Das ist nicht der geeignetste Ort, um darüber zu sprechen. Es geht um eine alte Geschichte, die mich in nichts beeinträchtigt. Hoffentlich kann sie bald geklärt werden, ich bin da ganz entspannt. Mein einziges Problem ist, dass meine Mannschaft besser spielen muss.»

Es geht um die Einnahmen aus Ancelottis Bildrechten

Die Staatsanwaltschaft nimmt es weniger locker. Laut ihr zog Ancelotti während seiner ersten Madrider Zeit vorsätzlich ein «komplexes» und «konfuses» Scheinfirmengeflecht auf, um «die Versteuerung der Einnahmen aus seinen Bildrechten zu umgehen.» Demnach habe er diese bei Amtsantritt im Sommer 2013 für einen Zeitraum von 10 Jahren und gegen ein Honorar von 25 Millionen Euro an «Vapia Limited» mit Sitz auf den Virgin Islands übertragen. Einen Tag später wurde er von der Firma zum Bevollmächtigten zur Ausübung der Rechte ernannt. Später wurde der Vertrag mit der Firma auf eine Laufzeit von drei Jahren und einen Preis von einer Million Euro reduziert. Beim Abkommen mit Real Madrid über die 50:50-Aufteilung seiner Bildrechte habe er dann eine Firma «Vapia LLP» mit Sitz in London als Rechteinhaber angegeben.

Während des Ermittlungsverfahrens räumte Ancelotti die Verfehlung für das Jahr 2014 ein und deponierte die entsprechende Strafe bei der Staatsanwaltschaft. Für 2015 bestritt er sie, weil er wegen seiner Entlassung im Mai nicht das Aufenthaltsminimum von 183 Tagen für die Versteuerung in Spanien erfüllt habe. Die Ermittlungsrichterin folgte seiner Darstellung, doch die Staatsanwaltschaft legte erfolgreich Einspruch ein. Sie glaubt beweisen zu können, dass Ancelotti – der erst ein Jahr später seinen nächsten Job beim FC Bayern München annahm – den Rest des Jahrs 2015 weiter in Madrid gelebt hat.

Wie er am Mittwoch betonte, will Ancelotti seine Version auch in dem noch nicht terminierten Prozess verteidigen: «Mal sehen, was der Richter entscheidet.» Die Strategie ist nicht ohne Risiko, weil ihn der Verzicht auf einen Vergleich ins Gefängnis bringen könnte. Doch es besteht auch die Chance auf ein Happy End, wie es zuletzt einer seiner ehemaligen Real-Profis erwirkte. Der heutige Leverkusen-Trainer Xabi Alonso wurde im Oktober vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen.

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