Demnächst entscheiden die Schweizerinnen und Schweizer über ein Verbot von Feuerwerk. Die Vorfälle in Deutschland mit mehreren Todesopfern werden die Debatte beeinflussen.

Beispiel Saas-Fee: Kurz nach Mittag detoniert im Walliser Ferienort ein Feuerwerkskörper mitten einer Menschenmenge. Vier Personen werden verletzt, darunter ein 14-jähriges Mädchen schwer. Beispiel Rorschacherberg (SG): Kaum ist das neue Jahr angebrochen, explodiert selbstgebasteltes Feuerwerk in der Hand eines 36-jährigen Mannes. Dessen linker Unterarm wird weggesprengt und muss schliesslich in einer Notoperation komplett amputiert werden. Beispiel Schenkon (LU): Ein 46-jähriger Mann hantiert an einer Einrichtung zum Abschuss von Böllern herum, wobei es zu einer Explosion kommt. Noch auf der Unfallstelle verstirbt der Mann.

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So lautet die unvollständige Bilanz einer ganz normalen Silvesternacht in der Schweiz, aufgezeigt anhand von Medienberichten und Polizeimeldungen. Noch sind die Kugelbomben, die in Deutschland zu mehreren Todesfällen geführt haben, hierzulande nicht aufgetaucht. Doch für die Polizei und die Rettungskräfte wird Silvester auch so jedes Jahr zur Herausforderung. Genaue Statistiken zu den Unfällen im Umgang mit Feuerwerken existieren zwar nicht, aber laut Schätzungen der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) sind es pro Jahr rund 200. Die meisten Unfälle ereignen sich in der Schweiz allerdings anders als in Deutschland nicht an Silvester, sondern am Nationalfeiertag am 1. August.

Vereinzelte Angriffe auf Personen

Hauptursachen sind laut BfU «Basteleien, Ablenkung sowie fahrlässiges Verhalten». Doch es kommt immer wieder auch zu einzelnen vorsätzlichen Angriffen auf Personen. So soll an Silvester 2024 in der Baselbieter Vorortsgemeinde Pratteln eine Gruppe Jugendlicher gezielt auf Menschen gefeuert haben, wie die «Basler Zeitung» berichtet. Und im St. Gallischen Gossau wurde laut Medienberichten ein Polizist von einem Unbekannten mit Feuerwerk beschossen. Die Forderungen nach einem Verbot werden deshalb lauter, zumal viele Gemeinden das Abbrennen von Feuerwerk schon heute untersagen oder stark einschränken. Der Befund ist eindeutig: Feuerwerk ist umstrittener denn je.

Auch ohne dass es in der Schweiz zum krawallartigen Einsatz von Feuerwerk im grossen Stil gekommen ist, befeuern die Unfälle eine Debatte, die schon seit einigen Jahren läuft. Ein Komitee, das ein Verbot des Verkaufs und der Verwendung von lärmendem Feuerwerk verlangt, hatte vor zwei Jahren keine Mühe rund 140 000 Unterschriften für eine Volksinitiative zusammenzubringen. Je nach Verlauf der Debatte könnte das Vorhaben an der Urne durchaus Chancen haben. Dies zumal sich das Komitee politisch nicht einem bestimmten Lager zuordnen lässt. Unterstützt wird die Volksinitiative von Vertreterinnen und Vertretern fast aller Parteien von den Grünen bis zur SVP. Im kommenden Jahr wird die Vorlage im Parlament beraten, mit der Volksabstimmung ist in einem bis zwei Jahren zu rechnen.

Vor zehn Jahren stimmten die Aargauer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bereits über ein ähnliches Volksbegehren auf kantonaler Ebene ab. Die Initiative «zum Schutz von Menschen, Tieren und Umwelt vor privaten Feuerwerken» wurde damals mit 64,5 Prozent Nein-Stimmen noch deutlich abgelehnt. Eine repräsentative Umfrage des Medienportals «Watson» aus dem Jahre 2023 zeigt aber, dass inzwischen eine drei Viertel der Befragten Sympathien für ein Verbot hat. In einer anderen Umfrage aus dem letzten Jahr gab die Hälfte der befragten Schweizerinnen und Schweizer zwar an, Feuerwerk gehöre zum 1. August. Doch 60 Prozent erklärten auch, sie seien dagegen, dass Privatpersonen am Nationalfeiertag Feuerwerkskörper zündeten. Extreme Gewaltexzesse in Deutschland werden zu diesem Meinungsumschwung beitragen.

Tier- und Naturschutz im Vordergrund

Interessanterweise sind es bisher jedoch nicht in erster Linie Vorfälle mit Verletzten oder Toten, die die Diskussion anheizen. Im Vordergrund steht das Tierwohl: Vorangetrieben wird die das Projekt für ein Feuerwerks-Verbot von Dutzenden von Tierschutzorganisationen vom Schweizerischen Tierschutz über die Stiftung Tiere im Recht bis zu kleineren Vereinigungen zugunsten von Hunden, Katzen, Vögeln oder Wölfen. Mit dabei sind zudem Organisationen wie die Lärmliga, Greenpeace oder der Schweizerische Naturschutz. Sie alle argumentieren, das Abbrennen von Feuerwerk verängstige Haus- und Wildtiere, stelle eine Belastung für die Umwelt dar und beeinträchtige das Wohlbefinden von unbeteiligten oder empfindlichen Mitmenschen. Ausserdem sei das Abbrennen von Feuerwerk in der Schweiz gar keine echte Tradition.

Dass die Knallerei in den letzten Jahren zugenommen hat, lässt sich allerdings kaum nachweisen. Zwischen 2010 und 2022 wurde in der Schweiz pro Jahr zwischen 1200 und 2300 Tonnen Feuerwerk verbraucht, der grösste Teil davon wird aus China importiert. In den Jahren 2020 und 2021 fiel der Verbrauch besonders tief aus, was sich mit der Pandemie erklären lässt. Doch einen eindeutigen Trend lässt sich aus der Statistik, die das Bundesamt für Polizei (Fedpol) führt, nicht herauslesen. So wurde 2013 soviel Feuerwerk verbraucht wie in keinem anderen Jahr in der gesamten Statistik-Periode. Der grösste Teil des Umsatzes, nämlich rund 70 Prozent, wird dabei gemäss einem Bericht des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) regelmässig mit Produkten gemacht, die Lärm verursachen – und die somit unter das geplante Verbot fallen würden.

Feuerwerk im Nebelmeer

Doch trotz dieser offenkundigen Skepsis bis in weite Teile der Bevölkerung will der Bundesrat allerdings kein flächendeckendes Feuerwerksverbot. Im Oktober anerkannte er zwar die negativen Auswirkungen für Umwelt, Mensch und Tier. Aber für viele Menschen gehöre ein Feuerwerk zu den Feierlichkeiten am 1. August und an Silvester, erklärte er. Zudem hätten die Kantone und Gemeinden schon heute genügend Möglichkeiten, das Abbrennen von Feuerwerk einzuschränken. Tatsächlich haben verschiedene Orte die Böllerei auf ihren Gebiet untersagt. So erlaubt das Polizeigesetz von Arosa seit Dezember 2024 grundsätzlich nur noch nicht Lärm verursachendes Bodenfeuerwerk wie bengalische Zündhölzer oder Vulkane. Andere Gemeinden wie Allschwil (BL) oder Hombrechtikon (ZH) haben dieses Jahr Feuerwerk an Silvester verboten.

Selbst offizielle Feuerwerke an Grossanlässen, die bis anhin als Höhepunkt von Festivitäten galten, sind von der Entwicklung betroffen. In Basel wurde das traditionelle Silvesterfeuerwerk schon 2020 eingestellt, nachdem die privaten Geldgeber abgesprungen waren. Auch an der Badenfahrt, einem mehrtägigen Aargauer Volksfest, das nur alle fünf bis zehn Jahre stattfindet, wurde die letzte Rakete im Jahre 2017 gezündet. In Olten (SO) ist sogar das 1.-August-Feuerwerk seit 2019 offiziell gestrichen. Dafür experimentieren viele Gemeinden bei solchen Festen mit Drohnen- oder Lasershows. Selbst in Zürich, wo die Feuerwerks-Tradition bisher eisern hochgehalten wird, mussten sich die Besucherinnen und Besucher diese Woche an einen Jahreswechsel ohne Goldregen und Blumenbouquet gewöhnen: Wegen dichtem Nebel war auch von spektakulären Raketen praktisch nichts zu sehen.

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