Donnerstag, Oktober 10

Olaf Scholz hat jetzt zwar einen Kompromiss im lähmenden, monatelangen Haushaltsstreit erzielt – Frieden schliesst seine Koalition dadurch aber nicht, im Gegenteil.

Einigung in letzter Minute: Die deutsche Regierungskoalition hat sich am Freitagnachmittag auf einen Bundeshaushalt für das kommende Jahr verständigt. Der Etat-Entwurf kann damit fristgerecht an den Bundestag weitergeleitet und in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause verhandelt werden.

Doch auch nach der Einigung klafft weiterhin eine Finanzlücke von 12 Milliarden Euro im Budget der Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Der Fehlbetrag fällt damit deutlich grösser aus, als es Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner eigentlich in ihrem ersten Haushaltsentwurf in Aussicht gestellt hatten.

Mehr Eigenkapital für die Bahn

Im Kern sieht die Einigung nun eine Umschichtung von Geldern für die Deutsche Bahn vor. Dem Staatskonzern soll vom Bund eine Erhöhung des Eigenkapitals um 4,5 Milliarden Euro zugestanden werden, der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt wiederum soll gesenkt werden. Die Bundesregierung verschafft sich damit einen grösseren Spielraum im Bundeshaushalt, weil Zuschüsse zum Eigenkapital nicht den Fiskalregeln der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse unterliegen.

Von einer ähnlichen Massnahme für die staatliche Autobahngesellschaft sieht die Ampel-Koalition jetzt allerdings ab. Zwei externe Gutachten waren zuvor zum Schluss gekommen, dass die Koalition in diesem Fall ein hohes verfassungsrechtliches Risiko eingehen würde.

Ebenfalls Abstand nimmt die Bundesregierung vom Plan, die übrig gebliebene 4,9 Milliarden Euro der staatlichen Förderbank KfW für die Gaspreisbremse, für neue Zwecke umzuwidmen. Auch hier hatten die Gutachter davor gewarnt, dass die Koalition mit einem solchen Schritt wohl Verfassungsrecht brechen würde.

Koalition kann Finanzlücke nicht schliessen

Weil die Koalition an anderer Stelle nicht sparen möchte, muss sie nun mit einer grösseren Leerstelle ins neue Jahr gehen als bislang versprochen. Denn in ihren Gesetzesentwurf hatten die Koalitionsspitzen einen Merkposten in Höhe von 17 Milliarden Euro geschrieben, eine sogenannte Globale Minderausgabe (GMA). Die Koalition verpflichtete sich also dazu, diese Summe im kommenden Jahr noch einzusparen – ohne bereits festzulegen, wo der Rotstift konkret angesetzt werden soll.

Anders ausgedrückt: Sie hofft darauf, weniger Geld auszugeben als im Haushalt 2025 vorgesehen.

Diese Globale Minderausgabe ist dabei durchaus ein klassisches Instrument der staatlichen Haushaltsführung in Deutschland. Die Frage ist allerdings, wie hoch sie angesetzt werden darf. Üblich sei ein einstelliger Milliardenbetrag beziehungsweise maximal zwei bis drei Prozent des Gesamtvolumens des Staatshaushalts, sagte Hanno Kube, Verfassungsrechtler von der Universität Heidelberg, unlängst der NZZ.

Bundesfinanzminister Lindner hatte seinerseits im Interview mit dem «Handelsblatt» erklärt, eine Minderausgabe von bis zu neun Milliarden Euro entspräche der Staatspraxis. «Alles darüber hinaus wirft verfassungsrechtliche Fragen auf und würde das Risiko erhöhen, den laufenden Haushalt 2025 mit Sperren bewirtschaften zu müssen.»

Durch die Umschichtungen zugunsten der Bahn, schmilzt diese Lücke jetzt zwar auf 12 Milliarden Euro. Angesichts des monatelangem Streit, der der Einigung vorausging, wirft das Verhandlungsergebnis dennoch ein schlechtes Licht auf die Koalition.

Neuer Streit droht im Bundestag

Letztlich spiegeln sich im Verhandlungsergebnis auch die unterschiedlichen finanzpolitischen Leitsätze wider, denen die drei Koalitionspartner anhängen. Während SPD und Grüne sich weigern, bei Sozialausgaben oder Investitionen Abstriche zu machen und stattdessen eine höhere Verschuldung einfordern, pocht die FDP auf die Einhaltung der Schuldenbremse.

Das jetzt getroffene Arrangement versucht, diese sich eigentlich widersprechenden Maximen unter einen Hut zu bringen: Kürzungen gibt es zwar keine, dafür aber eben eine riesige Leerstelle im Haushalt. Und um die dürfte in den kommenden Wochen neuer Streit im Bundestag ausbrechen.

Deutliche Kritik kam am Freitag bereits aus der Opposition. «Diese Regierung hat erneut ein unwürdiges Schauspiel abgeliefert», sagte CDU-Haushaltsexperte Christian Haase der NZZ. Die Regierung habe über Monate ein Eiertanz zum Haushalt hingelegt, um dann in einem zweiten Anlauf etwas zu präsentieren, das weiterhin verfassungsrechtlich höchst zweifelhaft sei. «Dieser Regierung fehlt offensichtlich die Kraft für einen soliden Haushalt. Sie ist zerstritten, handwerklich schlecht und ohne zukunftsweisende Lösungen.»

Auch in der Koalition wurde der Kompromiss verhalten aufgenommen. Die Einigung sei angesichts der langen politischen Debatte, die ihr vorausging, «mehr als enttäuschend», sagte ein Mitglied der Grünenfraktion im Bundestag. Der aktuelle Haushaltsentwurf sei «der wohl schlechteste, den eine Bundesregierung dem Parlament je zugesandt hat», zitierte wiederum das «Handelsblatt» einen SPD-Haushaltspolitiker.

Was vermuten lässt: Nach der Haushaltseinigung ist vor dem nächsten Streit.

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