Sonntag, Dezember 22

Zürichs berühmtestes Lokal kann heuer ein 100-Jahr-Jubiläum begehen. Es tut dies ohne Tamtam – und bleibt sich damit zum Glück treu.

In diese Gaststätte geht man zweitens, weil man Hunger und Durst hat. Und erstens, um sich zu vergewissern, dass die Welt doch noch nicht ganz aus den Fugen geraten ist: In der «Kronenhalle» scheint alles, wie es immer war — von der hochkarätigen Kunst an den Wänden bis zur Voiture mit Fleischgerichten.

Und wer den Ort als Hort der Beständigkeit schätzt, darf aufatmen: Auch im Jahr des 100-Jahr-Jubiläums will ihn niemand neu erfinden, wie es heute so manche Institution verzweifelt versucht. Man wird auch nicht der Versuchung erliegen, das Erfolgsrezept zu vervielfältigen und sich auf mehrere Standorte zu verzetteln, wie die Führungsriege am Mittwoch bei einem Mediengespräch versichert.

Jeder Winkel atmet Geschichte

Im Herbst 1924 kaufte das Ehepaar Hulda und Gottlieb Zumsteg die Liegenschaft am Bellevue mit marodem Hôtel de la Couronne, dessen Namen die bald darauf eröffnete «Kronenhalle» aufnahm. Hulda Zumsteg prägte die Geschicke des Hauses als legendäre Wirtin bis zu ihrem Tod 1985; ihr Sohn Gustav führte es in ihrem Sinn fort – und hielt am Ende testamentarisch fest, das habe auch künftig so zu geschehen.

Und so ist es auch unter Dominique Godat, der die Direktion seit vier Jahren innehat. Inzwischen hält die Karte auch ein paar Konzessionen an Trends wie den Veganismus bereit, doch ihre Basis bleibt die gehobene Brasserieküche mit helvetischem Einschlag. Es gibt weiterhin Klassiker wie Matjeshering mit Crème fraîche (Fr. 36.–), den Wurst-, pardon: Balleronsalat (Fr. 29.–), und das Zürcher Geschnetzelte (Fr. 61.–), das seit eh und je meistverkaufte Gericht hier: 24 000-mal ist es letztes Jahr serviert worden.

Die akkurat altertümlich gekleideten Serviceangestellten, von denen manche seit über vierzig Jahren hier wirken, wischen mit brillanter Beiläufigkeit die Brotkrümel vom Tisch. So ist das bei diesem Fels in der Brandung einer schnelllebig gewordenen Branche. Jeder Winkel scheint Geschichte zu atmen – und die Gästebücher tun’s sowieso, wie ein kleiner Auszug prominenter Namen zeigt: Erich Maria Remarque, Salvador Dalí, Catherine Deneuve, John Irving, Joe Cocker, Harrison Ford und George W. Bush, der festhielt, «gleich fünf Pfund zugenommen» zu haben.

Aktionen für einen kleinen Kreis

Und das Jubiläumsjahr? Es wird, typisch fürs Haus, ohne viel Tamtam begangen. Es gibt ein paar Anlässe, mit denen man der Belegschaft und Gästen danken will, etwa Soireen für ausgewählte Kreise. Hat man sich keine Aktion fürs breitere Publikum überlegt, etwa einen Klassiker zum Preis von anno dazumal? Daran habe man kurz gedacht, es dann aber als unpassend verworfen, sagt der ehemalige Landesmuseumsdirektor Andreas Spillmann, der die Hulda-und-Gustav-Zumsteg-Stiftung präsidiert. Man sei ja, obwohl man für alle da sein wolle, keine Volksküche.

Tatsächlich ist die «Chronehöhli» zwar in Zürich allen ein Begriff, aber die Preisgestaltung ist nicht für jedes Portemonnaie gedacht. Und Publizität braucht sie laut Spillmann ohnehin nicht – es laufe auch ohne Werbung hervorragend. Für das jüngere Publikum gelte vor allem die Kronenhalle-Bar als Einstiegsdroge für dieses Haus, und auch diese Ikone des Zürcher Nachtlebens lebt von Kontinuität: In deren knapp sechzigjähriger Geschichte ist der gebürtige Südtiroler Christian Heiss, der seit 2016 die Leitung innehat, erst der dritte Chef de Bar.

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