Freitag, Oktober 18

In den USA zahlen manche für Gräber neben Promis ein Vermögen. In der Schweiz bleiben die Plätze leer. Eine Spurensuche.

Gute Nachbarn sind wichtig. Auch nach dem Tod.

In den USA, wen wundert es, gibt es Leute, die sich weltberühmte Grabnachbarn wünschen. Doch das kann teuer werden.

Im März wird es eine Auktion für eine Grabstätte auf einem Friedhof in Los Angeles geben, die nahe den Gräbern der Hollywood-Ikone Marilyn Monroe und dem «Playboy»-Gründer Hugh Hefner steht. Laut dem Auktionshaus ist ein solcher Grabplatz «der perfekte Weg, Hollywoods Glamour und Geschichte zu verinnerlichen». Das Startgebot liegt bei 50 000 Dollar. Experten erwarten, dass die Grabkammer bis zu 400 000 Dollar einbringen wird.

Selbst nach dem Tod ist Prestige wichtig. Das sagt auch der Soziologe Thorsten Benkel, der an der Universität Passau untersucht, wie die Gesellschaft mit den Themen Sterben, Tod und Trauer umgeht. «Wer zu Lebzeiten nicht an sein Vorbild herankommt, versucht dann auf dem Friedhof, etwas vom symbolischen Kapital abzubekommen.» Man hoffe auf die eigene Aufwertung nach dem Tod. Viele glaubten, dass das Grab den Wert der verstorbenen Person spiegle.

In den USA sind horrende Preise für Grabstätten in der Nähe von Prominenten üblich. Der Trend hat nun offenbar auch England erreicht. Ein privater Friedhof in London schafft derzeit neue Grabstätten in der Nähe des Grabes von Karl Marx. Eine Bestattung kostet laut Medienberichten 25 000 Pfund, umgerechnet etwa 28 000 Franken.

Der Kapitalismus-Gegner Marx wäre wohl ausser sich gewesen. Gut möglich, dass er rückblickend lieber in der Schweiz als in London bestattet worden wäre. Denn in der Schweiz fehlt der Promi-Kult auf den Friedhöfen.

Günstige Konditionen für glamouröse Grabnachbarn

Auf dem Stadtzürcher Friedhof Sihlfeld ruhen viele Schweizer Berühmtheiten. Neben anderen Jakob «Köbi» Kuhn, der ehemalige Trainer des Schweizer Nationalteams. Das Grab links neben ihm sei frei, teilt die Friedhofsverwaltung mit. Neben der Grabstätte der «Heidi»-Autorin Johanna Spyri habe es ebenfalls Platz. Die auf 30 Jahre festgelegte Pacht des Grabes neben Köbi Kuhn kostet für Anwohner der Stadt Zürich 4900 Franken, das grössere Grab neben Johanna Spyri 9700 Franken.

In der Schweiz legen die Gemeinden die Vorgaben für das Bestattungswesen selbst fest. Viele Gemeinden beerdigen nur Einwohner auf ihren Friedhöfen. Auswärtige werden in Ausnahmefällen bestattet, zum Beispiel, wenn sie auf besondere Weise mit der Gemeinde verbunden waren. Schweizweit gilt: Alle Einwohner haben unabhängig von ihrer Konfession ein Anrecht auf einen Platz auf dem Friedhof.

Auf dem Gemeindefriedhof Kilchberg im Kanton Zürich ruht seit 1955 der deutsche Schriftsteller und «Zauberberg»-Autor Thomas Mann. Kilchberg war sein letzter Wohnort. Einige Grabfelder neben Thomas Mann seien derzeit frei, sagt der Leiter des Friedhofs. Reservieren wie in den USA könne man die Grabplätze aber nicht. Die Angehörigen könnten den Pachtvertrag erst nach einem Todesfall abschliessen. Ein kleineres Grab neben Thomas Mann kostet rund 10 000 Franken für 30 Jahre – «Seesicht inklusive».

Thomas Mann ist nur eine von vielen berühmten Personen, die auf Schweizer Friedhöfen bestattet sind. Viele internationale Berühmtheiten sind in die Schweiz gekommen, um hier zu sterben. Auffällig viele sind in den Kantonen Waadt und Genf beerdigt: Charlie Chaplin und James Mason in Corsier-sur-Vevey, Audrey Hepburn in Tolochenaz, Coco Chanel in Lausanne, Richard Burton in Céligny.

Charlie Chaplin zog in den 1950er Jahren in die Schweiz. Er musste die USA verlassen – wegen angeblicher Verbindungen zum Kommunismus. Chaplin verbrachte den Rest seines Lebens in der Schweiz; er erhielt 1953 die Schweizer Staatsbürgerschaft. 1977 wurde er auf dem Friedhof seines Wohnorts Corsier-sur-Vevey beerdigt, seine Frau Oona O’Neill folgte nach ihrem Tod 1991. Neben dem Grab von Chaplin und O’Neill habe es noch freie Gräber, teilt die Gemeinde Corsier-sur-Vevey mit. Anwohner könnten ein kleines Grab neben Chaplin ab 3000 Franken pachten.

Auch Audrey Hepburn verbrachte ihre letzten Jahre in der Schweiz, lebte zurückgezogen im kleinen Dorf Tolochenaz im Kanton Waadt. Ihr Grab auf dem Friedhof von Tolochenaz ist ein einfaches Reihengrab. Noch nie habe jemand nach einer Grabstätte neben Hepburn gefragt, sagt eine Mitarbeiterin der Gemeinde. Derzeit sei der Platz noch besetzt. Gemeindemitglieder zahlen für eine 30-jährige Pacht eines Grabes neben Hepburn 1500 Franken. Günstige Konditionen für eine glamouröse Grabnachbarin.

Die Friedhofskultur wandelt sich

Ist man hier diskreter als in den USA? Es sind auf jeden Fall nicht nur die Gräber neben den Prominenten, die leer bleiben. Die gesamte Friedhofskultur ist im Wandel. Viele Friedhöfe in der Schweiz verlieren seit Jahren Gräber, sie werden immer mehr zu Parks. 90 Prozent der Verstorbenen würden heute kremiert, schätzen Bestattungsunternehmen. Das Reihengrab mit dem Jesuskreuz oder dem Grabstein hat an Bedeutung verloren, viele Menschen wollen in ein Gemeinschaftsgrab. Die Beisetzung im Gemeinschaftsgrab ist günstiger, die Grabpflege für die Angehörigen einfacher.

Einige wollen gar ausserhalb eines Friedhofs bestattet werden. Was die Angehörigen mit der Asche der Verstorbenen machen, ist ihnen überlassen. Sie können die Asche daheim aufbewahren oder sie verstreuen: im Wald, im See, auf einem Berggipfel.

Vielleicht werden in der Schweiz Gräber neben Prominenten auch deshalb kaum nachgefragt, weil sie neugierige Touristen aus der ganzen Welt anlocken. Und manchmal auch Grabräuber und Vandalen. In Corsier-sur-Vevey stahlen Grabräuber im Jahr 1978 Charlie Chaplins Sarg. Nach der Überführung der Diebe wurde der Sarg in zwei Metern Tiefe vergraben und einbetoniert. Und in London wurde Karl Marx’ Grab mehrfach mit Farbe beschmiert.

Neben normalen Bürgern ruht es sich vielleicht weniger glamourös, aber friedlicher.

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