Mit der Erfindung der Zwölftontechnik hat er die Musik in neue Bahnen gelenkt und der Moderne zum Durchbruch verholfen. Doch auch im Jubiläumsjahr anlässlich seines 150. Geburtstags ist Arnold Schönberg umstritten wie eh und je.
Das Datum würde ihm ganz und gar nicht behagen. Der Geburtstag von Arnold Schönberg fällt in diesem September, wie seit nunmehr einhundertfünfzig Jahren, nicht bloss auf einen dreizehnten, sondern auch noch auf einen Freitag. Was für ein Unglück bei solch einem runden Jubiläum – für den bekanntermassen abergläubischen Komponisten vermutlich ein Albtraum. Schon die Dreizehn allein versetzte Schönberg nämlich zeitlebens derart in Furcht, dass er zu rabiaten Mitteln griff, um sie, wo immer möglich, von sich fernzuhalten.
Bei seinem Geburtsdatum, dem 13. September 1874, gelang ihm das nicht; auch mit seinem Todestag, dem 13. Juli 1951, hatte er Pech. Aber in seinem Schaffen schritt er umgehend zur Tat, sobald sich Unheil ankündigte. So kürzte er den Titel seiner geplanten Oper über Moses und Aaron nachträglich, indem er den bedauernswerten Aaron um sein zweites A beraubte – bloss damit der Titel lediglich aus zwölf Buchstaben bestehe. Genützt hat die Trickserei allerdings nichts: «Moses und Aron», Schönbergs kühnstes Bühnenwerk, blieb unvollendet. Es erlebte erst postum seine szenische Uraufführung, 1957 am damaligen Stadttheater Zürich. Das Opernhaus hat damit Musikgeschichte geschrieben.
Weltformel des Komponierens
Das abergläubische Spiel mit Zahlen an der Grenze zur Irrationalität wirkt überraschend bei diesem Komponisten. Denn die Nachwelt kennt Schönberg vor allem für eine Jahrhundert-Erfindung, die auf den ersten Blick durch und durch rational anmutet: die Entwicklung der sogenannten Reihen- oder Zwölftontechnik. Die «Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen», wie Schönberg selbst das Verfahren mit bürokratischer Genauigkeit nannte, ist tatsächlich eine Spielwiese für Zahlenmystiker wie für mathematikgläubige Konstruktivisten – und nebenbei eine Art Weltformel des modernen Komponierens.
Sie beruht, grob gesagt, auf der Idee, die Abfolge der Töne in einem Musikstück durch eine festgelegte Reihe zu bestimmen. Wie jede grosse Idee klingt das zunächst einfach, hat aber seine Tücken. Denn Schönberg legte zugleich fest, dass sich kein Ton wiederholen darf, bevor nicht alle zwölf möglichen Töne des (westlichen) Tonsystems erklungen sind, egal, ob nacheinander oder gleichzeitig in Akkorden. Ab hier wird das Ganze eine Wissenschaft für sich. Aber noch heute lernen angehende Komponisten und Musikwissenschafter, was es etwa mit Krebsumkehrungen, Allintervallreihen und ähnlichem Zauberwerk auf sich hat. Reihenanalysen von Zwölftonstücken weisen schon einmal Ähnlichkeit mit Einsteinschen Manuskripten auf.
Schönberg seinerseits ahnte vermutlich bald, dass er mit der Zwölftontechnik etwas in die Welt gesetzt hatte, das Segen und Fluch zugleich bringen würde. Die Organisation der Töne durch ein strenges System gab der Musik einerseits wieder ein tragendes Gerüst, nachdem sich die jahrhundertelange Ordnung von Harmonie und Tonalität zwischen 1860 und 1920 immer weiter aufgelöst hatte. Auch bahnte Schönberg, ohne dies bereits überblicken zu können, einer Entwicklung den Weg, an deren Ende eine vollständige Automatisierung des Notenschreibens stehen könnte. Heutzutage wäre es ein Leichtes, entsprechende Algorithmen zu programmieren, die Musikstücke perfekt nach den Regeln der Zwölftontechnik erstellen. Doch hören will das höchstwahrscheinlich niemand.
Denn gerade hier liegt andererseits ein Grundproblem der Schönbergschen Methode. Je systematischer und strenger man sie anwendet, desto weniger Platz bleibt in der Musik für subjektiven und individuellen Ausdruck. Mit anderen Worten: für ein künstlerisches Ich. Schon unmittelbar nach Schönbergs Tod lief die Neue Musik, noch ohne die Hilfe von Computern, in diese Sackgasse der totalen Abstraktion und der Entpersonalisierung. Als sie nämlich zusätzlich zur Tonhöhe noch alle weiteren Parameter wie Tondauer, Lautstärke und Klangfarbe nach Reihenmustern bestimmen wollte. Der sogenannte «Serialismus» gilt inzwischen, jedenfalls in seiner kurzlebigen orthodoxen Form, als Irrweg der Musikgeschichte.
Während dessen Hauptvertreter wie Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen schnell andere Wege einschlugen, blieb die Kritik seltsamerweise am Urheber der gesamten Richtung hängen. Bis heute haftet Schönberg beim klassischen Publikum der Ruf eines kalten Konstrukteurs an. Der durchaus sinnliche und expressive Klang seiner Musik widerlegt das freilich bei jeder Aufführung.
In der zeitgenössischen Musik sitzt Schönberg dagegen auf andere Weise zwischen allen Stühlen: Für Avantgardisten bewahrt selbst seine Zwölftonmusik noch zu viele romantische Einflüsse, andere fühlen sich von der kompromisslosen Strenge seines Denkens bei ihrer eigenen schöpferischen Suche eingeschränkt, und wieder andere erklären ihn kurzerhand für überholt, für irrelevant, mindestens aber für mausetot.
Sendungsbewusstsein
Vermutlich muss es so sein. Der Platz zwischen allen Stühlen ist in der Kunst ein teuer erkaufter Ehrenplatz. Aber eben: ein Ehrenplatz. Auch wenn er in Schönbergs Fall bedeutet, dass seinem Rang als Schlüsselfigur der Musikgeschichte nie eine angemessene Rezeption durch breitere Hörerkreise gegenübergestanden hat. Noch heute – dies bestätigen Konzertveranstalter – wirkt sein Name auf Programmen als das gefürchtete «Kassengift». Während man mit klug vermittelten Werken von Komponisten nachfolgender Generationen wie György Ligeti, Wolfgang Rihm oder György Kurtág sehr wohl auch bei eher traditionell orientierten Konzertbesuchern Interesse wecken kann, scheint Schönberg für immer mit dem Negativimage des unbequemen Umstürzlers gestraft zu sein.
Schönberg selbst hat dies kommen sehen und selbstironisch in einem Bonmot aufgespiesst. Als er im Ersten Weltkrieg von einem Soldaten gefragt wurde, ob er wirklich dieser berühmt-berüchtigte Komponist sei, erwiderte er: «Einer hat’s sein müssen, keiner hat’s sein wollen; da hab ich mich halt dazu hergegeben.» Die schlagfertige Antwort wird auch deshalb gern zitiert, weil sich darin neben künstlerischem Stolz und Trotz das Schönberg-typische Sendungsbewusstsein manifestiert. Ähnlich beflügelt von missionarischem Eifer klingt dessen Aphorismus: «Kunst kommt nicht von Können, sondern vom Müssen.»
Diese und andere charismatische Äusserungen gehören zum festen Bestand einer Heldenerzählung rund um diesen Komponisten, die bis in unsere Tage fortgeschrieben wird. Darin wird immer noch jener Kampfgeist beschworen, der die Jahrzehnte nach 1900 prägte, als teilweise handgreiflich um die Durchsetzung der Moderne gerungen wurde. Schönberg ist ohne Zweifel der überragende Protagonist des Fortschrittsdenkens in der Musik.
Doch seit die Moderne selbst historisch geworden ist, droht dem Schönberg-Bild die museale Erstarrung. Um ihn aus der prekären Rolle des ewig Unbequemen zu befreien, müsste man sein Werk – abseits der wenigen Erfolgsstücke wie «Verklärte Nacht» und «Pierrot lunaire» – im grösseren Massstab und vor allem unbefangen neu zur Diskussion stellen. Bahnbrechendes ist in dieser Hinsicht während des Jubiläumsjahrs nicht geschehen. Das gibt wirklich Anlass zu Unbehagen.