Der 1987 in Hamburg eröffnete phantastische Kunstjahrmarkt «Luna Luna» war nur für kurze Zeit zugänglich. Jetzt ist er in Los Angeles wiederauferstanden: ein Wunder.
Es ist eine beglückende Überraschung und eine herbe Enttäuschung zugleich: Wer die Lagerhalle im Art District von Los Angeles betritt, versteht sofort, dass er es hier mit einer Offenbarung zu tun hat. Und sofort möchte er in das farbenfrohe viktorianische Ringelspiel einsteigen, das der amerikanische Maler Kenny Scharf seinerzeit restauriert und veredelt hatte. Oder aufsteigen auf die grosse Hand, die im Karussell des österreichischen Künstlers Arik Brauer anstelle eines Pferdchens im Kreis fährt. Oder auch in der Gondel des von Jean-Michel Basquiat bemalten Miniriesenrads Platz nehmen und in die Höhe steigen.
Man möchte augenblicklich Teil der verlockenden Vergnügungen sein, mitspielen und sich voller Staunen auf die von Keith Haring als Sitze geschaffenen Figuren lümmeln. Aber man darf nicht. Immerhin darf man, wenn man über einen «Moon Pass» verfügt, David Hockneys «Enchanted Tree» betreten und dort Musik hören oder sich in Salvador Dalís Spiegelkabinett «Dalidom» kaleidoskopisch selber betrachten.
Mehr ist nicht möglich, und das ist ein bisschen traurig. Die übrigen Kunstwerke und Fahrgestelle lassen sich nur aus sicherer Entfernung und hinter Absperrungen betrachten. Aus konservatorischen und aus Sicherheitsgründen sind die Reste von André Hellers 1987 verwirklichtem Kunsttraum «Luna Luna» nicht wirklich benutzbar. Dafür ist dieser Kunstjahrmarkt unter dem Titel «Luna Luna. Forgotten Fantasy» zu einer grossartigen Ausstellung über Kunst, Politik und Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts arrangiert worden.
Der 1987 für knapp drei Monate auf der Hamburger Moorweide eröffnete «Jahrmarkt der zeitgenössischen Kunst» wurde damals rege genutzt – 300 000 Menschen ergriffen die Gelegenheit. Danach harrte er für 35 Jahre seiner höchst unwahrscheinlichen Auferstehung. Zuletzt lagerte er in vierzig Containern in der texanischen Wüste.
«Luna Luna» ist das Projekt, an dem das Phänomen André Heller – das, was er will, was er kann und was ihn antreibt – am deutlichsten zu erkennen ist: Neugier, Grenzüberschreitung, Grossartigkeit, Phantasie, Umsetzungswille, Grössenwahn und Sehnsucht nach Schönheit. Vor allem aber verkörpert «Luna Luna» Hellers Faszination für Avantgarde und Nostalgie.
Der Ermöglicher
1947 als Spross einer wohlhabenden jüdischen Süsswarenfabrikantenfamilie in Wien geboren, war Heller immer auf dem Weg nach draussen: raus aus der Enge des grauen Nachkriegs-Wien, raus aus der Enge künstlerischer Genres, raus aus Österreich, raus aus den eigenen Verstrickungen und aus jeder Form der Konvention. Heller war als Chansonnier extrem erfolgreich, als Schauspieler weniger, als Theaterautor eher mässig, als Schriftsteller mal mehr und mal weniger. Aber seine grösste Kunst war die Kunst der Ermöglichung.
Heller war der Ausdenker und Verwirklicher phantastischer, sinnlich überwältigender Ereignisse, die manchmal zwischen Kunst und Kommerz und so gut wie immer zwischen Avantgarde und Nostalgie oszillierten. Heller realisierte nie da gewesene Feuerwerke wie das «Theater des Feuers» in Lissabon (1983), das fast in der Katastrophe geendet hätte. Er führte Shows mit chinesischen und afrikanischen Artisten und Akrobaten («Begnadete Körper», «Afrika, Afrika») durch. Er inszenierte Grossgartengestaltungen in Gardone und Marrakesch. Er machte Fernsehporträts («Menschenbilder»). Er rief das erste deutschsprachige Pop-Radio (Ö3 für den ORF) ins Leben: Heller hat so gut wie alles gemacht.
André Heller ist einer der wenigen weltweit erfolgreichen Künstler Österreichs der vergangenen Jahrzehnte, wurde aber in der österreichischen Kunstszene immer mit Argwohn betrachtet. Viele taten ihn als verwöhnten reichen Schnösel ab, der sich in die Kunstwelt einkaufte. Obwohl sein politisches Engagement aufseiten der friedensbewegten Linken nichts zu wünschen übrig liess: Was Heller machte, roch zu sehr nach Kommerz. Denn man darf in der österreichischen Kunst so gut wie alles tun, nur keinen Erfolg haben damit.
Die Gleichzeitigkeit von Avantgarde und Nostalgie, die Hellers Wesen ausmacht, wird einem in diesem Milieu nicht abgenommen. Im Zweifelsfall ist es immer zu wenig Avantgarde und zu viel Nostalgie. Und das lässt sich nach dieser Lesart nicht zuletzt am ökonomischen Erfolg erkennen: Wäre etwas wirklich avantgardistisch, könnte es nicht erfolgreich sein.
Hier setzt «Luna Luna» an. Heller hatte sich in den Kopf gesetzt, die wichtigsten Künstler der Gegenwart, also der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts, für das Projekt eines Kunstjahrmarkts zu gewinnen. Auf diesem sollte auch Menschen, die sich nicht für zeitgenössische Kunst interessierten, ein niederschwellig-sinnlicher Zugang geboten werden. «Luna Luna» wurde in Hamburg vom Bauer-Verlag finanziert, der damit das 50-Jahr-Jubiläum der «Neuen Revue», einer der grossen Illustrierten des Landes mit einer Auflage von rund einer Million Exemplaren, feierte.
Ein steirischer Kunstfurzer
Die Liste derer, die Heller für sein Projekt gewinnen konnte, liest sich wie ein Who’s who der bildenden Kunst seiner Zeit. Neben den bereits erwähnten – Haring, Scharf, Basquiat, Dalí, Hockney – gab es Beiträge von Roy Lichtenstein, Georg Baselitz, Rebecca Horn, Jean Tinguely, ganz nach Hellers Geschmack auch genreübergreifend: So lasen etwa die Roboter des begnadeten Maschinentheatermagiers Jim Whiting Texte des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger, in Dalís Spiegel-Dom hörte man Musik von Philip Glass.
Heller aber wäre nicht Heller, hätte er neben den internationalen Stars, die er von seinem Konzept überzeugen konnte, nicht auch österreichische Künstler eingeladen. Einige von ihnen wie Hermann Nitsch sind heute Teil der Kunstgeschichte, andere kannte man damals in Deutschland kaum, so etwa den Maler und Bühnenbildner Hubert Aratym oder den Karikaturisten Manfred Deix. Letztgenannter schuf das Bühnenbild für das «Theater der Winde», in dem klassische Musik für Violine und Gedärm gegeben wurde, «gespielt» von einem Geiger und einem steirischen Kunstfurzer.
Das Banale im Elitären, das Avantgardistische im Gewöhnlichen, das Schöne in allem: Das ist Heller. Als Künstler ist der «Luna Luna»-Erfinder zweifach vertreten. Seine «Traumstation» steht in Los Angeles vor dem Eingang zur Lagerhalle, und in seiner «Hochzeitskapelle» kann man auch heute noch mit Urkunde heiraten – wen auch immer und warum auch immer. Die Verbindung endet durch das leidenschaftliche Zerreissen derselben.
Haring und Basquiat neben Dalí und dem Österreicher Arik Brauer, einem der Mitbegründer des phantastischen Realismus; oder ein kapitalismuskritischer Text von Joseph Beuys neben dem «Liebesthermometer» von Rebecca Horn: Auch das ist Heller. Die gleichzeitige Faszination für Revolution und Surrealismus ist einerseits biografisch zu erklären. Heller ist in seiner Kindheit Ohrenzeuge des Echos von Wien um 1900, sein literarischer Fixstern ist Joseph Roth, und unter den Lehrmeistern seines privaten Kunststudiums als Teenager im legendären Wiener Café Hawelka sind sowohl Friedrich Torberg als auch H. C. Artmann.
Anderseits wird man sagen können, dass Hellers Zugriff auf alles, was nicht bei drei auf dem Baum der Sortenreinheit ist, einer Manifestation der Postmoderne gleichkomme. Gemäss dieser hatte er «Luna Luna» konzipiert. So ist der Kunstkarneval auch ein Monument der achtziger Jahre.
Die Geschichte des Verschwindens und der Wiederentdeckung von «Luna Luna» klingt märchenhaft und ist in der Ausstellung ebenfalls gekonnt aufbereitet: Ein Besitzerwechsel und Rechtsstreitigkeiten führten dazu, dass der Grossteil der Fahrgestelle und Attraktionen für Jahrzehnte in Containern in der texanischen Wüste verschwand, bis der kanadische Hip-Hop-Superstar Drake auf die Geschichte von «Luna Luna» aufmerksam wurde. Er erwarb das Material und sorgte mit seiner Produktionsfirma Dream Crew für Restaurierung und Präsentation in der jetzigen Form.
«Luna Luna. Forgotten Fantasy» wird noch bis März in Los Angeles gezeigt und geht dann möglicherweise auf Welttournee. Das Ganze ist nicht nur ein hochpreisiges Spektakel rund um ein kunsthistorisches Juwel – die in den Containern gefundenen Merchandising-T-Shirts aus dem Jahr 1987 werden um die 500 Dollar das Stück verkauft. Durch seine kuratorische Aufbereitung ist «Luna Luna» auch und vor allem ein Kurz- und Grundkurs in Kunst- und Gesellschaftskunde.
Der von André Heller selber in Auftrag gegebene Film über das Entstehen und die Eröffnung des Kunstvergnügungsparks, die Fotodokumentation mit Bildern von Sabina Sarnitz und die historische Einordnung der Personen und Ereignisse rund um die mitwirkenden Künstler machen erlebbar, was die Kunst im Allgemeinen und «Luna Luna» im Besonderen können: die Welt bis zur Kenntlichkeit entstellen.