Mittwoch, März 19

Frankreichs Schuldenberg wächst weiter – für Rating-Agenturen ein Grund, die Bonität des Landes zu senken. Die jüngste Ankündigung kommt eine Woche vor den Europawahlen zur Unzeit.

Es ist ein Schritt, der nicht überraschend kam, der aber doch weh tut: Die amerikanische Rating-Agentur Standard & Poor’s (S&P) senkte am Freitagabend die Kreditwürdigkeit des französischen Staates von AA auf AA-. Es ist das erste Mal seit 2013, dass S&P die Bonität Frankreichs herabstuft – für die französische Regierung ist es jedoch das zweite Ereignis dieser Art innerhalb von etwas mehr als einem Jahr. Im April 2023 hatte bereits die Agentur Fitch ihr Rating für das Land um eine Stufe verschlechtert.

Auch S&P hatte Frankreich bereits Ende 2022 gewarnt, dass dieser Schritt folgen würde, wenn sich die finanzielle Situation des Landes nicht verbessere. Im Juni vergangenen Jahres teilte die Agentur noch mit, wegen der geplanten Massnahmen zur Reduzierung der Staatsschulden und der jüngst durchgesetzten Rentenreform könne Frankreich sein Rating beibehalten. Doch nun äusserte sie Bedenken, dass der Verschuldungsgrad des Landes bis 2027 ansteigen werde und nicht, wie zuvor erwartet, sinken.

Le Maire versucht, das Rating herunterzuspielen

Als weitere Gründe für die Herabstufung nannte S&P das Wirtschaftswachstum, das tiefer ausfallen werde als erwartet, und die «politische Fragmentierung» im Land, die die Umsetzung von Reformen erschwere. Dadurch hat Frankreich jetzt die gleiche Bewertung wie Tschechien oder Estland und steht eine Stufe unter der des Vereinigten Königreichs.

Der Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire versuchte noch am Freitagabend in einem Interview mit der Zeitung «Le Parisien», die Franzosen zu beruhigen: «Wir bleiben auf einem sehr guten Rating-Niveau. Es ist, als wären wir von 18 auf 17 herabgestuft worden, bei insgesamt 20 Punkten.» Frankreich werde auch in Zukunft keine Schwierigkeiten haben, Anleger zu finden.

Tatsächlich dürften die unmittelbaren finanziellen Auswirkungen für das Land gering sein. Zwar haben Rating-Agenturen theoretisch die Aufgabe, die Bedingungen festzulegen, zu denen ein Land Kredite aufnehmen kann. Doch grosse Investoren wie Banken, Versicherer und Investment-Fonds haben ihre eigenen Analysten, die zu anderen Schlüssen kommen können. Zudem ist die Nachfrage nach Staatsanleihen derzeit hoch.

Schwerer wiegt das politische Signal, das S&P mit seiner Entscheidung sendet: Die Agentur hat kein Vertrauen in die Fähigkeiten der Regierung, die Schuldenkrise in absehbarer Zeit zu lösen.

Frankreich kriegt die Schulden nicht in den Griff

Anfang des Jahres hatte die französische Regierung bekanntgegeben, dass ihr Defizit 2023 mit 5,5 Prozent des BIP höher war als erwartet. Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Euro-Zone musste einen unvorhergesehenen Ausfall von 21 Milliarden Euro an Steuereinnahmen hinnehmen. Frankreich hat nun Gesamtschulden von über 3100 Milliarden Euro angehäuft, das entspricht 110 Prozent des BIP und damit dem dritthöchsten Wert in der EU.

Die Situation zeigt die Grenzen von Macrons Wirtschaftspolitik auf: Der Präsident senkte die Steuern für Unternehmen und führte wirtschaftsfreundliche Reformen durch, in der Hoffnung, dass diese Massnahmen das Wachstum ausreichend ankurbeln würden, um Frankreichs grosszügiges Sozialmodell zu finanzieren.

Zwar ist die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten gesunken und die Auslandsinvestitionen sind gestiegen. Doch die Regierung hat weiterhin viel Geld für öffentliche Dienstleistungen und Sondermassnahmen ausgegeben, um Unternehmen und Haushalte vor den Folgen der Pandemie und der Energiekrise zu schützen. Dies hat das Defizit vergrössert und die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben. Und die schlechten Nachrichten reissen nicht ab. Am Donnerstag teilte das Wirtschaftsministerium mit, dass die Konten der Sozialversicherung in den Jahren 2023 und 2024 ein unerwartet hohes Defizit aufweisen werden.

Als die Zinssätze noch niedrig waren, blieben die Auswirkungen der Schulden verhältnismässig gering, aber nun sind Frankreichs Kreditkosten von 29 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf über 50 Milliarden Euro in diesem Jahr gestiegen. Das ist fast so viel wie der französische Verteidigungshaushalt. Im Jahr 2027 werden die Kreditkosten voraussichtlich 80 Milliarden Euro erreichen. Frankreich plant immer noch, sein Defizit bis 2027, dem Ende von Macrons zweiter Amtszeit, auf 3 Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken. Ökonomen halten dies jedoch für unwahrscheinlich, und nun geht auch S&P davon aus, dass die Defizitquote im Jahr 2027 immer noch bei 3,5 Prozent liegen wird.

Opposition übt Kritik

Eine Woche vor den europäischen Parlamentswahlen kommt diese Nachricht für Macron zur Unzeit. Gemäss Umfragen liegt seine Mitte-Allianz «Renaissance» 17,5 Punkte hinter dem nationalistischen Rassemblement national. Die Partei nutzte am Freitagabend die Gelegenheit, um die Haushaltsführung der Regierung zu kritisieren. «Die katastrophale Verwaltung der öffentlichen Finanzen durch ebenso inkompetente wie arrogante Regierungen hat unser Land in sehr grosse Schwierigkeiten gebracht, die sich in Rekordhöhen bei Steuern, Defizit und Schulden niederschlagen», schrieb Abgeordneten-Chefin Marine Le Pen auf der Plattform X.

Macrons Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass er in der Nationalversammlung nur über eine relative Mehrheit verfügt, was seinen Handlungsspielraum einschränkt. Somit erfordern Haushaltspläne, wie etwa die umstrittene Rentenreform im vergangenen Jahr, den Einsatz des Artikels 49.3, durch den die Regierung ein Gesetz ohne parlamentarische Abstimmung verabschieden kann.

Ein solches Vorgehen hat meist einen Misstrauensantrag der Opposition zur Folge, der die Regierung zu Fall bringen könnte. Am Freitag haben sowohl die Abgeordneten der linken Partei La France insoumise und die des Rassemblement national Misstrauensanträge gegen die Regierung eingereicht, um die «Einführung eines beispiellosen Sparkurses» zu bekämpfen. Am Montag sollen diese diskutiert werden. Zwar haben sie kaum Chancen, angenommen zu werden – doch die «politische Fragmentierung», die S&P beklagt, kommt erneut zutage.

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