Mittwoch, Januar 15

Lange Zeit galt der Markt für Gewerbeimmobilien in den USA als sicherer Hafen. Jetzt gerät dieser Bereich ins Wanken. Könnte er womöglich eine Finanzkrise wie 2008 auslösen?

Vor einem Jahr schlitterten mehrere amerikanische Regionalbanken in eine tiefe Krise. Die Institute mussten verkauft oder abgewickelt werden. Auch die bereits angeschlagene Credit Suisse geriet in diesen Sog und wurde durch die UBS übernommen.

Kaum ein Finanzexperte hätte damals wohl darauf gewettet, was im weiteren Jahresverlauf folgte. Die Wall Street startete eine historische Rally. Erst vor einer Woche erreichte der S&P-500-Index erstmals in der Geschichte die Marke von 5000 Punkten. Vor weniger als fünf Jahren hatte das breite Börsenbarometer erstmals über 3000 Punkten geschlossen. Auf den ersten Blick sieht es also nach einer heilen Welt an der Wall Street aus. Doch im Hintergrund rumort es.

Leuchtende Augen der Händler

Louis arbeitet seit den 1980er Jahren auf dem Parkett der New Yorker Börse. Sein Arbeitgeber will nicht, dass er mit der Presse redet, weshalb er nur mit Vornamen genannt wird. Louis bekommt leuchtende Augen, wenn er über die derzeitige Marktlage spricht. Er sieht eigentlich keinen Grund, weshalb die Rekordfahrt nicht noch weitergehen sollte.

Und was ist mit der derzeitigen Krise am amerikanischen Markt für Gewerbeimmobilien? Wenn die Zinsen wider Erwarten steigen sollten, dann könnte sich das als Problem erweisen, sagt er. Aber Krisen kommen üblicherweise aus einer Richtung, mit der niemand rechnet. Die Probleme bei den Geschäftsliegenschaften beschäftigen die Wall Street schon längere Zeit.

Vor allem Regionalbanken, die traditionell einen Grossteil der Kredite für Gewerbeimmobilien stellen, waren jüngst wieder unter Druck geraten. Der Aktienkurs der New York Community Bank wurde innerhalb weniger Handelstage mehr als halbiert. Laut jüngsten Studien befindet sich fast die Hälfte der Darlehen an amerikanischen Gewerbeimmobilien bei den Banken «unter Wasser»: Der Wert der Immobilie liegt also unter dem Wert der noch ausstehenden Kredite.

Die Krise zieht sich durch das ganze Land. «Es ist eine ungünstige Kombination», sagt Peter Cardillo, Chief Market Economist bei Spartan Capital Securities. Cardillo geht regelmässig in sein Büro, das nur wenige Meter von der New York Stock Exchange entfernt ist. Das gilt für viele New Yorker jedoch nicht. «Zum einen arbeiten immer noch viele im Home-Office. Zum anderen sind die Zinsen in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen.» Auch Cardillo glaubt, dass sich die Marktteilnehmer der Risiken bewusst sind. Schliesslich habe es gerade erst eine Immobilienkrise in China gegeben, die global kein Beben ausgelöst habe.

Diese Ruhe mag trügerisch sein. Im ganzen Land häufen sich jedenfalls die Meldungen von drohenden Ausfällen. Der Markt für Gewerbeimmobilien in den USA wird auf 20 Billionen Dollar geschätzt. Das entspricht rund drei Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung der USA. In Los Angeles wurde im Dezember ein Büroturm mit einem Abschlag von 45 Prozent verkauft. In San Francisco gab es im vierten Quartal einen Leerstand bei Gewerbeimmobilien von 37 Prozent. Und in Chicagos Geschäftsviertel gibt es Gebäude, die nur zu 17 Prozent belegt sind.

Refinanzierung wird schwieriger

Die Probleme haben sich spätestens seit der Krise der Regionalbanken vor einem Jahr abgezeichnet. Mit den höchsten Zinsen seit über 20 Jahren wird die Finanzierung immer teurer. Das ist vor allem dann ein Problem, wenn die Laufzeiten enden und neue Kredite zu höheren Konditionen aufgenommen werden müssen.

Laut Goldman Sachs werden dieses und nächstes Jahr Hypotheken auf Gewerbeimmobilien im Wert von 1,2 Billionen Dollar fällig. Gleichzeitig ist der Wert vieler Immobilien angesichts der geringeren Belegung und Nachfrage gefallen. Oft deckt der Immobilienwert deshalb den Betrag der noch fälligen Hypothek nicht mehr. Das erinnert an die Immobilien- und Finanzkrise 2007/2008.

Ein Kollege von Louis auf dem Parkett der NYSE hat einige Freunde in der Immobilienbranche. Er hört immer häufiger, dass Bürogebäude in Wohnraum umgewandelt werden. Das ist im Finanzdistrikt in Manhattan an vielen Stellen zu beobachten. Allerdings rechnet sich das aus Kostengründen nicht in jedem Fall. Auch architektonisch ist das häufig schwierig. Im New Yorker Finanzdistrikt etwa sind viele Gebäude auf Handelsräume ohne Fenster ausgerichtet.

In den amerikanischen Medien wird derzeit fast täglich davor gewarnt, dass es zu massiven Ausfällen kommen könne. Hunderte Banken seien in Gefahr – vor allem, wenn im kommenden Jahr Hypotheken im Wert von Hunderten Milliarden Dollar fällig werden. Eine Strategie der Banken: Es wird versucht, Kredite zu verlängern und so zu tun, als ob sich die Situation auf längere Sicht normalisiert.

Die amerikanische Notenbank wird in diesem Jahr voraussichtlich anfangen, die Zinsen zu senken. Das kann etwas Druck vom Markt nehmen. Jede Krise findet auch ihre Profiteure. So versuchen Investoren, an günstige Objekte zu kommen, und setzen darauf, dass die Nachfrage mittelfristig wieder anzieht. Anders als in der Schweiz läuft die Rückkehr ins Office in den USA allerdings viel zögerlicher. Auch wenn immer mehr Unternehmen, vor allem in der Finanzindustrie, wieder die regelmässige Anwesenheit einfordern.

Grossbanken bilden Rückstellungen

Es ist nicht auszuschliessen, dass einzelne Regionalbanken die Krise nicht überleben werden. Aber droht eine Ausweitung der Krise auf das gesamte Finanzsystem wie bei der Pleite von Lehman Brothers? Die grossen Banken in den USA scheinen verhältnismässig sicher zu sein. Zudem wurden Rücklagen gebildet. Wells Fargo etwa hat Ende vergangenen Jahres 3,9 Milliarden Dollar für drohende Ausfälle zur Seite gelegt.

Betroffen sind auch Banken in Übersee, etwa in Japan oder Deutschland. In der Phase der Niedrigzinsen waren Investitionen in US-Staatsanleihen keine attraktive Option. Gewerbeimmobilien galten in den USA als eine renditeträchtigere Möglichkeit mit einem überschaubaren Risiko. Dann allerdings kamen die aggressivsten Zinserhöhungen der Notenbank seit Anfang der 1980er Jahre, die auf die Werte drücken.

Die Akteure an der Wall Street sind sich der Problematik bewusst, aber mit einem Absturz rechnet kaum jemand. «Es ist ein wirtschaftlicher Faktor, der ernst zu nehmen ist», sagt Peter Cardillo. Aber wird das eine erneute Finanzkrise auslösen? Das glaubt er nicht. Das Problem sei ja bekannt. Zudem könne es auch sein, dass tiefere Zinsen die Lage entspannen. Oder Unternehmen bringen wieder einen grösseren Teil der Mitarbeiter zurück ins Office.

Sollten die USA jedoch in eine tiefere Rezession rutschen, könnte das zu weiteren Office-Schliessungen führen. Doch noch setzt die Wall Street auf eine weiche Landung. Das billige Geld in den vergangenen Jahren habe Firmen dazu verführt, Mietverträge abzuschliessen, die viel zu teuer waren, so Cardillo weiter. Jetzt gibt es eine gewisse Bereinigung. Nur wenn plötzlich die Inflation doch noch einmal anziehen sollte und die Zinsen noch weiter angezogen werden müssten, gäbe es ein ernsthaftes Problem, sagt er zum Schluss.

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