Dienstag, November 26

Für die Cruise-Kollektion 2025 entführt Dior nach Schottland, wo 1955 Christian Dior selbst in Perthshire eine Modeschau zeigte. Heute führt die Designerin Maria Grazia Chiuri seine Vision zeitgemäss fort.

Nun also Schottland. Seit Maria Grazia Chiuri im September 2016 zur Chefdesignerin für die Damenlinien der Pariser Maison Dior wurde, nutzte sie jede ihrer jährlichen Cruise-Kollektionen als Gelegenheit, um den Spuren des vielgereisten Firmengründers Christian Dior (1905–1957) in der Welt zu folgen. Wie schon bei den vorhergehenden Cruise-Kollektionen – jenen Zwischenkollektionen mit ganzjährig aktueller Mode, die einst von der Industrie für die wohlhabende Kundschaft entworfen wurde, die in der kalten Jahreszeit auf Kreuzfahrten unterwegs war oder sich in Luxusresorts an warmen Ferienzielen aufhielt – wählte Chiuri mit Schottland auch diesmal eine Destination, die mit der Firmenhistorie eng verbunden ist.

Eine Affinität zu Schottland drückte Christian Dior immer wieder in seinen Kollektionen mit Tartan-Karomustern aus. «Tartan ist vielleicht das einzige der ausgefallenen Materialien, das immer wieder auftaucht. Es erscheint jede Saison in irgendeiner Form und ist immer jung und fröhlich . . .», schrieb der Modeschöpfer später in seinem Buch «The Little Dictionary of Fashion», wies aber auch auf die traditionelle Verwendung von Tartan hin, die schottischen Kilts.

In seinem zweiten Defilee, für Herbst/Winter 1947, gab er einem karierten Ensemble gar den Namen «Écosse», französisch für Schottland. Vier Jahre später, 1951, präsentierte er seine Frühjahr/Sommer-Kollektion in der Grafschaft Perth (Perthshire), und er kehrte 1955 mit 172 Entwürfen dorthin zurück, um diese an einem prächtigen Wohltätigkeitsball zugunsten der Friends of France im Hotel «Gleneagles» und auch im Hotel «Central» in Glasgow vorzustellen. 1960 veranstaltete die englische Tochtergesellschaft des Hauses Dior, Christian Dior London, eine weitere Benefizveranstaltung im Scone Palace bei Perth.

Französische und italienische Renaissance-Einflüsse

Maria Grazia Chiuri, Diors sechste Nachfolgerin, griff nun für die jüngste Cruise-Kollektion diese Verbindung zwischen der Pariser Maison und der vielfältigen Kultur Schottlands auf. Sie wählte aber weder das hundertjährige Hotel «Gleneagles» noch den Scone Palace, einst Parlamentssitz und Krönungsort schottischer Könige, als Location. Chiuri, die das Land auf Anregung ihrer Freundin, der Modeautorin Justine Picardie, erstmals 2023 besuchte, entschied sich für ein historisches architektonisches Kleinod namens Drummond Castle. Die zwei Kilometer lange Baumallee, die zur Burg auf einem Felsgrat hinaufführt, und der Ausblick von dort auf einen der schönsten Terrassengärten Grossbritanniens bilden die perfekte Kulisse für eine Modeschau.

Die Tatsache, dass die Gärten in den 1630er Jahren mit französischen und italienischen Renaissance-Einflüssen errichtet wurden, bekräftigte Chiuri in ihrem Entscheid – eine Parallele zu ihr als italienischer Kreativchefin eines französischen Modehauses, das sich nun mit Schottlands Szenerie und Kulturerbe neu auseinandersetzt.

Die üppigen Gärten von Drummond Castle im schottischen Perthshire.

Kulturaustausch und das Vermitteln neuer Werte und Narrative sind Chiuris Leitthema bei Dior. Als erste Kreativchefin in der Historie des Hauses setzte sie im September 2016 mit dem ersten Look ihrer Debütkollektion ein klares Statement, das ihr seither als Stossrichtung diente: ein weisses T-Shirt mit der Aufschrift «We Should All Be Feminists» – wir sollten alle Feministen sein –, dem Titel eines Essays der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie.

Kritiker unterstellten Chiuri von Anfang an, dass sie uninspirierte Kommerzmode entwerfe. Doch ihren kreativen Stempel drückt sie den Dior-Damenkollektionen nicht nur in Form modern-eleganter, aber tragbarer Mode auf. Denn statt die klischeehafte Vorstellung von Weiblichkeit weiterzuverfolgen, die der Name Dior in den siebzig Jahren vor ihr so prägte, wollte sie der Maison eine zeitgemässere Facette verleihen, wie sie kürzlich in einem Interview mit «Women’s Wear Daily» betonte: Ihr sei es von Anfang an ein Anliegen gewesen, dass man über Weiblichkeit in einer komplexeren Weise sprechen müsse.

«New Voice» statt «New Look»

Nicht ein bestimmter Look soll Chiuris Definition von Weiblichkeit ausdrücken, sondern eine bestimmte Haltung. Die Auseinandersetzung mit der neuen Generation von Aktivistinnen sei für sie von grundlegender Bedeutung, um das einst vorherrschende Tabu zu brechen: eine Feministin, die Mode mache, erklärte sie weiter. Für ihre Kollektionen ist sie im engen Austausch mit Personen, die gegenüber der Modebranche Aussenstehende sind – Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und Choreografinnen –, feministische Botschaften sind ihr bei neuen Kollektionen ebenso wichtig wie deren Tragbarkeit. Für ihre Kampagnen arbeitet sie ausschliesslich mit Fotografinnen. Dior als Plattform der weiblichen Ermächtigung: «New Voice» statt «New Look».

Die 1964 geborene Chiuri, Tochter einer Schneiderin, startete nach einem Modestudium mit zwanzig ihre Karriere in der Modebranche – bei den fünf Fendi-Schwestern entwarf sie zusammen mit dem Kollegen Pierpaolo Piccioli etwa die legendäre «Baguette»-Tasche, unter Valentino Garavani und dessen Partner Giancarlo Giam­metti war das Duo dann für den Erfolg der «Rockstud»-Pumps von Valentino verantwortlich. Sie rückten ab 1999 ins Rampenlicht und übernahmen im Tandem bis 2008 die Kreativleitung. Eine gewisse Silhouette, langgezogen mit hoher Taille im Stile von Renaissance-Königinnen, konnten sie schon damals erfolgreich etablieren. Bei Dior dient diese nun als Basis für eine entspanntere Neuinterpretation von Christian Diors New Look genannte Ligne Corolle von 1947.

In wohl keiner anderen Kollektion zollt sie den Inspirationen, die am Ursprung dieser Silhouette standen, so klar Tribut wie in der gegenwärtigen Cruise-Kollektion. Wichtige Inspiration dafür war ein Buch der Textilexpertin Clare Hunter über Mary Stuart, Königin der Schotten, sowie Stickereien als damalige Sprache der Macht. Laut Hunter hatten Textilien in der Renaissance des 16. Jahrhunderts einen ähnlichen Stellenwert wie Münzen, Papiergeld oder sogar Rüstungen. Wandteppiche und Stickereien steckten voller Symbolik und Botschaften, repräsentierten Macht, Status und Wohlstand.

Chiuri verwob diese historischen Stilreferenzen mit der schottischen Geschichte der Gegenwart. Das reiche Textilerbe des Landes wurde repräsentiert durch eine Reihe von Kleidungsstücken von schottischen Herstellern wie etwa der Weberei Harris Tweed, den Cashmere-Fabrikanten Johnstons of Elgin und Esk Cashmere oder dem Strickspezialisten Robert Mackie. Chiuri arbeitete für einige Looks auch mit Le Kilt zusammen; die Modedesignerin Samantha McCoach gründete ihr unabhängiges schottisches Label zusammen mit ihrer italienischen Grossmutter, einer Kiltschneiderin.

Die Kollektion ist ein rauschhafter Mix aus Texturen, Mustern, Symbolen und Referenzen. Majestätisch schritten die Models die steile Steintreppe vom herrschaftlichen Schloss herunter, wandelten zwischen perfekt gestutzten Hecken und wohl angeordneten Büschen. Jedes Model schien wie eine kühne Protagonistin aus sagenumwobenen Mären, die mal in den Highlands, mal in der Punkszene ihre Ursprünge haben. Die Outfits: stimmungsvolle und vielschichtige Assemblagen, bis ins kleinste Detail durchdacht, Ensembles mit bauschigen Röcken aus kariertem Tweed, dazu Gummistiefel und derbe, nietenbesetzte Ledergürtel, reich verzierte Prinzessinnenroben mit weiten Ärmeln, aus schwarzem Samt oder crèmefarbener Spitze.

Jedes der poetisch dekorierten Outfits schien ein Wispern voller Geschichten und Anekdoten zu umgeben, mystisch und sagenumwoben, wie diese geschichtsträchtige Ecke der Welt selbst: Schottland. Was da Chiuri Anfang Juni im prächtigen Garten von Drummond Castle in Perthshire präsentierte – und was dieser Tage in die Läden kommt –, entpuppte sich als eine ihrer gelungensten Kollektionen.

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