Samstag, November 23

Seit frühster Kindheit gab er den Takt an. Ein knappes Jahrhundert lang prägte der afroamerikanische Schlagzeuger Roy Haynes die Jazzgeschichte mit. Am Dienstag ist er 99-jährig gestorben.

Wenige Schlagzeuger spielten je so locker und präzise, so schlagfertig und gewitzt wie Roy Haynes. Seine künstlerische Präsenz zeigte sich in jedem Moment seiner gut 80-jährigen Karriere. Und am Ende seines langen Lebens kann man sich über seinen Tod mit der Feststellung hinwegtrösten, dass noch selten ein Musiker, ein Mann, ein Mensch so spielerisch und souverän umgegangen ist mit der Zeit.

Wenn er nun im Alter von erstaunlichen 99 Jahren das Zeitliche gesegnet hat, so bleibt immerhin die Erinnerung an einen Musiker, der in seinen späten Jahren nicht nur von Weisheit und Reife profitierte, sondern immer noch sprühte vor jugendlicher Lebenslust.

Auch wenn es Roy Haynes nie zum weitherum gefeierten Star gebracht hat, auch wenn er selbst in seinem eigentlichen künstlerischen Biotop, dem Jazz, zunächst vor allem unter Musikern verehrt wurde und erst später allmählich von einem breiteren Publikum, so war er doch eine Jahrhundertfigur – durchaus im wörtlichen Sinne.

Ruf von Boston nach New York

Geboren am 13. März 1925 in Boston als Sohn von Immigranten aus Barbados, wuchs Roy Haynes in einem multikulturellen Milieu auf. Später betonte er in Interviews, wie sehr ihn die mondäne Umgebung im Stadtteil Roxbury inspiriert habe. Eine enge Vertrautheit mit dem gesellschaftlichen und politischen Geschehen verdankte er seinem Bruder, einem Baptistenprediger, der bald an der Seite von Martin Luther King für die Bürgerrechte der afroamerikanischen Bevölkerung kämpfen sollte.

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An den Beginn seiner musikalischen Karriere konnte sich Roy Haynes später nicht mehr erinnern. Es komme ihm vor, als habe er getrommelt, noch bevor er ein Schlagzeug besessen habe, antwortete er auf einschlägige Fragen. Sicher ist jedenfalls, dass er sich bereits als Teenager in der Bostoner Szene so sehr profilierte, dass sein Ruf bald bis New York reichte. Prompt wurde er 1945 vom Big-Band-Leader Luis Russell engagiert. 1947 spielte er bereits an der Seite des legendären Saxofonisten Lester Young.

Damit begann ein musikalischer Werdegang, der in den folgenden acht Dekaden an kaum einem Stil und kaum einem stilbildenden Jazzmusiker vorbeiführte – vom Swing über Bebop, Hard Bop, Free Jazz bis hin zu Funk und Rock; von Charlie Parker und Miles Davis über Sarah Vaughan, Lennie Tristano, Stan Getz und John Coltrane bis hin zu Kenny Burton, Chick Corea oder Ray Charles. «Last, but not least» hat sich Roy Haynes auch in eigenen Formationen in Szene gesetzt, wie etwa in seinem Hip Ensemble. Zu den wichtigsten Aufnahmen unter seinem Namen gehören «We Three» (1959), «Out Oft he Afternoon» (1962), «The Roy Haynes Trio» (2000).

Die Geschichte mitgeprägt

Es versteht sich von selbst, dass ein Musiker, der die ganze Jazzgeschichte miterlebt hat, sie auch mitprägte. Was die perkussiven Innovationen betrifft, so mochte er zwar wiederholt im Schatten anderer Rhythmiker stehen. Aber Roy Haynes war früh schon so virtuos und flexibel, dass das an den Becken orientierte Powerplay der Bebop-Drummer Kenny Clarke und Max Roach so organisch aus der eigenen Fertigkeit herauswuchs wie später das stürmische Drumming, das Elvin Jones geprägt hatte.

Alles spielte Haynes stilsicher zur rechten Zeit. An der Seite der Sängerin Sarah Vaughan pflegte er Sparsamkeit und Eleganz. Für Miles Davis liess er sich zu avantgardistischen Sound-Experimenten verführen; die Coolness von Stan Getz oder Gary Burton kontrastierte er mit zuweilen bombastisch-virtuosen Solos. Legendär ist auch die Piano-Trio-Aufnahme «Now He Sings, Now He Sobs» (1962), wo Haynes im Austausch mit Chick Corea und dem Bassisten Miroslav Vitous durch elektrisierende Geistesgegenwart glänzte.

Für Roy Haynes war entscheidend, dafür lobten ihn auch Schlagzeuger-Kollegen wie Mel Lewis und Jack DeJohnette, dass er sich, die Augen scheinbar an die Unendlichkeit verloren, ganz auf das Zusammenspiel und den Gesamtsound konzentrierte. Seine Brillanz blieb stets transparent, die Mitmusiker wurden nie mit Lärm übertönt. Alert und gewitzt setzte er Akzente unter ihre Melodien oder jonglierte mit ihren rhythmischen Figuren, um Schneisen und Pausen für pointierte perkussive Statements zu nutzen.

«Best dressed man»

Oft setzte er auf Understatement, dies aber wirkte auf seine Art stets cool. Überhaupt – die «Coolness»! Unterdessen mag das ein strapazierter Begriff sein. Ein Roy Haynes aber könnte ihn geprägt haben. Dafür sprachen auch das Auftreten und der Habitus des Gentlemans. Roy Haynes wurde mit vielen Preisen und Auszeichnungen geehrt. 1996 machte ihn die französische Regierung zum «Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres»; 2012 erhielt er den Grammy in der Kategorie Lifetime-Achievement.

Bezeichnend ist überdies, dass ihn das Magazin «Esquire» 1960 zum «best dressed man» der USA erklärte – wie zuvor Fred Astaire, Gary Grant, Miles Davis. Man mag vorsichtig sein mit Analogien. Die Kombination von Perfektion, Eleganz und Nonchalance aber, die seinen Kleidungsstil bestimmte – sie prägte ein Leben lang auch sein Schlagzeugspiel. Am Dienstag ist Roy Haynes nach kurzer Krankheit 99-jährig in Nassau County, New York, gestorben.

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