Hunderttausende protestierten am Samstag gegen die Trump-Regierung. Doch die Parteispitze schlafe weiter, sagt Faiz Shakir. Der politische Berater der linken Kultfigur Bernie Sanders fordert eine populistische Renaissance der USA, über die Parteigrenzen hinaus.
So stellt man sich einen linken Aktivisten nicht unbedingt vor: Faiz Shakir trägt Krawatte und Anzüge, die sitzen. Er gilt als einer der umtriebigsten Aktivisten der Demokraten, als unkonventioneller Stratege und beissender Kritiker des Partei-Establishments der Demokraten. In den Protesten am vergangenen Samstag sieht er den Anfang einer populistischen Revolte in den USA, jenseits des typischen Rechts-links-Schemas und der Parteigrenzen. Er nimmt die Tea-Party-Bewegung der Republikaner als Vorbild und hält sich im Interview mit Kritik an Donald Trump auffallend zurück.
Der 45-jährige Harvard-Jurist ist der Sohn pakistanischer Immigranten. Er war in führender Position bei der grössten amerikanischen Bürgerrechtsorganisation American Civil Rights Union, bevor er 2020 den Präsidentschaftswahlkampf von Bernie Sanders leitete. Im Frühjahr kandidierte er als Parteipräsident der Demokraten. Er forderte eine populistische Neuorientierung der Partei, die seiner Ansicht nach den Kontakt zum Volk verloren hat – und verlor gegen Ken Martin, den Parteichef von Minnesota.
Im März organisierte Shakir zehn Grossveranstaltungen unter dem Titel «Fighting Oligarchy Tour» mit dem unabhängigen Senator Bernie Sanders und der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez. Beide sind bekennende Sozialdemokraten und politisieren am linken Rand der demokratischen Fraktion. Ihre Events zogen beachtliche Massen an.
Herr Shakir, am Samstag gab es in vielen Städten Proteste gegen die Trump-Regierung. Und in Wisconsin siegte eine linksliberale Richterin im Rennen um den Sitz im dortigen Supreme Court, obwohl Elon Musk Millionen Dollar in den Wahlkampf ihres konservativen Gegners gesteckt hatte. Macht Ihnen das Mut?
Absolut. Ich glaube, es kommt zu einer populistischen Revolte, auf die ich seit über zehn Jahren warte. Die Menschen in Wisconsin und anderswo revoltieren gegen das, was Elon Musk verkörpert – seine Überheblichkeit, seine Gleichgültigkeit gegenüber arbeitenden Amerikanern und seine Zerstörung wichtiger staatlicher Dienste.
Apropos Volksaufstand: War es nicht eben gerade Donald Trump, der das Volk in den Wahlen auf seiner Seite hatte?
Aus Trumps Wahlsieg ergeben sich wichtige Lektionen für die Demokraten. Sie müssen endlich begreifen, dass das Leben der Menschen in den USA immer schwieriger wird. Und dass diese frustriert sind über eine ineffiziente, aufgeblähte Bürokratie. Die Menschen wollen Reformen, nicht Ideale. Sonst gewinnen jene, die alles niederbrennen wollen, um daraus Profit zu schlagen.
Wenn man die Debatte in liberalen Medien verfolgt, entdeckt man wenig Tatkraft, eher Lähmung, Schuldzuweisungen und ein Tal der Tränen. Wie hilfreich ist das?
Es braucht harte Selbstkritik. Leider ist die öffentliche Debatte den führenden Demokraten voraus. Ich glaube nicht, dass sie wirklich selbstkritisch sind. Ihnen fehlt die Tuchfühlung mit dem Volk. An die Veranstaltungen von Bernie Sanders strömen Zehntausende Menschen. Das bekommt sonst kein Demokrat hin. Sie gehen lieber an Veranstaltungen mit wenigen reichen Spendern. Dabei wollen die amerikanischen Bürger an der Politik beteiligt werden, sie wollen politisch aktiv sein.
Auch Trump hat vermögende Geldgeber, und trotzdem lieben ihn seine Anhänger. Was können die Demokraten von Trump lernen?
Der Unterschied ist: Die Geldgeber arbeiten für Trump, und das erkennen die Leute. Allerdings unterschätzen sie den Einfluss von Tech-Milliardären wie Zuckerberg oder Bezos, weil sie denken: Trump hat die Kontrolle. Sie glauben, er kämpfe für sie, wenn er Zölle verhängt oder Einwanderer deportiert. Gleichzeitig schaden ihm jetzt Elon Musk und dessen radikale Agenda. Trump hat nie versprochen, die Hälfte der Regierung zu streichen. Nun geschieht es dennoch. Für uns ist das eine Chance.
Und ja, wir können von Trump lernen: Er liebt den Kontakt zu Menschen. Werden wir mehr wie er – aber besser als er.
Es gibt auch inhaltliche Gemeinsamkeiten: Wie Trump wollen linke Demokraten industrielle Arbeitsplätze zurückholen. Freuen Sie sich über die Handelszölle von Trump?
Trumps Zollregime ist schlecht durchdacht und von Ressentiments getrieben. Vorbildlich machte es Joe Biden mit strategisch gezielten Zöllen auf bestimmten Produkteklassen. Wir müssen Instrumente einsetzen, um multinationale Konzerne zu zwingen, endlich Verantwortung zu übernehmen: für die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland und die Zerstörung der amerikanischen Mittelschicht.
Die «Fighting Oligarchy Tour» des linken Politikerduos Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez zog kürzlich erstaunliche Massen an – was war das Ziel? Es stehen keine Wahlen an.
Es ist wichtig, aus den Kategorien «links» und «rechts» auszubrechen. Vielmehr geht es um einen Kampf der Mächtigen gegen alle andern. Sanders ist 83 Jahre alt. Er wird nicht mehr als Präsident kandidieren. Warum kommen also dennoch über 20 000 Menschen zu seinen Veranstaltungen? Weil sie damit ihren Willen ausdrücken und sagen können: «Das ist genau die Art Kampf gegen die Oligarchie, gegen die Konzentration von Reichtum und Macht, von der ich möchte, dass ihr mehr Menschen folgen.» Wir erreichen auch Leute, die Trump gewählt haben.
Sind zwei so weit links stehende Demokraten wirklich geeignet, eine Mehrheit zu mobilisieren, nachdem die amerikanische Wählerschaft deutlich nach rechts gerückt ist?
Genau diese Sichtweise ist meiner Meinung nach falsch. Bernie Sanders hat momentan einen solchen Erfolg weit über das Lager der Demokraten hinaus, weil er glaubwürdig für die Arbeiterklasse kämpft. Man glaubt ihm, wenn er sagt, er wolle gegen das Establishment vorgehen. Es geht nicht um «links» und «rechts», sondern um Authentizität und Integrität. Ocasio-Cortez ist eine ehemalige Kellnerin aus New York, die genau wie Senator Sanders noch nie Spenden von grossen Geldgebern angenommen hat. Es gibt einen grossen Appetit im Volk darauf, die politische Korruption zu bekämpfen.
Es gibt einen Strategie-Streit unter den Demokraten, wie man gegen Trump Opposition machen soll. Der berühmte Stratege von Bill Clinton, James Carville, plädiert für eine strategische Feuerpause, statt sich von Trump provozieren zu lassen. «Roll over and play dead», rät er der Partei. Hat das nicht was?
Diese Argumentation ist verständlich, aber problematisch. Wenn man sich jetzt «tot stellt» und darauf wartet, dass Trump sich selbst zerstört, tun man nichts, um die Wahrnehmung der Demokraten zu verändern. Ihr Image bleibt toxisch. Deshalb war es so ärgerlich, als Chuck Schumer Ende März im Senat das Haushaltsgesetz der Republikaner durchwinkte, statt es zu blockieren und damit einen teilweisen Regierungsstillstand zu riskieren. Er hätte die Gelegenheit nützen können, zu zeigen, dass die Demokraten Kampfgeist besitzen und genauso wütend sind auf die Trump-Regierung wie ihre Wähler. Stattdessen sind nun die Wähler wütend auf Chuck Schumer. Die Demokraten müssen aufhören, sich tot zu stellen.
Aber die Demokratische Partei hat nun mal das politische Personal, das sie hat. Die Zwischenwahlen finden in 18 Monaten statt. Wie einigen sie sich auf einen Kurs, wie stellen sie mehrheitsfähige Kandidaten auf?
Sie meinen, man muss mit der Armee kämpfen, die man hat? (Lacht.) Nun, ich bin optimistisch, dass in den kommenden Jahren immer mehr Menschen aus bescheidenen Verhältnissen in die Politik gehen und für Ämter kandidieren. Die derzeitigen krassen politischen Verhältnisse wirken mobilisierend auf ganz normale Leute. Bleibt zu hoffen, dass das demokratische Establishment solche Kandidaten nicht stoppt mit ihrer Wahlkampfmaschine, denn daraus könnten bildlich gesprochen tausend Blumen erblühen.
So wie bei der Tea-Party-Bewegung der Republikaner 2010, als die Basis sich gegen Barack Obama organisierte?
Ja, es ist genau der richtige Moment für einen Volksaufstand dieser Art. Die Bürger sind aufgewühlt, sie stellen berechtigte Fragen, wie: Wozu gibt es überhaupt eine Regierung? Eine Regierung existiert für alle Menschen. Die Dienstleistungen, die jetzt von Musk so herzlos dezimiert werden, haben wir als Gesellschaft lange als vorteilhaft anerkannt: die Medikamenten- und Lebensmittelprüfer, medizinische Forscher, Nuklearwissenschafter, Park-Ranger. Sie dienen allen Menschen. Aber wer extrem reich ist, den kümmert das nicht. Reiche können sich Dienstleistungen kaufen. Solche Gedanken treiben die Menschen um. Und ich hoffe, es entsteht eine Bewegung, die Antworten für die Gesellschaft der Zukunft findet.
Am Samstag gab es Proteste in vielen Städten der USA, aber sie waren im Vergleich mit 2017 immer noch eher klein. Sind die Leute wirklich so politisch engagiert, wie Sie sagen?
Es gingen Hunderttausende auf die Strasse! Aber, ja, es gibt eine gewisse Mutlosigkeit. Das hat mit dem Vorgehen von Trump gegenüber der Justiz und seiner Macht im Kongress zu tun. Er will, dass die Leute denken, er sei nicht aufzuhalten, und das erzeugt ein Gefühl der Ohnmacht. Zudem verbreitet Donald Trump durch seine Angriffe auf protestierende Studierende gezielt Angst – nach dem Motto: «Wenn du protestierst, dann wissen wir vielleicht, wer du bist, und vielleicht rächen wir uns an dir.» Ich denke, das hält die Leute davon ab, auf die Strasse zu gehen.
Auch die demokratische Elite spielt auf der Klaviatur der Angst. Ist es zielführend, Donald Trump einen Faschisten zu nennen, wie es Bernie Sanders getan hat? Ist das nicht ebenso entmutigend?
Wenn man das Gefühl vermittelt, die Bürger könnten nichts gegen Trump tun, dann ja. Aber Bernie Sanders zeigt, wie man sich wehrt. Wir haben die Stationen unserer Veranstaltungen gezielt ausgewählt: in Omaha, Iowa City, Denver und Tucson. Dort müssen sich bei den Zwischenwahlen 2026 Republikaner zur Wiederwahl stellen, deren Sitze gefährdet sind. Sie werden unangenehme Fragen der Wähler beantworten müssen. Wollen sie wirklich 800 Millionen Dollar Krankenkassengelder streichen, wie das die Republikaner im Kongress planen? Wollen sie Steuererleichterungen für Reiche? Genau das planen die Republikaner im Kongress.
Wird es 2028 noch freie und faire Wahlen in den USA geben?
Donald Trump verunsichert die Wähler bewusst, um die Demokratie zu untergraben. Doch das darf nicht unser Fokus sein. Während der vier Jahre von «Sleepy Joe» Biden im Weissen Haus fehlte der Enthusiasmus. Es herrschte Apathie. Jetzt spürt man – auch wenn viele den Fernseher am liebsten abschalten möchten –, dass die Menschen politisch aufwachen. Das ist eine gute Entwicklung.