Dienstag, Oktober 22

Mit der Aufnahme weiterer Länder steigert der Schwellenländer-Verbund seinen globalen wirtschaftlichen Einfluss. Doch mehrere Faktoren könnten die Dynamik künftig bremsen.

Bis zum Beginn des Brics-Gipfels waren es noch knapp zwei Wochen, da machte sich der diesjährige Gastgeber Russland schon einmal daran, den passenden rhetorischen Rahmen für das Treffen zu setzen.

«Die Brics-Staaten sind der Motor, die treibende Kraft des Wirtschaftswachstums», sagte Russlands Finanzminister Anton Siluanow am 12. Oktober an einer Konferenz in Moskau. Das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum der Brics-Volkswirtschaften werde in diesem und im nächsten Jahr 4,4 Prozent betragen, sagte Siluanow.

Die G-7-Staaten kämen hingegen nur auf ein Wachstum von 1,7 Prozent. Siluanow sagte: «Es ist klar, wessen wirtschaftliche Entwicklung dynamischer ist.» Es war eine gezielte Breitseite gegen den Westen.

An diesem Dienstag beginnt im russischen Kazan der 15. Brics-Gipfel, und Russland will die Integration des noch wenig formalisierten Bündnisses vorantreiben. Der Grund dafür sind die umfassenden Sanktionen, die der Westen gegen Moskau wegen seines Angriffs auf die Ukraine verhängt hat. Um die Auswirkungen abzumildern, will Russland den Warenaustausch und die Investitionen unter den Brics-Mitgliedern voranbringen.

Mehrere neue Mitglieder

Die Chancen dafür stehen auf den ersten Blick nicht schlecht, denn das Bündnis hat in den vergangenen Jahren einige neue Mitglieder bekommen. Ausserdem sind die Brics-Staaten in jüngster Zeit – angetrieben von China – enger zusammengerückt.

Bereits im Jahr 2010 trat Südafrika dem Zusammenschluss der Länder Brasilien, Russland, Indien und China bei. Am Gipfel in Südafrika im vergangenen Jahr ergingen Einladungen an Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudiarabien.

Nur die argentinische Regierung entschied, dem Brics-Bündnis nicht beizutreten. Saudiarabien will mit einer Zusage noch warten. Weiter wachsen dürfte der Verbund aber trotzdem: Zwölf weitere Staaten haben eine Aufnahme beantragt.

«Die Krisen der jüngsten Vergangenheit haben einer Brics-Erweiterung spürbares Momentum verliehen», heisst es in einer aktuellen Untersuchung der Boston Consulting Group. Mehrere grosse Entwicklungsländer, die weder an der Seite der Nato noch an russischer Seite stehen, hätten dem Druck des Westens widerstanden, Sanktionen gegen Russland mitzutragen.

Andere Länder beschweren sich, die G-7-Staaten nähmen bei der Bekämpfung der Klimakrise und der Pandemie kaum Rücksicht auf ihre Interessen. Solche Befindlichkeiten geben dem Brics-Verbund Rückenwind.

Mit der Erweiterung des Schwellenländer-Verbunds auf nunmehr neun Mitglieder, die die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren, hat auch das wirtschaftliche Gewicht zugenommen. Die Brics-Staaten stehen für mehr als 35 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts. Bei den G-7-Staaten liegt der Anteil nur bei 30 Prozent. Ausserdem machen die Brics-Länder rund zwei Fünftel des weltweiten Handels aus.

Wachsender Einfluss im Energiesektor

Vor allem im Energiesektor ist der Einfluss der Brics-Länder bedeutend. Sollte, wie allgemein erwartet wird, Saudiarabien dem Verbund beitreten, sorgten die Brics-Staaten für 43 Prozent der weltweiten Rohölproduktion und 32 Prozent der Erdgasproduktion. Sollten später die Beitrittskandidaten Kuwait, Kasachstan und Bahrain dazustossen, stiegen die Anteile weiter. Angeführt von China und Indien stehen die Brics-Länder ausserdem für 38 Prozent der Ölimporte.

Für den Westen könnte eine solche Entwicklung spürbare Folgen haben. «In Zeiten gestiegener Volatilität an den Energiemärkten könnte ein Bündnis der wichtigsten Energieproduzenten und Importeure einem parallelen System für den Energiehandel Auftrieb geben», schreiben die Experten der BCG.

Am klarsten lässt sich die Integration der Länder beim Handel ablesen, der die wirtschaftliche Entwicklung in den Brics-Staaten während der vergangenen Jahre beflügelt hat. Der Anteil des Warenhandels unter den Mitgliedern des Verbundes am weltweiten Handel hat sich zwischen 2002 und 2022 auf 40 Prozent verdoppelt. Ein Grund dafür war die rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas der vergangenen Jahre.

Schaut man sich die gegenseitigen Abhängigkeiten einzelner Länder an, wird die wirtschaftliche Integration, die sich in den vergangenen Jahren vollzogen hat, noch deutlicher. Chinas Bedeutung als Lieferant für Industrie- und Konsumgüter beispielsweise hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen.

Eisenerz und Sojabohnen aus Brasilien

Gleichzeitig ist das Land einer der grössten Rohstoff-Importeure. So führt China in grossem Stil Eisenerz und Sojabohnen aus Brasilien ein. Umgekehrt liefert das Reich der Mitte Elektroautos, Solarmodule und schwere Maschinen in das südamerikanische Land.

Die Sanktionen gegen Russland haben zudem dafür gesorgt, dass nun mehr russische Waren in Brics-Staaten – vor allem nach Indien und China – statt in westliche Länder gehen.

Auch haben die Brics-Länder als Investitionsstandort in den vergangenen Jahren rapide an Bedeutung gewonnen. Gemäss einer Untersuchung der Unctad flossen im Jahr 2001 84 Milliarden Dollar in die damals vier Brics-Länder. Zwanzig Jahre später waren es schon 355 Milliarden Dollar.

Im Jahr 2021 kamen die damals fünf Staaten in den Genuss von 22 Prozent der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen, zwanzig Jahre zuvor hatte die Quote bloss bei 11 Prozent gelegen.

Viel Geld floss in das damals boomende China

Natürlich floss überdurchschnittlich viel Geld in das seinerzeit boomende China. Doch stiegen auch die Summen, mit denen sich Investoren in Indien, Brasilien und Südafrika engagierten.

Vor allem die Jahre 2001 bis 2011 waren mit Blick auf ausländische Direktinvestitionen in den Brics-Ländern von einem regelrechten Boom gekennzeichnet. So wuchsen die Investitionen jedes Jahr um durchschnittlich 13,5 Prozent. In den darauffolgenden Jahren flachte das Wachstum spürbar auf nur noch 1,7 Prozent pro Jahr ab. Hauptursache war das allgemein schlechtere globale Umfeld für Investitionen.

Trotz dem in den vergangenen Jahren deutlich gewachsenen wirtschaftlichen Einfluss gibt es mit Blick auf eine weitere Integration durchaus Grund zu Skepsis in Bezug darauf, dass das Bündnis in eine ungewisse Zukunft gehen könnte.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Die Länder des Brics-Bündnisses haben zum Teil unterschiedliche politische Systeme und verschiedene institutionelle Rahmenwerke. Auch unterscheiden sich die Staaten in ihren wirtschaftlichen Modellen und den kulturellen Traditionen.

Es fehlt ein institutioneller Rahmen

Ausserdem gehören dem Bündnis geopolitische Rivalen wie China und Indien an. All das könnte die wirtschaftliche und politische Schlagkraft der Brics-Länder mittelfristig mindern. Zudem gibt es bis jetzt keine fest verankerten Institutionen, die dem losen Verbund einen institutionellen Rahmen geben.

Doch auch andere Faktoren dürften einem weiter wachsenden Einfluss der Brics-Länder in näherer Zukunft im Weg stehen. So hat in jüngster Zeit Chinas Nachfrage nach Rohwaren aus dem Ausland nachgelassen, bei den Importen verzeichnet das Reich der Mitte nur noch schmale Zuwächse. Grund dafür ist die Wirtschaftskrise, vor allem der am Boden liegende Immobiliensektor.

Zudem wächst weltweit der Widerstand gegen Chinas Exportoffensive bei grüner Technologie, Elektroautos und Stahl. Sogar das Brics-Mitglied Brasilien hat einzelne Produktgruppen aus China inzwischen mit Strafzöllen belegt.

Russlands Krieg gegen die Ukraine wiederum dürfte in den kommenden Jahren immer mehr Ressourcen des Landes binden und damit die Wirtschaft potenziell schwächen.

China und Russland arbeiten an einer Dedollarisierung

Bei einem Punkt legen sich die Brics-Länder, zuvorderst China und Russland, ins Zeug: der Dedollarisierung des internationalen Zahlungsverkehrs. In einem ersten Schritt haben die Länder dazu im Jahr 2015 die New Development Bank mit Sitz in Schanghai gegründet. Die Entwicklungsbank soll unter anderem Kredite in anderen Währungen als dem US-Dollar vergeben.

Vor allem das unter Sanktionsdruck stehende Russland macht Druck bei der Schaffung eines neuen Zahlungssystems für die Brics-Staaten. Moskaus Plan sieht die Schaffung eines sogenannten «Mehrwährungssystems» vor, das die Teilnehmer «vor jeglichem Druck von aussen, wie etwa extraterritorialen Sanktionen, schützen soll», wie es in einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg heisst.

Dazu schlagen Russlands Finanzminister und die Zentralbank vor, ein Netzwerk aus Geschäftsbanken ins Leben zu rufen, die Transaktionen direkt in lokaler Währung abwickeln können. Ausserdem will Moskau Zentren für den gegenseitigen Handel mit Rohstoffen wie Öl, Gas, Getreide und Gold schaffen. Es darf davon ausgegangen werden, dass Russlands Vorschläge am Brics-Gipfel in dieser Woche intensiv diskutiert werden.

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