Freitag, Februar 28

Kunst und Design, vereint zu spektakulären und berührenden Welten: Die Wanderausstellung Nomad Circle will mehr sein als eine Messe. Diesen Februar fand die 15. Edition statt: in St. Moritz.

Einzig der Lift lässt noch erahnen, dass dieses Haus einmal eine Klinik war. Deshalb ist der Fahrstuhl so unprätentiös und geräumig: Bis vor kurzem wurden hier noch verunfallte Skifahrerinnen und Skifahrer in Betten hineingeschoben. Klinisch mutete an diesem verlängerten Wochenende im Februar in der ehemaligen Klinik Gut in St. Moritz, wo die Wanderausstellung Nomad Circle stattgefunden hat, sonst nichts mehr an.

Wohnlich und warm wirkte der Empfang. In der Luft hing der Duft nach frischem Holz. Die italienische Architektin Francesca Neri Antonello schuf mit edel gemusterten, schweren Vorhängen in Rot- und Brauntönen eine Atmosphäre, die an ein mondänes Chalet erinnerte. Dazu ein auf Kieselsteinen verlegter unbehandelter Holzboden (daher der Duft!) und eine sanfte Beleuchtung durch Christian Pellizzaris ockerfarbene Muranoglaslampen, die mehr Kunstwerk denn Gebrauchsgegenstand sind.

Um genau diese Verschmelzung geht es bei Nomad Circle. Der italienische Kurator Giorgio Pace und der kanadische Architekt Nicolas Bellavance-Lecompte gründeten die Wanderausstellung 2017, um «collectibles», also Sammlungsstücke der angewandten Kunst und des Designs, zugänglicher zu machen. Nicht unbedingt einem breiteren Publikum – der Event ist kostenlos, aber Gäste müssen sich vorab registrieren –, sondern in der Art, wie man die Stücke erlebt. Während die Räumlichkeiten an Messen häufig eher kalt und von Kunstlicht dominiert sind, sollen die Austragungsorte der Nomad Circle Geschichten erzählen.

Die allererste Ausgabe fand in der einst von Karl Lagerfeld bewohnten Luxusvilla La Vigie in Monaco statt. Bald darauf reiste die Plattform in die Schweizer Berge. Bereits zum achten Mal fand die Wanderausstellung nun im Engadin statt – fünfzehn Editionen waren es bisher insgesamt. Neben St. Moritz sind Capri, Monaco und Venedig wiederkehrende Stationen. Eingeladen wurden die Gäste auch schon in Paläste, ein Kloster oder leerstehende Hotels. So fand etwa die Nomad Circle St. Moritz 2023 im heutigen Hotel «Grace Margna» und letztes Jahr im «Eden» statt.

Ihr Ziel sei es, immer wieder zu überraschen. Die beiden Gründer sprechen bewusst nicht von Messe. «Man reist durch die verschiedenen Räume, begleitet vom Tageslicht», sagt Bellavance-Lecompte. «Ganz ohne Eile, in einer intimen Atmosphäre», dies auch, weil die Räume oft klein und der Platz beschränkt ist. 45 Aussteller belegten in diesem Jahr die Zimmer in der ehemaligen Klinik Gut.

Alte und neue Namen

Kunst und Design in einem ehemaligen Spital? Was auf den ersten Blick nicht so recht zusammenpassen will, hat dann doch manches gemeinsam. Die Nomad-Gründer schlagen die Brücke zu Thomas Mann, der zu seinem berühmten Roman «Zauberberg» im Waldsanatorium Davos inspiriert wurde. «In jedem menschlichen Herzen gibt es eine Sehnsucht nach Unsterblichkeit, den Wunsch, der Welt nach unserem Tod ein Zeichen zu hinterlassen», heisst es im Ausstellungskatalog – ein Zitat aus dem 1924 erschienenen Buch.

In der Designwelt haben bedeutende Gestalter des 20. Jahrhunderts ihre Spuren hinterlassen: Gio Ponti, Ettore Sottsass oder Gabriella Crespi. Die Mailänder Galerie Mondavilli Scagliola brachte einige seltene Entwürfe mit nachSt. Moritz, darunter zwei Armsessel von Carlo Scarpa aus dem Jahr 1973 und eine Stehleuchte von Luigi Caccia Dominioni von 1950.

Gleichzeitig geht es bei Nomad Circle aber auch um die Entdeckung neuer Namen. The Spaceless Galerie aus Paris etwa stellte die Arbeit des in Jamaica geborenen Künstler Hugh Findletar aus, der aus Muranoglas Vasen mit ausdrucksstarken, teilweise etwas überdrehten Gesichtern fertigt. Die New Yorker Galerie Todd Merrill Studio zeigte die mehrschichtigen Lackbilder des deutschen Künstlers Aurel K. Basedow. «So einen eklektischen Mix wie in diesem Jahr hatten wir noch nie», sagte Nicolas Bellavance-Lecompte zur diesjährigen Ausstellung.

Auch Fine Art, Tablewear und Schmuck wurde gezeigt

Den beiden Gründern war es von Anfang an wichtig, sich nicht zu spezialisieren, sondern «inklusiv zu sein in Bezug auf Kreativität». Nebst zeitgenössischer und moderner Kunst, Mid-Century-Entwürfen und Antiquitäten gab es auch Tablewear oder Schmuck zu sehen – und zu kaufen. Denn darum geht es natürlich auch. Bei der Craftica Gallery aus Warschau waren wenige Stunden nach der offiziellen Eröffnung die meisten Werkinfoschildchen mit einem roten Punkt versehen, darunter der Wandschrank «La Nature est un temple», den die polnische Designerin Zofia Sobolewska-Ursic aus gepresstem Stroh fertigte.

Werke aus der bildenden Kunst stellte die Basler Galerie von Bartha aus – dazu kombinierte sie Skulpturen des verstorbenen walisischen Bildhauers Barry Flanagan.

Eines der prestigeträchtigsten Werke mit Bezug zur Region brachte die italienische Kunsthandelsfirma Robilant+Voena mit: ein seltenes Schweizer Aquarell von Joseph Mallord William Turner, das den Splügenpass darstellt. Es wurde während der Nomad Circle zum ersten Mal seit seiner Entstehung in den frühen 1840er Jahren in der Schweiz ausgestellt. Anders als im Museum, wo die Wände in der Regel weiss sind und der Boden glattpoliert, hatten die Räumlichkeiten in der ehemaligen Klinik Gut mehr Charakter: Direkt oberhalb des Gemäldes befand sich ein grosses Loch in der Decke.

Auch darin unterschieden sich die Aussteller: Manche renovierten ihre Ausstellungsfläche, strichen die Wände und erschufen ganze Wohnwelten, andere beliessen sie roh. So glich der Gang durch die Zimmer tatsächlich einer Reise – durch verschiedene Stile, Epochen, Regionen und die Geschichten, die das Haus zu erzählen hat.

Es waren viele Referenzen an die alpine Szenerie zu erkennen – andere haben aber auch bewusst damit gebrochen: Die Genfer Schmuckdesignerin Suzanne Syz etwa baute auf einem mit Wasser gefüllten Behälter eine Insel irgendwo im Süden, wo es warm ist. «Ich habe meine Stücke immer als kleine Kunstobjekte zum Tragen geschaffen», sagt Syz, die in den achtziger Jahren in New York lebte und unter anderem mit Andy Warhol, Jean Michel Basquiat und Jeff Koons unterwegs war. Ihre Installation «Treasure Island» sei eine Einladung in ihre kreative Vision – und solle die Leute dazu verleiten, ihre Winterkleidung auszuziehen.

Wärme war auch Thema im Pop-up-Restaurant «a-Ma-Re Capri», einem Ableger des gleichnamigen Restaurants auf der italienischen Insel. Der Architekt Giuliano Andrea dell’Uva tauchte die ehemaligen Operationssäle in helles Sonnengelb. Das passt nicht nur zum Süden, sondern auch zu St. Moritz, dessen Logo eine Sonne ist.

Zwar fehlten einige der grossen Namen, die in den Jahren zuvor üppige Installationen gestalteten, etwa Fornasetti oder Nilufar. Letztere war vertreten mit den eingangs erwähnten Leuchten von Christian Pellizzari, die Mailänder Galerie verzichtete in diesem Jahr aber auf eine eigene Fläche. Trotzdem: Der Andrang war auch für die 15. Edition gross. Es gab Wartelisten für Aussteller – «und doppelt so viele Besucher-Registrationen wie in den Jahren zuvor», so Bellavance-Lecompte am Tag der Eröffnung. Der Kunstevent trifft den Zeitgeist: Sonst nur selten sichtbare Stücke sind hier erlebbar – und natürlich profitiert Nomad Circle wie auch die Messe Homo Faber in Venedig vom Handwerkstrend, der seit geraumer Zeit als Antibewegung zur Schnelllebigkeit stark an Bedeutung gewonnen hat.

Die renommierte Mailänder Galeristin Rossana Orlandi war erneut dabei und lud zu einer Entdeckungsreise der Gefühle ein. Jacopo Gonzatos Holzwerk «sound geometry» überträgt Musikwellen direkt auf den Körper. Und Aline Asmar d’Ammans Sammlermöbel berühren das Herz, weil sie von ihrer Kindheit in Libanon erzählen. Auch wieder dabei waren Sébastien Janssen von Sorry we’re closed und Chahan Minassian. Gemeinsam kuratierten sie die Ausstellung «Fireplace», ein gemütlich gestaltetes Wohnzimmer mit hochkarätigen Stücken von Raymond Hains, Adrien Vescovi und Julia Isidrez, in dem man gerne einen ganzen Abend lang verweilt hätte.

«Don’t Rush» lautet die Botschaft der in Los Angeles lebenden schwedischen Künstlerin Camilla Engström. Ihre Bilder enthalten Referenzen zu Georgia O’Keeffe, Hilma af Klint und Henri Matisse. Sie wurden gleich im ersten Raum neben dem Empfang gezeigt und setzten eine Art Mantra für den Besuch. Nicht hetzen! Sonst bleibe nichts hängen, sagt Nicolas Bellavance-Lecompte, man vergesse alles gleich wieder.

Dieses Innehalten passte aber auch zum Austragungsort. In einer Klinik werden Patientinnen und Patienten durch einen Unfall oder eine Krankheit zum Stillstand gezwungen. Engström möchte, dass sich die Leute in der Kunst wie in der Natur für einen Augenblick verlieren, um so mit neuer Energie zurück in den Alltag zu finden.

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