Montag, August 11

Die Digitalisierung und Formate wie Podcasts haben dazu geführt, dass zunehmend Belangloses in der Öffentlichkeit gesagt wird. Geschwätzige Journalisten gehen voran.

Sagen, was ist. Der journalistische Leitsatz ist so simpel wie selbstverständlich. Der «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein hatte ihn, entliehen beim Schriftsteller und sozialistischen Politiker Ferdinand Lassalle, zum Prinzip seines Magazins erhoben. «Sagen, was ist» sollte grundsätzlich gelten, für alle und alles. Doch das Mündliche verkümmert, es gerät geschwätzig, umständlich, fehlerhaft. Und das nicht bloss auf der Strasse, auf Partys, im Bus, wo es einem egal sein könnte, wie andere kommunizieren. Nein, es geschieht auch, und folgenreich, in öffentlich finanzierten Medien.

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Ein Grund für diesen Trend: die Digitalisierung. Chats, Sprachnachrichtendienste und Videotelefonie laden dazu ein, sich überall und jederzeit zu unterhalten. Dazu kommt die Podcast-Inflation. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine weitere Gesprächsrunde ins Leben gerufen wird. Wer will, kann 24/7 palavern oder anderen dabei zuhören. Bloss trainiert das Dauergerede keineswegs die Sprache, was ja durchaus ein positiver Effekt sein könnte. Stattdessen verdirbt es sie.

Früher, lange vor der Flatrate, als Telefonate nach Minuten abgerechnet wurden, bei «Ferngesprächen» gar nach Sekunden, fasste man sich instinktiv kurz: ja kein Wort, keine Silbe zu viel, time was money. Heute, im Zeitalter der Geschwätzigkeit, braucht es am Telefon wie im Alltag Füllwörter, Floskeln, Redundanzen, Nebelkerzen.

Konjunktur haben «so» («so eine andere Haltung»), «auf jeden Fall», «total», «ich würde sagen», «spannend», «und zwar», «Impulse», «alles gut», «unbedingt», «genau», «ich nenn es mal».

Man will gefallen und bleibt im Ungefähren

Der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp schreibt in seiner kürzlich erschienenen Sprechkritik «Irgendwie so total spannend» treffend von einer «Zwangsgemeinschaft von Ultra-Deutsch und Umgehungsdeutsch».

Beim Deutschlandfunk (DLF) etwa wird gerne doppelt gemoppelt. Die Aktie stehe «besonders im Fokus», meint der Moderator am 2. Juli in den «Informationen am Abend», und seine Kollegin aus der Wirtschaftsredaktion ergänzt das um «äussere Rahmenbedingungen». So verunstalten die Tautologien munter das Programm, und keinem DLF-Verantwortlichen fällt es auf.

Angefangen hat die Misere vermutlich mit «irgendwie» («Ich hab’ heute irgendwie so gar keinen Hunger») – das Nicht-Wort, ohne das kaum ein gesprochener Satz auszukommen scheint, ein Hilfsmittel der Uneigentlichkeit. Es schafft ein Arsenal des Nichtfestlegens, der Unverbindlichkeit, eine verbale Fluchttür, falls sich die eigenen Empfindungen gleich ändern oder das Gegenüber doch anderer Auffassung ist. Denn mit dem Palaver geht Harmoniesucht einher: um Himmels willen nicht anecken oder mit einer konträren Meinung «beleidigen». Gefallsucht («Da bin ich ganz bei dir») trifft Diskriminierungsphobie («Ich will dir da nicht zu nahe treten»).

Prima Sache, das mit dem Umgehungsdeutsch, denken sich Podcast- und Gesprächsrunden, so kriegen wir unsere Sendezeit voll. Was eine Korrespondentin oder ein Reporter sonst «in eins dreissig» erklärt, in 90 Sekunden, der Standardlänge für einen substanziellen Lagebericht, bekommt jetzt eine halbe Stunde oder mehr. Da wird dann ein Thema aus sämtlichen Perspektiven durchleuchtet oder eben: quälend ausgewalzt. Nach ausgiebigem Begrüssungs-Smalltalk («Ich bin ja so glücklich, dass du hier bist!») geht man es behutsam an, unbedingt per Du, für die stimmungsvolle Vertraulichkeit. Man wähnt sich in einer Therapiesitzung statt in einer Diskussion, es fehlt nur der knisternde Kamin im Hintergrund.

Seriöser Journalismus verlangt Nüchternheit und Neutralität, in Inhalt und Stil: klar formulierte Fakten, erkennbare Quellen, kritische Fragen. Bei audiovisuellen Medien kommt der passende Sprachduktus dazu. Doch was früher Streitgespräch hiess, mutiert auf manchem Sender, der viel auf sich hält, zum Kuscheln in einer Wohlfühlarena. Gestandene BBC-Studioleiter bekämen das Grausen. Nach angelsächsischer Prägung sind genaue Recherchen, konträre Meinungen, kluger Streit angesagt – noch jedenfalls.

Intellektuell unterfordert dank leichter Sprache

Natürlich gibt es deutschsprachige Podcasts und Talkrunden, in denen Menschen mit Ahnung Inhalte von Relevanz und Mehrwert äussern; leider gehen sie in der Redeflut unter. Radio und speziell Podcasts seien nun mal ein «Nebenbei-Medium», tönt es bei Debatten um öffentlichrechtliche Qualität, da müsse es lockerer und langsamer zugehen. Warum? Gerade wenn man nebenbei mit anderem beschäftigt ist, möge das Mithören wenig Lebenszeit stehlen. All die Sendeminuten, die für den selbstauferlegten Genderzwang draufgehen, all die «Mitarbeitenden», «StudentInnen», «Ärzte und Ärztinnen», «Zugbegleiter*innen», sind da noch gar nicht eingerechnet. «Wir haben ja nicht ewig Zeit», der Podcast-Leitsatz des Magazins «Stern», hat leider ausgedient.

Man will «alle Hörerinnen und Hörer abholen», Inklusion ist angesagt. Eine berechtigte Aufgabe, weswegen die Öffentlichrechtlichen inzwischen Nachrichten in leichter Sprache bieten. Nur färbt das auf das konventionelle Programm ab, bei dem man sich immer öfter intellektuell unterfordert fühlt.

Eine Marotte etwa besteht darin, in Moderationen selbst bei einfachen Hauptsätzen zwei Anläufe zu nehmen («Die Männer im Betrieb, die haben . . .»), als ob man im Bruchteil einer Sekunde den Satzanfang vergessen hätte. Mit bemüht lockerem Jargon will man «junge Nutzende gewinnen». Anbiedernde «Jugendsprache» wird freilich von niemandem schneller als affektiert wahrgenommen als von der Jugend.

Man höre etwa rein bei «Content & Coffee», «dein entspannter Content-Marketing-Podcast». «Ich weiss, dass ich die Geschichte sehr oft erzähle und wahrscheinlich nicht zum letzten Mal erzähle, aber als ich mich selbständig gemacht habe, hatte ich ja Unmengen Zeit, ne, also ich war ja Studentin und war irgendwann auch Werkstudentin und hab mich so nebenbei irgendwie ja so schleichend selbständig gemacht», langweilt die Host Jessica Diehl ihre Nutzer in der Folge «Nie wieder Content-Knappheit». Mit fast zwanzig Minuten ist ihr Monolog noch verhältnismässig kurz. Warum tut man Menschen ohne «Unmengen Zeit» solch sinnbefreites Gefasel an?

Mit der Geschwätzigkeit geht das Ungefähre einher. Statt zu debattieren, wird ausgelotet. Man verharrt im Möglichen, Vagen, Unverbindlichen («ich würde sagen»). Wokeness-Ergebenheit spielt hier eine Rolle, vielleicht auch ein Mangel an Selbstvertrauen, Faktenwissen, Vorbereitung. Weil Auszüge aus Podcasts und Talkshows im übrigen Radioprogramm verwurstet werden, prägen die «verbalen Weichmacher» (Kemp) das gesamte Nachrichtendeutsch.

Der Unterschied zwischen «habe» und «hätte»

Darunter leidet auch die Grammatik. Sätze wie «Es besteht die Gefahr, dass der Fluss über die Ufer treten könnte» ist mittlerweile Standard. Es muss «über die Ufer tritt» heissen, denn nur dann wird er ja zur Gefahr. Längst reden die Leute jenseits von Radio und TV so, die journalistische Angst vor klaren Aussagen kontaminiert das Alltagsdeutsch.

Gerade weil man sich kaum noch festlegen will, beherrschen immer weniger die indirekte Rede, unterscheiden zwischen Konjunktiv eins und zwei, zwischen «habe/hätte», «sei/wäre», «gebe/gäbe» oder «werde/würde» und wissen, dass das eine fast immer das Gegenteil des anderen bedeutet, also die Aussage um 180 Grad dreht.

Man nehme das ZDF-«Heute-Journal» vom 22. Juni 2025, es geht um Israels Raketenangriff auf Iran. Die New-York-Korrespondentin Nicola Albrecht zitiert das Argument der USA und Israels, «Iran stünde kurz vor der Bombe». Grammatischer Unfug: Korrekt heisst es, «Iran stehe kurz vor der Bombe». Genau darum geht es, es ist die Kernfrage, der Anlass für die Angriffe Israels. Eklatanter Unterschied, eklatanter Fehler.

Selbst das wichtigste Nachrichtenmagazin eines öffentlich finanzierten «Leitmediums» schlampt hier. Weder der langjährigen Korrespondentin fällt das auf noch der Redaktion. Dabei hat man es hier nicht mit Live-Ausrutschern zu tun, sondern mit geschriebenen Texten, abgelesen von Bildschirm oder Papier. Minuten später sagt die Moderatorin Dunja Hayali in einem Interview: «Der Iran behauptet ja, man hätte vor den Angriffen das angereicherte Uran irgendwie weggebracht.» Es lautet «habe», und es meint das Gegenteil.

Vielleicht muss richtiges Sprechen neu erlernt werden. Man sollte Kleinkindern zuhören. Wenn die etwas wollen, empfinden oder müssen, äussern sie das klar, kurz, logisch: «Mehr Kakao», «Mein Knie blutet», «Ich will noch nicht ins Bett». Sagen, was ist. Ganz einfach.

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