Montag, August 11

Der Rapper OG Florin und der Hip-Hop-Produzent Melodiesinfonie entwickeln dank Improvisation und Humor einen Sound, der aus der Umgebung schöpft, aber nicht provinziell klingt.

Ein Glück für die Schweizer Musikszene: Der Zuger Rapper, Sänger und Gitarrist OG Florin, ein Chronist des Alltäglichen mit angenehm verschlafener Stimme und feinem Witz, hat sich mit dem Zürcher Produzenten und Multiinstrumentalisten Melodiesinfonie getroffen. Letzterer schöpft für seine Musik seit Jahren aus einer merkwürdig gelassenen, inneren Ruhe. Gemeinsam veröffentlichen sie mit «Meh als Null & Eis» ein Album, das Rap und Indie, Surf-Vibes, Jazz und improvisatorische Nonchalance bündelt, ohne je so zu tun, als müsste man dafür eine neue Schublade erfinden.

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Die beiden sind bisher unterschiedliche Wege gegangen. Während Melodiesinfonie längst Teil eines globalen Netzwerks ist – über internationale Kollaborationen und Streaming-Plattformen –, ist der Rapper OG Florin lokal verankert. Sprache, Themen, Haltung: Alles deutet darauf hin, dass seine Musik dort am meisten Sinn ergibt, wo sie auch entstanden ist – im direkten Austausch mit der Umgebung, dem Umfeld, dem Moment.

Ghetto-Grunge

OG Florin, bürgerlich Florin Simmen, ist keiner, der das Mic als Machtsymbol begreift. Er singt und spricht, stolpert absichtlich über Reime, greift zur Gitarre, lässt Sätze offen, bis der nächste Akkord die Pointe setzt. «Ghetto-Grunge» nennt er seinen Stil – halb im Scherz, halb als Statement. Und trifft damit einen Nerv: Musik aus dem Alltag, die niemals banal oder billig wirkt. OG Florins Blick ist nah am Leben, sein Tonfall antiheroisch, humorvoll, gelegentlich trotzig – und dadurch eigentümlich berührend.

Melodiesinfonie, bürgerlich Kevin Wettstein, hat sich von puristischem Hip-Hop emanzipiert. Als Teenager rappte er gegen die Musikindustrie, heute interessiert ihn vor allem, wie man sich aus der Logik von Szeneregeln und Algorithmen löst. Er veröffentlicht lieber zu viel als zu wenig, spielt lieber ein neues Instrument, als den x-ten Beat nach bekanntem Muster zu bauen, und betrachtet das Musikmachen als täglichen Prozess: morgens den Computer hochfahren, zwanzig Skizzen durchhören, hier etwas ergänzen, dort ein Arrangement verfeinern. So wächst ein Werk, das sich selbst fortschreibt – aus Soul, Jazz, Psychedelik, Indie, Bossa Nova und einer sanften Melancholie, die sich nie mit Schwermut verwechselt.

Die Sessions zu «Meh als Null & Eis» liefen beiläufig ab: keine detaillierten Vorproduktionen, keine Excel-Sheets mit Hook-Deadlines. Vielmehr hätten sie das Studio als «Spielplatz» genutzt, erklärt Melodiesinfonie via Sprachmitteilung aus den Ferien im Tessin. Der eine setzte sich ans Schlagzeug, der andere spielte Gitarre, und so wurden Stücke skizziert. Tatsächlich spürt man in den Songs, dass der Modus der Skizze bewusst konserviert worden ist. So klingen sie verspielt, durchlässig und offen für weitere Variationen. Es ist Musik, die nicht imponieren, sondern einladen will.

sunshine in a bag

«Das Konzept war einfach: den Moment geniessen und die Freundschaft zelebrieren durch Musik», findet Melodiesinfonie. Er sagt: Wichtiger als das Produkt sei der Prozess, wichtiger als das Ergebnis sei der Moment, in dem die Musik jemanden berühre, und wichtiger als der Erfolg das Weiterarbeiten am nächsten Stück am nächsten gemeinsamen Nachmittag im Studio. In Zeiten von Pop-Produktionen, die oft im Voraus wissen, was am Ende sein soll, ist das eine geradezu subversive künstlerische Haltung.

Die Ironie der Geschichte: Melodiesinfonie zählt heute zu den am meisten gestreamten Schweizer Produzenten. Ausgerechnet jemand, der sich von der Idee der Playlist-Kompatibilität fernhält, landete plötzlich in den grossen Lo-Fi- und Chill-Beats-Playlists. Das hat ihm zwar Türen geöffnet, aber er hat deswegen seine Prioritäten nicht verschoben.

Statt sich auf Playlists wie «Music to Drink Coffee to» auszuruhen, sucht er nach neuen Klang- und Formsprachen: Gitarre lernen, Bass lernen, Psychedelic-Indie-Rock mit Mundart mischen, Kollaborationen ausweiten. Und Schlagzeug spielen. Nicht nur auf dem Album, sondern auch live wird das Drum-Set zur Verbindungslinie – ein funkiges, schleifendes, verquirltes Spiel, das mit Florins Stimme bestens korrespondiert. Rhythmus und Sprache greifen ineinander, als wären sie einander beim Jammen allmählich angewachsen.

OG Florin bringt eine sprachliche Unmittelbarkeit in die Musik, die im hiesigen Rap selten geworden ist. Er kann lakonisch tönen, extrem nonchalant, absurd – und manchmal alles zugleich. Statt sich auf technische Virtuosität oder Posen zu verlassen, setzt er auf Wahrnehmungsschärfe: Details, die plötzlich zu Symbolen anschwellen, Zwischenräume, in denen Humor und Verletzlichkeit zusammenfinden.

Feelgood-Vibe

Im Falle von «Meh als Null & Eis» wird ein Feelgood-Vibe zelebriert, der so intensiv ist, dass man sich fragt, ob man sich tatsächlich so fühlen kann. «Nein, es ist nicht so, dass ich einfach in einer Wohlfühlblase sitze», meint OG Florin per Whatsapp. «Aber ich weiss: Bad shit will happen, und man muss ja irgendwie damit fertigwerden.» Es ist eine Strategie. Eine Form, das Glück zu lenken.

«Meh als Null & Eis» erinnert daran, dass Improvisation nicht das Gegenteil von Form ist, sondern deren lebendige Voraussetzung. Vieles auf dieser Platte entstand aus Jam-Sessions, kleine Harmoniefolgen wurden zu Songs, Fragmente zu Refrains. Eine gewisse Bandbreite ist da: «Sunshine in a Bag» klingt ganz ungewollt wie eine Version von Pharrell Williams Gute-Laune-Hit «Happy», «OK» wiederum erinnert dann mehr an Pop-Punk.

Der Reiz liegt in den Brüchen, die nicht geglättet, in den Zufällen, die nicht weggeputzt wurden. Gerade deshalb hat das Album einen eigenen Puls – es klingt nach Gegenwart, ohne dem Zeitgeist hinterherzurennen.

Konzert: Winterthurer Musikfestwochen, Steinberggasse, 13. August.

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