Mittwoch, Oktober 9

In der grössten Krise der Parteigeschichte wollen Janine Wissler und Martin Schirdewan nicht mehr für den Vorsitz kandidieren. Laut Umfragen droht den Linken der Sturz in die Bedeutungslosigkeit.

Vor drei Tagen veröffentlichte die Forschungsgruppe Wahlen ihr jüngstes Ergebnis der «Sonntagsfrage zur Bundestagswahl». Darin werden Menschen gefragt, welche Partei sie wählen würden, wenn am nächsten Sonntag über das deutsche Parlament abgestimmt würde. Das Ergebnis war für die Linke in der Bundesrepublik ein neuerlicher Tiefschlag: Nur noch drei Prozent würden die Partei wählen. Nun, drei Tage später, kündigte die Doppelspitze der Partei, Janine Wissler und Martin Schirdewan, ihren Rückzug an.

Wissler und Schirdewan haben sich am Sonntag in separaten Stellungnahmen an die etwa 50 000 Mitglieder gewandt und ihre Demission begründet. Besonders die 43-jährige Wissler, die aus Hessen stammt, lässt darin erkennen, dass sie in den dreieinhalb Jahren an der Spitze der Partei aufgerieben wurde und daher auf dem Bundesparteitag im Oktober in Halle nicht mehr antreten wolle.

Viele Brücken, die sie habe bauen wollen, seien bereits mehrfach eingerissen gewesen, erklärt sie. Sie habe viel Zeit damit verbringen müssen, innerparteiliche Konflikte zu moderieren und interne Prozesse zu führen. Dabei sei die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und «die Aufgabe der Linken als Oppositionen zu den kapitalistischen Verhältnissen» oftmals zu kurz gekommen.

Der 49-jährige Schirdewan, gebürtig im Ostteil Berlins, gibt bereits nach zwei Jahren den Co-Vorsitz auf. Auch er beklagt die heftigen parteiinternen Auseinandersetzungen der zurückliegenden Jahre, erwähnt allerdings, wie Wissler auch, mit keinem Wort den Namen derjenigen, auf die diese Konflikte massgeblich zurückgehen: Sahra Wagenknecht.

Mitgliederzuwachs ohne Wagenknecht

Wagenknecht hat die Politik der Parteispitze massiv infrage gestellt. Während Wissler und Schirdewan die Klimabewegung umwerben und einen radikalen Klimaschutz, verbunden mit sozialem Ausgleich, befürworten, warnen Wagenknecht und ihre Anhänger vor zu grossen Belastungen der Bürger durch den Klimaschutz. Zudem will Wagenknecht die Migration begrenzen und mit Russland trotz dem Überfall auf die Ukraine weiter als Wirtschaftspartner zusammenarbeiten. Diese Positionen konnte sie auf dem Bundesparteitag der Linken vor zwei Jahren nicht durchsetzen.

Die Folgen waren gravierend. Zunächst spaltete sich der «Wagenknecht-Flügel» im Bundestag ab und die Linke verlor ihren Fraktionsstatus. Damit gingen ihr Geld, Posten und Einfluss verloren. Dann gründete Wagenknecht Anfang dieses Jahres die nach ihr benannte Partei BSW und zog direkt ins Europaparlament ein. Seitdem, so deklariert die Linke, habe sie 8000 neue Mitglieder gewonnen, darunter viele junge Frauen.

Die aktuellen Prognosen für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen (am 1. September) und Brandenburg (22. September) sehen das BSW künftig in allen drei Parlamenten vertreten, während die Linke in Sachsen und Brandenburg um den Wiedereinzug bangen muss. Dass es in Thüringen nicht ähnlich aussieht, dürfte lediglich der Beliebtheit von Ministerpräsident Bodo Ramelow zu verdanken sein. Auch bei der «Sonntagsfrage» zeigte sich zuletzt, dass die Wagenknecht-Partei den Einzug in den Bundestag schaffen würde, während die Linke deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde liegt.

Am Rand der Bedeutungslosigkeit

Die erbitterten politischen Grabenkämpfe der vergangenen Jahre haben die Linkspartei an den Rand der Bedeutungslosigkeit in Deutschland gebracht. Die Partei existiert erst seit 2007, als PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) und WASG (Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit) fusionierten. Die PDS wiederum ging aus der früheren kommunistischen DDR-Staatspartei SED hervor, während die WASG eine Abspaltung der SPD war.

Wissler schreibt in ihrer Begründung, sie sei zuversichtlich, «dass wir das Schiff wieder auf Erfolgskurs bringen». Derzeit sieht es jedoch eher so aus, als würde das Schiff sinken.

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