Der über 150 Jahre alte DAX-Konzern hat seit Ende der 1990er Jahre einen wilden Ritt hinter sich. Jetzt wird er in drei Sparten zerlegt.
Ein sich aufbäumendes Pferd ist noch immer Teil des Logos von Continental. Das ist folgerichtig, denn Gummiwaren wie Puffer für Pferdehufe gehörten ebenso wie Wärmeflaschen zu den ersten Produkten der 1871 gegründeten Firma. Erst etwas später folgte der Einstieg ins Reifengeschäft, mit dem das Unternehmen Weltruhm erlangte.
Conti sorgte also zeit seiner Geschichte dafür, dass Pferdestärken gut auf die Strasse übertragen werden. Das bleibt auch so. Doch sonst ist bei Conti nichts, wie es zuletzt war.
Am Freitag haben die Aktionäre der Zerschlagung des Systemlieferanten für die Autobranche zugestimmt. Damit wird der Konzern wieder auf seine einstige Ausgangsbasis reduziert: Reifen.
Vom Reifen über die Bremse in den Innenraum
Die grosse Wachstumsgeschichte hatte Ende der 1990er Jahre begonnen. Das sehr profitable, aber als langweilig geltende Reifengeschäft ermöglichte die Expansion in neue Geschäftsfelder. So entwickelte sich Continental durch Zukäufe und organisches Wachstum vom Reifenhersteller zu einem der grössten Systemzulieferer in der globalen Automobilindustrie.
1998 erwarb das einstige Management für umgerechnet 2 Milliarden Euro den Bremsenhersteller Alfred Teves GmbH, der damals zu einem amerikanischen Unternehmen gehörte. Vom Reifen ausgehend, waren Bremssysteme offenbar der naheliegendste Zukauf.
Die grösste Transaktion fand dann im Sommer 2007 statt, als Conti für gut 11 Milliarden Euro den Autoelektronikspezialisten Siemens VDO kaufte und damit in die Weltspitze der Autozulieferer aufstieg. Weitere kleinere Übernahmen, beispielsweise des Elektronikanbieters Temic sowie des Autoelektronikgeschäfts von Motorola, rundeten den Konzern ab.
Die Strategie passte zur damaligen Zeit und war lange erfolgreich. Der Aktienkurs kletterte von etwa 20 Euro im Jahr 1998 auf den Höchststand von gut 220 Euro im Jahr 2018. Das war das vorletzte gute Autojahr vor der Corona-Pandemie und den Lieferkettenproblemen mit den Chipengpässen. Vor allem der Halbleitermangel traf Conti ins Mark, da das Unternehmen ein global bedeutender Lieferant elektronischer Komponenten ist. Seit rund fünf Jahren läuft die Rückabwicklung des Konzerns. Gegenwärtig notiert der Kurs wieder bei rund 70 Euro.
Fehlende Synergien der drei Kernsparten
Die Zeit der Konglomerate sei vorbei, sagte der Conti-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle jüngst im Gespräch mit der NZZ zu den Gründen für die Aufspaltung. Nicht die Grossen frässen die Kleinen, sondern die Schnellen überholten die Langsamen, erklärte Reitzle weiter. Heutzutage brauchten Unternehmen Fokus, um schneller und flexibler agieren zu können. Zudem bewerte der Kapitalmarkt solche Unternehmen höher.
Der Konzern hatte es über die Jahrzehnte nie geschafft, signifikante Synergien zwischen den doch sehr unterschiedlichen Einheiten zu heben, wenn man einmal von der Verwaltung und kleineren operativen Bereichen absieht. Zudem setzte Conti der Umstieg auf die Elektromobilität zu. Das geht bis heute auch vielen Konkurrenten so, weshalb die deutschen Zulieferer in den vergangenen Quartalen den Abbau von Zehntausenden Stellen angekündigt haben.
Viele Unternehmen sind zudem zu spät in die Digitalisierung des Automobils und das damit einhergehende automatisierte Fahren eingestiegen. Zugleich stehen Systemzulieferer unter Druck, da die Autokonzerne integrierte Komponenten von Zulieferern oftmals wieder aufdröseln wollen. Sie kaufen dann nicht mehr das gesamte Bremssystem oder Armaturenbrett, sondern nur noch Teile davon, weil sie andere Teile billiger in China oder andernorts erwerben können. Dadurch entfällt ein wichtiger Vorteil eines Systemlieferanten.
Continental begann bereits im Jahr 2019 damit, die Antriebssparte Powertrain in einer Tochtergesellschaft zu bündeln. Zwei Jahre später spaltete der Konzern sie unter dem Namen Vitesco Technologies schliesslich ab und brachte sie an die Börse. Im Herbst 2023 erwarb dann Schaeffler das Unternehmen. Mit dem Automobil- und Maschinenbauzulieferer aus Herzogenaurach verbindet Conti inzwischen eine 17-jährige, teilweise äusserst turbulente Geschichte.
Dramatischer Machtkampf mit Schaeffler
Während der Finanzkrise 2008/09 hatte die viel kleinere Schaeffler versucht, den Branchenriesen Continental zu übernehmen – und sich dabei beinahe tödlich verschluckt. Das Unternehmen geriet dabei in so grosse Schwierigkeiten, dass es sogar um Staatshilfen bat, zu denen es jedoch nicht kam. Es brauchte einige Zeit, bis man sich zusammenraufte. Auf diese Phase geht auch die heutige Beteiligung von Schaeffler an Conti in Höhe von 46 Prozent zurück. Schaeffler redet also immer mit, wenn bei Conti grosse Entscheidungen getroffen werden.
Im Jahr 2022 bestand Continental schliesslich noch aus drei Einheiten: Tires (Reifen), Automotive und ContiTech. Das klassische Geschäft mit Reifen für Autos, Lastwagen, Busse und Zweiräder bleibt auch künftig mit rund 57 000 Mitarbeitern und einem letztjährigen Umsatz von 13,9 Milliarden Euro der Kern des Konzerns.
Im Bereich Automotive ist die Zulieferung zahlreicher Komponenten für die Autoindustrie zusammengefasst, etwa von Displays, Sensoren, Software, Fahrassistenz- sowie Bremssystemen. Die Einheit erzielte im vergangenen Jahr mit 92 000 Mitarbeitern 19,4 Milliarden Euro Umsatz.
Die Sparte ContiTech stellt dagegen «Materiallösungen für die Industrie» her, von Schläuchen bis hin zu Transportbändern. Die Schlüsselkunden kommen aus den Bereichen Automobil, Bergbau, Bau und Heim sowie Energiemanagement.
Im vergangenen Jahr hatte Conti dann die Aufspaltung in zwei etwa gleich grosse Teile angekündigt, nämlich das sehr rentable Reifengeschäft und das schon lange kriselnde Automotive-Business mit der Automobilzulieferung. Der Druck dazu soll laut Medienberichten vom Aufsichtsrat um Reitzle ausgegangen sein, wogegen sich der Konzernchef Nikolai Setzer lange dagegen gesperrt haben soll. In diesem April kündigte der Konzern dann überraschend auch noch die Verselbständigung von ContiTech an.
Gewerkschafter kritisieren «Zerschlagungswahn»
Für die Sparte Automotive plant das Management für September 2025 eine Börsenkotierung in Frankfurt, wo künftig auch der Hauptsitz des eigenständigen Unternehmens sein soll. Es wird dann Aumovio heissen. ContiTech soll ebenfalls verselbständigt werden, und zwar bis 2026. Derzeit erachtet der Vorstand den Verkauf an einen strategischen Interessenten oder Finanzinvestor als die wahrscheinlichste Option.
Eine weitere Untereinheit namens Original Equipment Solutions (OESL, Antriebskomponenten für den Verbrennungsmotor) steht ebenfalls zum Verkauf. Gewerkschaftsvertreter wettern gegen die Aufspaltungspläne und kritisieren den «Zerschlagungswahn».
Aus Sicht des Managements entstehen durch die Aufspaltung «drei starke unabhängige Champions». So rosig sehen das viele Beobachter aber nicht. Zwar läuft das Reifengeschäft sehr gut, auch ContiTech gilt als solide. Doch die Sparte Automotive ist seit Jahren in der Krise, sie schrieb häufig Verluste. In der Branche sind viele der Meinung, der Bereich benötige dringend einen Partner. Er sei zu klein, um mit den Konkurrenten mitzuhalten. Damit Automotive vorläufig überlebensfähig ist, stattet Conti den Spin-off mit 1,5 Milliarden Euro aus, ergänzt um eine revolvierende Kreditlinie über 2,5 Milliarden Euro.
Bei den Aktionären, also den Besitzern des Unternehmens, kommen die Pläne gut an. Am Freitag billigten sie die Aufspaltung mit fast hundertprozentiger Mehrheit. Continental wird dann 2026 nach einem jahrzehntelangen wilden Ritt und erfolgter Abspaltung des Antriebs-, Autozulieferungs- und Industriegeschäfts wieder ein reiner Reifenhersteller sein. Das sich aufbäumende Pferd im Logo wird bleiben.
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