Donnerstag, März 27

Die junge Regierungsrätin, der ihre Kollegen das Finanzdepartement entzogen haben, handelte als Einzelkämpferin. Doch das zugrunde liegende Thema der hohen Steuern entzweit über ihre Person hinaus.

«What goes up, must come down», singt Tom Petty im Song «Learning To Fly»: Was hochgeht, muss auch wieder runterkommen. Dieses Bonmot ist in seiner Absolutheit vielleicht etwas fatalistisch. Aber es hat sich in der Schweizer Politik wohl selten so drastisch bewahrheitet wie im Fall der Valérie Dittli, der gerade von ihren Waadtländer Regierungskollegen das Finanzdepartement entzogen wurde.

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Hoch, spektakulär hoch hinauf war es für Dittli vor bald genau drei Jahren gegangen. Im April 2022 wurde die Zuger Bauerntochter, die in Lausanne studiert hatte, in die Waadtländer Regierung gewählt. Mit nur 29 Jahren, ohne vorher je ein politisches Amt ausgeübt zu haben. Dittli hatte in der Waadt die Junge CVP präsidiert, dann die neue Mitte-Partei. Mehr nicht.

Die Szenen rund um diesen sensationellen Wahlsieg wirken heute surreal, wie eine Fälschung. Ein Foto aus dem Wahlkampf zeigt Dittli bei einem Eishockeyspiel, Arm in Arm mit den anderen Regierungskandidaten der damals neuen «Waadtländer Allianz» aus FDP, SVP und Mitte. Alle grinsen und lachen, Dittli so herzhaft, dass man ihre Augen nicht sieht, weil sie sich zu schmalen Schlitzen verengen.

Diesem Schulterschluss verdankte Dittli, Vertreterin einer Partei ohne Kantonsparlamentarier in der Waadt, ihren Wahlsieg. Und der erfrischenden Dittli verdankte die Mitte-rechts-Allianz die Rückeroberung ihrer Mehrheit von den Linken. Dittli lobte am Tag ihres Triumphs die Allianz als «super Team» – und zeigte sich überrascht, «dass es so gut läuft».

Nun läuft es schlecht, sehr schlecht. Für Dittli, für die Mitte-rechts-Allianz, für die Regierung.

Dittli trug Sonnenbrille aus «Missfallen»

Am Freitag, im Schloss von Lausanne, sah man Dittlis Augen wieder nicht. Aber nicht etwa, weil sie herzhaft lachte, sondern weil sie sich hinter einer schwarzen Sonnenbrille versteckte, als Ausdruck ihres «Missfallens», wie sie später in einem Interview sagte. All ihre Regierungskollegen waren geeint in den Mediensaal am Regierungssitz getreten, drei von der FDP, drei Linke. Dittli, das Zünglein an der Waage, folgte ewig lange Momente später, allein, und setzte sich an den Rand des Podiums.

«House of Cards» an der Waadt, sagten hinterher manche Beobachter, in Anspielung an die amerikanische Netflix-Serie über knallharte Machtpolitik hinter den Kulissen. Aber das hier war nicht Washington D. C., sondern Lausanne. Und je länger, je mehr spielte sich, zum Erstaunen der zunehmend ungläubigen Journalisten, nichts mehr hinter den Kulissen ab, sondern in aller Öffentlichkeit, vor Kameras und Mikrofonen.

Der Regierungsrat und der «externe Experte» Jean Studer, ein ehemaliges Schwergewicht der Neuenburger SP und Präsident der Schweizerischen Nationalbank, präsentierten einen Untersuchungsbericht zu mehreren Vorwürfen gegen die Finanzvorsteherin Dittli. Studer war zum Schluss gekommen, dass Dittli illegalerweise die Annullierung gültiger Steuerveranlagungen angeordnet und womöglich das Amtsgeheimnis verletzt habe.

Das Funktionieren des Staats sei gefährdet, sagt der Experte

Ausserdem habe sich ein Konflikt zwischen Dittli und der Chefin der Steuerbehörde zu diesen Themen ausgeweitet auf weitere Mitarbeiter, was zu mehreren Krankschreibungen geführt habe. «Das gute Funktionieren des Staates ist gefährdet», sagte Studer, sofortige Massnahmen seien nötig.

Diese Einschätzungen machten sich Dittlis sechs Regierungskollegen zu eigen – und entzogen ihr die Zuständigkeit für Finanzen und Steuerwesen. Übergangsweise übernimmt Frédéric Borloz von der FDP, um den Dittli 2022 beim Eishockeyspiel lachend den Arm gelegt hatte, und ab Juni die FDP-Regierungspräsidentin Christelle Luisier, mit der Dittli am Freitag auf offener Bühne kaum versteckte Gehässigkeiten austauschte.

Aber waren diese Vorwürfe auch der wahre Grund, warum die restliche Regierung Dittli entmachtete und ihr vorerst nur noch die Landwirtschaft liess? Gespräche mit Insidern zeigen, dass das Problem für die sechs Regierungsräte wohl grundlegender ist: Sie vertrauen Dittli schon länger nicht mehr. Sie nehmen sie als Einzelkämpferin wahr, die sich nicht ans Konsensprinzip hält – und die notfalls versucht, externen Druck auf ihre Kollegen aufzubauen.

Dittli machte sich mit Interview unbeliebt

Genannt wird etwa ein Interview, das Dittli im Dezember der Genfer Zeitung «Le Temps» gab. Darin kündigte sie eine Reform der Einkommenssteuersätze an, die 2028 in Kraft treten solle. Eine solche Reform steht zwar auch im Regierungsprogramm, doch die internen Diskussionen dazu stocken seit langem.

Dittli ging es nicht schnell genug – weshalb sie laut der Studer-Untersuchung auch im Sommer 2024 einen führenden Mitarbeiter damit beauftragte, Personen zu treffen, die «dem Wirtschafts- und Immobilienbereich» nahestünden. In diesem Zusammenhang soll Dittli womöglich ihr Amtsgeheimnis verletzt haben, weil die Regierung damals vertraulich über das Thema diskutierte.

Auch dem zweiten Vorwurf liegt laut Dittli zugrunde, dass ihre Geduld aufgebraucht war. Mehrere grosse Steuerzahler hatten sich bei ihr beschwert, dass sie seit einer Reform der Vermögenssteuer teilweise mehr Steuern zahlen sollten, als sie Einkommen hatten. Das liegt daran, dass ihr Vermögen weitgehend in ihren Firmen gebunden ist.

Nach Dittlis Darstellung wollte sie die Veranlagungen dieser Steuerzahler aufheben und neue erstellen, um sie im Kanton zu halten. Mancher Beobachter denkt, dass ein solches Vorgehen in Dittlis Heimatkanton Zug völlig normal gewesen wäre. In der Waadt jedoch bezeichnete die Chefin der Steuerbehörde nach eigener Darstellung intern ein solches Vorgehen als illegal.

Aber Dittli bestreitet, dass die Behördenchefin dies tatsächlich geäussert habe. Erst nach einem sechsmonatigen Verzögerungsspiel ihrer Verwaltung will Dittli die Anordnung zu den Annullierungen für diese bestimmte Kategorie von Steuerzahlern gegeben haben. Allerdings widerspricht Dittli sich hier teilweise selbst, wie auch der Regierungsrat feststellte – als er am Freitag eine Tabelle mit Dittlis verschiedenen Aussagen zum Thema in vier internen Sitzungen veröffentlichte.

Ein Defizit – und eine Initiative für Steuersenkungen

Gemein ist den beiden Steuerthemen und Dittlis Vorpreschen der grössere politisch-finanzielle Kontext: Der Waadtländer Haushalt ist im Defizit, das genaue Ausmass soll demnächst bekanntwerden. Gemunkelt wird über Hunderte Millionen Franken – entsprechend muss die Regierung künftig sparen.

Zugleich will eine Allianz aus der kantonalen Industrie- und Handelskammer, der Immobilienkammer und dem Arbeitgeberverband markant die Einnahmen senken. Das Trio fordert nämlich in einer Initiative namens «Steuersenkung für alle», die Einkommens- und Vermögenssteuern um zwölf Prozent zu reduzieren. Die Regierung versucht seit langem, die Allianz zum Rückzug der Initiative zu bewegen – vergeblich.

Die Initiative droht auch die Mitte-rechts-Allianz zu entzweien: Die SVP, die keinen Regierungsrat stellt, unterstützt das Anliegen. Die FDP hat sich noch nicht positioniert. «Das Thema wird bei uns viel diskutiert», sagt die Waadtländer FDP-Chefin Florence Bettschart-Narbel, und man darf das als Euphemismus verstehen.

Valérie Dittli sagte sogar im Interview mit «Le Temps», dass die 12-Prozent-Initiative bei einer Annahme durch das Volk «keinen signifikanten Einfluss» auf die Belastung der Mittelklasse hätte. Deshalb wolle sie rasch eine Strategie vorstellen, um den Hochsteuerkanton Waadt ins Schweizer Mittelfeld zu führen. Mit Uri, Schwyz oder Nidwalden könne die Waadt zwar nie rivalisieren, sagte sie – aber das Vorbild Zürich sei möglich.

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