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Der Reeder Aristoteles Onassis, der vor fünfzig Jahren starb, war einer der reichsten Männer der Welt und ein Pionier des Jetsets. Glücklich wurde er trotzdem nicht. Eine griechische Tragödie in fünf Akten.
I. Aufbruch ins Ungewisse
September 1922: Smyrna, eine stolze, jahrtausendealte Hafenstadt des Osmanischen Reiches, steht in Flammen. Gerade haben die Türken die von den Griechen besetzte Metropole an der Ägäis in einem Krieg zurückerobert, als der Brand ausbricht; vermutlich haben ihn die türkischen Truppen gelegt.
Neun Tage lang fressen sich die Flammen durch Smyrna, das heutige Izmir. Zwischen 10 000 und 100 000 Menschen kommen ums Leben, 50 000 bis 400 000 Einwohner fliehen, vor allem nach Griechenland.
Unter den Flüchtlingen ist auch der junge Grieche Aristoteles Sokrates Homer Onassis. Er ist 16 Jahre alt. In ein paar Jahrzehnten wird er einer der reichsten Männer der Welt sein. Jetzt aber steht er auf einem Schiff und blickt das letzte Mal auf seine Heimatstadt, die im Rauch versinkt, so wird er es später erzählen.
Mehrere seiner Verwandten wurden im Krieg getötet oder kamen durch das Feuer ums Leben. Der Vater, ein wohlhabender Tabakhändler, verlor sein Geschäft. Onassis’ Mutter starb, als er sechs Jahre alt war.
Wegen des Feuers flieht Onassis mit dem Rest seiner Familie im September 1922 per Schiff nach Athen. Ein Jahr später, mit 17 Jahren, siedelt er mit einem Flüchtlingspass und kaum Geld in der Tasche nach Argentinien um. Das Land ist zu dieser Zeit sehr wohlhabend und Buenos Aires ein wichtiges Handelszentrum.
II. Die Eroberung der Meere
In Buenos Aires arbeitet Onassis zunächst als Telefonist, 1924 gründet er mit der Hilfe seines Vaters und seines Onkels ein Import-Export-Unternehmen. Zunächst führt er türkischen Tabak ein und verkauft ihn in Argentinien. Weil die Geschäfte gut laufen, beschliesst Onassis bald, in die Schifffahrt einzusteigen, um grössere Mengen zu transportieren.
Zunächst arbeitet Onassis sechs Monate im Londoner Büro einer griechischen Reederei, dann kauft er 1933 seine ersten Frachtschiffe. Wegen der Weltwirtschaftskrise zahlt er einen Spottpreis. Onassis arbeitet viel. Er liest Schifffahrtsmagazine aus Antwerpen, Hamburg und New York und inspiziert seine Schiffe persönlich. Früh erkennt er, dass die Zukunft im Erdölgeschäft liegt. 1938 lässt er seine ersten Tanker bauen. Später schliesst er lukrative Verträge mit Erdölfirmen ab.
In den 1950er und 1960er Jahren ist Onassis auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er besitzt Dutzende von Öltankern und Frachtern. Über manche Standards der Branche sieht er grosszügig hinweg. Um Steuern zu sparen, gründet Onassis komplexe Offshore-Gesellschaften, viele seiner Schiffe fahren unter der Flagge Panamas oder Liberias.
Er investiert in Banken, Fluggesellschaften und Immobilien, etwa in Monaco, auch die grösste private Walfangflotte der Welt gehört ihm. Sein Vermögen wird auf 500 Millionen bis 1 Milliarde Dollar geschätzt, was heute 4 bis 10 Milliarden Dollar entspräche. In den 1950er und 1960er Jahren ist Onassis einer der reichsten Männer der Welt.
Aufsehen erregt Onassis durch seinen exzessiven Lebensstil. Er gilt als Lebemann, der Luxus, Partys und Frauen liebt. Mühelos bewegt er sich in den höchsten Sphären der Gesellschaft. Winston Churchill und John F. Kennedy, Marilyn Monroe und John D. Rockefeller, Fürst Rainier III. von Monaco und Grace Kelly zählen zu seinem Freundeskreis.
Seine Luxusjacht «Christina» wird zu einem Hotspot der Schönen und Reichen. Onassis kauft die Fregatte 1948 der kanadischen Marine für schlappe 34 000 Dollar ab und macht aus ihr einen schwimmenden Luxuspalast. Das Schiff hat einen Helikopterlandeplatz und einen Operationsraum mit Röntgenanlage, in den Badezimmern sind die Wasserhähne vergoldet und die Wände mit Marmor verkleidet. Legendär ist die Bar: Die Hocker sind mit Leder aus der Vorhaut von Walen bezogen.
Durch Onassis werden das Privatflugzeug und die Luxusjacht zu neuen Statussymbolen. Heute New York, morgen Paris, am Wochenende Skorpios, seine Privatinsel im Mittelmeer: Mit Onassis entsteht der Jetset, eine neue, globale Elite, für die Grenzen nicht mehr existieren.
III. Liebe, Macht und Verrat
Jetzt fehlt nur noch eine Frau. Jung, reich und schön muss sie sein.
1946 heiratet Onassis Athina Livanos, Tochter eines griechischen Reedereimagnaten. Sie ist 17 Jahre alt, er 40. Onassis, der nicht aus einer Schifffahrtsdynastie stammt, gilt unter den alteingesessenen Grossunternehmern Griechenlands als Parvenü. Für ihn ist die Ehe daher vor allem eine strategische Allianz, die ihm die Tür zur globalen Reedereielite öffnen soll. Das Paar bekommt zwei Kinder, Alexander und Christina.
Bald kriselt die Beziehung, Onassis werden zahlreiche Liebschaften nachgesagt. 1957 lernt er Maria Callas kennen, die damals berühmteste Opernsängerin der Welt, sie wird auch «La Divina», «die Göttliche», genannt. Zwei Jahre später lädt er sie zu einer Party auf seine Jacht ein. Von da an ist ihre Beziehung ein offenes Geheimnis. Callas, die zu dem Zeitpunkt noch verheiratet ist, reicht die Scheidung ein; Onassis’ Ehefrau ebenso.
Callas hofft auf eine feste Beziehung mit dem Reeder. Ihre Briefe legen aber nahe, dass die Beziehung nicht nur von Leidenschaft, sondern auch von Kontrolle und Gewalt geprägt ist. Es kommt zu öffentlichen Streitereien und Demütigungen.
Dann kommt Jacqueline Kennedy, sie ist 23 Jahre jünger. 1968 heiratet Onassis die Witwe von John F. Kennedy völlig überraschend. Für Maria Callas ist das ein Schock, sie soll davon aus der Zeitung erfahren haben.
Kennedy ist das Symbol der amerikanischen Aristokratie. Onassis hofft daher, durch sie nicht nur gesellschaftlichen, sondern auch politischen Einfluss zu gewinnen. Er will überall nur das Beste: im Geschäft, aber auch bei den Frauen. Doch auch die Beziehung mit Kennedy scheitert.
IV. Der Sturz des Titanen
Onassis ist in den Olymp aufgestiegen, den Sitz der zwölf griechischen Götter. Als Grossreeder hat er Poseidon herausgefordert, den Gott der Meere, Bruder des Zeus, Herr über die Schiffe und ihre Seefahrer. Er hat Berge von Reichtümern angehäuft und die berühmtesten Frauen seiner Zeit verführt. Doch kein Glück währt ewig.
1973 ist der Wendepunkt in Onassis’ Leben. In Athen verunfallt sein einziger Sohn und Erbe Alexander im Alter von 24 Jahren bei einem Testflug. Einen Tag später wird er für hirntot erklärt, und Onassis muss die lebenserhaltenden Massnahmen einstellen lassen. Die Mutter kommt über den Tod ihres Sohnes nicht hinweg. Ein Jahr später nimmt sie sich das Leben.
Auch Aristoteles trifft Alexanders Tod schwer. Er verliert den Lebenswillen und beginnt Teile seiner Unternehmen zu verkaufen, darunter seine Fluggesellschaft Olympic Airways, einst sein Prestigeprojekt. Aus dem öffentlichen Leben zieht er sich zurück.
Vor fünfzig Jahren, am 15. März 1975, stirbt Onassis im Alter von 69 Jahren an einer Lungenentzündung in Paris.
V. Der Niedergang des Imperiums
Nach Onassis’ Tod erbt seine Tochter Christina die Hälfte des Vermögens, die andere fliesst in die Alexander-Onassis-Stiftung. Zwei Jahre später gibt Christina die Leitung der Geschäfte ab, die Jacht schenkt sie dem griechischen Staat. Onassis’ Tochter ist in unternehmerischen Angelegenheiten zu unerfahren, seit dem Tod ihrer Eltern zudem depressiv. 1988 stirbt sie an einem Herzinfarkt, verursacht durch Medikamentenmissbrauch.
Ihre Tochter Athina ist zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt. Sie wächst bei ihrem Vater und dessen neuer Ehefrau in der Schweiz auf, in Lussy-sur-Morges. Als sie 18 Jahre alt wird, geht das Erbe ihrer Mutter an sie über. Zurückhaltende Schätzungen sprechen von 800 Millionen Dollar; damit ist Athina reicher als Königin Elizabeth II.
Heute ist Onassis’ Imperium deutlich geschrumpft. Die Alexander-Onassis-Stiftung verfügt noch über neunzehn Tanker, viele Immobilien und Investmentanteile sind verkauft. Die Insel Skorpios ist an die Tochter eines russischen Oligarchen verpachtet. Die Jacht gehörte zuletzt einem irischen Geschäftsmann und konnte für Reisen gemietet werden. Derzeit liegt sie im Hafen von Perama, einem Vorort von Athen, und steht zum Verkauf.
Athina Onassis, inzwischen 40 Jahre alt, ist Springreiterin und lebt nach einer Scheidung zurückgezogen in Belgien. Das viele Geld habe nur Unglück über ihre Familie gebracht, hat sie einmal gesagt. Mit dem geschäftlichen Erbe ihres Grossvaters will sie nichts zu tun haben.