Donnerstag, Januar 23

Christian Beutler / Keystone

Nirgends am WEF sind sich die Reichen und Mächtigen und die Personen, die für sie arbeiten, näher als im Auto. Eine Reportage aus dem Alltag derjenigen, die in Davos im Hintergrund bleiben.

«Zieh gute Schuhe an, wenn du während des WEF nach Davos fährst», sagten Kolleginnen und Kollegen von der Redaktion. Man sei dann schneller. Bald würde sich zeigen, was sie damit meinten.

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In Davos treffen für eine Woche die Welten aufeinander. Zum einen sind da die CEO und Regierungsvertreter, die Vorträge halten und die Probleme der Welt diskutieren. Zum anderen sind da die Personen, die für sie arbeiten. Das sind die Menschen, die am WEF zwölf Stunden am Tag Champagner ausschenken, putzen, Gäste bewachen. Sie schlafen auf dem Sofa oder, wenn es sein muss, im Auto.

Selten sind sich die Reichen und Mächtigen und ihre Angestellten so nah wie beim WEF in Davos. Und nirgends sitzen sie so eng beisammen wie im Auto. Beziehungsweise: in der Limousine.

«Man merkt halt, dass bei vielen Geld da ist»

Das Auto ist am WEF in Davos mehr als ein Transportmittel. Für die Konzernchefinnen und Minister, die ans WEF reisen, ist die Limousine ihr Rückzugsort, ihr Sitzungszimmer. Für andere ist die Limousine ein Ort, um Geld zu verdienen.

Es ist Montag, der erste Tag des WEF. Noch ist es ruhig, das Dorf füllt sich erst. Auf den Trottoirs stehen Frauen und Männer in Blazern und mit polierten Schuhen, sie tragen kleine Taschen mit Laptops oder tippen auf ihrem Smartphone. In Davos gibt es eine Hauptstrasse, die Promenade. Während des WEF reihen sich dort die Limousinen aneinander.

So eine Limousine lenkt auch Fabio Frei. Er ist in der Nähe von Davos aufgewachsen und arbeitet normalerweise als Rettungssanitäter in Zürich. Seit sechs Jahren kommt er für eine Woche ans WEF, um die Reichen und Mächtigen zu fahren. «Am Anfang war ich nervös», sagt er am Telefon. Viele hätten hohe Ansprüche, seien es einfach gewohnt, im Auto und mit Chauffeur zu reisen. «Man merkt halt, dass bei vielen Geld da ist.»

Der Chauffeur und der Kunde führen eine ungewöhnliche Beziehung

Inzwischen sei er entspannter, sagt Frei. Auch mit den Stammkunden, die er vermittelt bekommt. Es sei eine ungewöhnliche Beziehung: Einmal im Jahr verbringe man viel Zeit auf engem Raum, dann sehe man sich für ein Jahr wieder nicht mehr. «Die Kunden vertrauen mir, für sie ist die Limousine ihr Safe Space.»

Frei kennt die Kunden seit Jahren, ist dabei, wenn diese auf der Rückbank Meetings abhalten oder mit ihren Kindern per Video telefonieren. Und die Kunden? Die wüssten auch ein bisschen etwas über ihn, sagt Frei. Aber er erzähle nur von sich, wenn er gefragt werde.

Etwas ausserhalb des Dorfs lotst Steffen Preissinger eine Limousine in eine Waschanlage. Preissinger arbeitet in der Nähe von Frankfurt als Springer in der Logistik. Am WEF wäscht er Autos, seit sechs Jahren. «Ich komme wegen des Lohns hierher, aber auch, weil ich die Arbeit und die Leute mag», sagt er.

Zwölf Stunden täglich steht Preissinger draussen an der Autowaschanlage und wäscht die Limousinen, die am WEF die Gäste von Termin zu Termin fahren, manchmal bei minus 18 Grad. «Das erste Jahr war hart», sagt er. Morgens um halb sieben fängt er an, die Schicht endet zwischen sieben und acht Uhr abends, manchmal auch um halb neun. Mit den Pausen wechselt er sich mit den Kollegen ab, sie arbeiten zu dritt.

Minusgrad und Tiefkühlhosen

Es ist auch an diesem Tag kalt in der Waschanlage, doch die Sonne scheint. In der Luft riecht es nach Putzmittel. Preissinger zeigt seine Hose. Er hat sie in einer Spezialfachhandlung für Tiefkühllogistik gekauft, sie hat mehrere Schichten und eine wasserabweisende Oberfläche. Trotzdem muss Preissinger seine Kleider oft mehrmals am Tag wechseln. «Das Problem ist: Es gibt nichts, was zugleich beides kann: Kälte und Wasser abhalten», sagt er. Im ersten Jahr habe er die Hose noch nicht gehabt, dann sei es fast unerträglich gewesen. Jetzt gehe es, er sei besser vorbereitet.

An der Waschanlage fährt ein schwarzer Mercedes heran. Preissinger nimmt den Wasserstrahler, seift das Auto ein, spült es ab. Seine Handgriffe sind routiniert, er geht in zügigen Schritten um das Auto herum. In weniger als drei Minuten ist er fertig. Bis zu 250 Autos wasche er an einem Tag, sagt Preissinger. Der CEO und die Ministerin erwarten, dass die Limousine glänzt, wenn sie abgeholt werden.

«Das Limousinen-Business ist ein rauer Markt»

Sowohl Frei als auch Preissinger arbeiten bei Top-Alliance, einem der grössten Limousinen-Unternehmen vor Ort. Es stellt mit 246 Stück eine Vielzahl der Luxuswagen am WEF, fuhr schon Tony Blair oder Leonardo DiCaprio. Das Unternehmen wurde von Ralf Bülter gegründet. Bülter ist in Frankfurt aufgewachsen, hat dort Betriebswirtschaft und Logistik studiert und ist vor dreissig Jahren mit seinem Unternehmen nach Davos gekommen.

Anfangs habe er es schwer gehabt im Dorf, sagt Bülter. Der Besitzer der Waschanlage habe ihn skeptisch beobachtet und nicht mit ihm gesprochen. Mit den anderen Limousinen-Unternehmen sei die Beziehung noch immer angespannt, es gebe Anfeindungen. Martin Schwegler ist der Verwaltungsratspräsident des Unternehmens. Er sagt: «Das Limousinen-Business ist ein rauer Markt.» Doch zumindest im Dorf seien sie inzwischen akzeptierter. Manche der älteren Damen vermieteten ihnen Zimmer und liessen Fahrer auf ihren Schlafsofas schlafen. Mit dem Betreiber der Waschanlage seien sie mittlerweile per du.

Schwegler ist mitverantwortlich für die Koordination am WEF, er kümmert sich um die Kommunikation und um rechtliche Fragen. Normalerweise fährt er die Limousinen nicht, er hat keinen Taxischein. Heute macht er eine Ausnahme.

Schwegler öffnet die Tür zum Wagen. Der erste Gedanke: Hoffentlich macht man ihn nicht mit dem Matsch an den Schuhen dreckig. Es riecht nach neuem Auto. Auf dem Mercedes-Logo klebt sogar noch die Schutzfolie. Es ist Vormittag, noch fliesst der Verkehr, doch bald dürften die Strassen verstopfen. Geschätzt 2700 Teilnehmende sind dieses Jahr im Dorf, hinzu kommt Sicherheits-, Gastro-, Logistikpersonal. Öffentliche Verkehrsmittel wie Busse fahren auf der Promenade keine. Der schwarze SUV rollt durch den Schneematsch, durch die Dachfenster sieht man die Berge.

Das Gefälle zwischen den Reichen und denen, die für sie arbeiten

Ralf Bülter hat über die Jahre das Geschäft mit den Superreichen perfektioniert. Er bereitet seine Fahrer und Fahrerinnen vor, gibt ihnen ein 57-seitiges Handbuch mit nachfolgendem Test und Dossiers mit Fakten, die sie über ihre Kunden auswendig lernen müssen. Seine Frau gibt anschliessend eine Schulung zur Etikette. Bülter sagt: «Dieses Jahr will ein Kunde aus Thailand auf jeder Fahrt frische Himbeeren.» Solche Extrawünsche müssten sie berücksichtigen.

Bülter spricht viel und klopft seinen Mitarbeitenden auf die Schulter, wenn er ihnen begegnet. In Davos hat das Unternehmen sein Büro an der Promenade, zusätzlich hat es sich für das WEF in der Sakristei der katholischen Kirche einquartiert. Hier ruhen sich die Fahrer und Fahrerinnen zwischen den Fahrten aus. Die Übernachtung und das Essen übernimmt Bülters Firma. Heute gibt es Lasagne. Fahrer und Fahrerinnen kriegen je nach Anzahl der Einsatztage eine Lohnpauschale zwischen 1500 und 2000 Franken.

Vor dem Fahrdienst bekommen alle eine Stofftasche. Ralf Bülter zeigt ihren Inhalt: eine weisse gefütterte Jacke mit dem Firmenlogo darauf («die kostet 150 Franken»), ein Poliertuch für die Bildschirme der Luxuswagen («die müssen immer blitzblank sein, wenn der Kunde einsteigt») und ein Zahnputzset («damit die Fahrer keinen Mundgeruch haben»).

Die Stofftasche markiert die Trennlinie zwischen den Angestellten und denen, die sie herumfahren. «Der Kunde ist König» – eine Binsenwahrheit, aber in den Limousinen am WEF ist sie oberstes Gebot.

Die Fahrt mit der Limousine ist vorbei, das Auto wird für den nächsten Kunden gebraucht. Man bedankt sich, wirft aus Neugierde einen Blick auf die Uber-App. Bis zu achtzig Franken kostet eine Fahrt einmal durchs Dorf. Wer die richtigen Schuhe trägt, kommt zum Bahnhof immer noch am besten zu Fuss.

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