In Frankreich ist der rechte Rand für jüngere Wähler attraktiv geworden, selbst in Paris. Auf Wahlkampf mit der 25-jährigen Kandidatin Mélina Bravo.

Tangi Bellaunay ist nervös. Es ist das erste Mal, dass der 23-Jährige für seine Partei Flugblätter verteilt. In weissem Hemd und beigem Blazer steht er am Rande des Marktplatzes von Suresnes und nimmt Anweisungen entgegen. «Wenn jemand abweisend reagiert, lass es einfach, führ keine Diskussionen. Und wenn jemand fragt, zähl kurz unsere wichtigsten drei Themen auf: Kaufkraft, Migration und Sicherheit.» Bellaunay nickt, steckt sich eine kleine Frankreich-Flagge ans Revers und nimmt einen Stapel Flyer. Den vorbeigehenden Passanten streckt er die Zettel entgegen: «Bonjour, wählen Sie Rassemblement national!»

Der Pariser Vorort Suresnes liegt 12 Kilometer westlich vom Zentrum der Hauptstadt. Im Hintergrund ragen die Hochhäuser des Geschäftsviertels La Défense in den Himmel. Hier sind Tangi Bellaunay und weitere Mitglieder des Jugendverbands des Rassemblement national (RN) an diesem Samstagmorgen zusammengekommen, um Werbung für ihre Kandidatin zu machen, die 25-jährige Mélina Bravo. Am Sonntag findet die erste Runde der Parlamentswahlen statt, die Präsident Macron nach der Niederlage seiner Partei bei der Europawahl ausgerufen hat.

Bravo, schwarzes Kleid, heller Trenchcoat, roter Lippenstift, steht lächelnd in der Mitte ihrer Entourage, verteilt Flugblätter und schüttelt Hände. Noch vor nicht allzu langer Zeit hat sie Marketing studiert und in einer Agentur gearbeitet. Heute betreibt sie in Vollzeit Politik am rechten Rand und ist bei der Kommunikationsabteilung des RN angestellt. Dieser Wahlkampf ist ihr erster als Kandidatin. «Ich habe mir diesen Schritt gut überlegt», sagt sie. «Und ich glaube, dass ich so am meisten für mein Land tun kann. Ich habe keine Lust, es den extremen Linken zu überlassen.»

Junge sind pessimistisch – und wählen rechts

Bravo leitet auch den Jugendverband der Partei in ihrem Département – und ist stolz darauf, dass dieser weiter wächst. «Jeden Monat haben wir zahlreiche neue Beitritte.» So wie Tangi Bellaunay, der Anfang des Jahres dazukam. Die Entscheidung sei ihm nicht schwergefallen, erzählt er: «In der Bretagne, wo ich vorher gewohnt habe, habe ich das Programm schon unterstützt. Ich finde es gut, dass sich jemand für die innere Sicherheit einsetzt.»

Tatsächlich wird das Rassemblement national bei jungen Franzosen beliebter. Ein Drittel der Wähler zwischen 18 und 34 Jahren stimmte bei der Europawahl für die Partei. «Lange Zeit war es nicht gerade angesehen, das RN zu unterstützen», sagt Mélina Bravo. «Es gab so viele Vorurteile. Heute sind wir näher an der Macht als je zuvor. Und die Jungen trauen sich zu sagen, dass sie ihr Land lieben.»

Doch es ist nicht nur der Patriotismus, der die Jungen zu der Partei bringt. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop war der Pessimismus unter jungen Franzosen noch nie so gross. 32 Prozent der 18- bis 25-Jährigen glauben, dass es ihnen in zehn Jahren schlechtergehen wird; etwa ein Drittel bezeichnet sich selbst als «ängstlich». Der Grossteil der jungen Wähler und Wählerinnen des Rassemblement national kommt vom Land, aus Vor- oder Kleinstädten, wo die Jugendarbeitslosigkeit vergleichsweise hoch und die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg real ist.

Suresnes gehört zu den besseren Vororten von Paris. In der ehemaligen Industriestadt sind heute Unternehmen aus der Pharmaindustrie oder dem Softwarebereich angesiedelt, das Stadtzentrum ist belebt durch Geschäfte und Cafés. Und doch ist das Rassemblement national bei der Europawahl mit 14 Prozent drittstärkste Kraft geworden. Ein junger Mann wünscht Mélina Bravo im Vorbeigehen viel Erfolg. «Ihr seid die beste Partei», ruft er ihrer Gruppe zu.

Die Antwort auf alle Fragen: Jordan Bardella

Der Erfolg des Rassemblement national hat auch viel mit Jordan Bardella zu tun. Der 28-jährige Parteivorsitzende ist in den vergangenen Monaten zu einer Art Polit-Star avanciert. Auf Tiktok folgen ihm mehr als eine Million Menschen; wo er auch hinkommt, machen Leute Selfies mit ihm. Bardella verspricht den Franzosen, sie gegenüber Ausländern oder Doppelbürgern zu bevorzugen – sei es bei der Ausbildung, bei der Wohnungsvergabe oder bei der Arbeitsplatzsuche. Die Begrenzung der Migration und ein stärkerer Fokus auf die französische Wirtschaft sollen ihr Übriges dazu beitragen, dass wieder mehr Geld im Portemonnaie ist.

Das Rassemblement national hat den gesamten Wahlkampf auf Bardella zugeschnitten, auf den Flyern von Mélina Bravo prangt sein Porträt neben dem von ihr und Marine Le Pen. «Bardella premier ministre», steht darauf. Zwar geht es bei den Wahlen am 30. Juni und am 7. Juli zunächst einmal darum, das französische Parlament neu zu besetzen. Das RN aber verspricht: Wenn ihr uns wählt, bekommt ihr Bardella.

Die Augen von Kalissa Mabrouki beginnen zu leuchten, wenn sie diesen Namen hört. Sie habe Jordan Bardella kürzlich bei einer Wahlkampfveranstaltung kennengelernt, erzählt die 22-Jährige, die ebenfalls beim Flyerverteilen in Suresnes mithilft. «Er tritt zwar oft ziemlich ernst auf, aber er ist so nett!» Mabrouki zeigt den Sperrbildschirm ihres Handys. Darauf sind sie und Bardella zu sehen, wie sie nebeneinanderstehen und sich zulächeln, sie sehen aus wie frisch verliebt.

Kalissa Mabrouki findet, dass Bardella das ausspricht, was sich sonst keiner traut. Anderen Parteien und Institutionen misstraut sie. Mabrouki erzählt von der erfolglosen Wohnungssuche einer Bekannten – und von einem Wohnprojekt in der Nähe, für ukrainische Geflüchtete. Ein Unding, findet sie: «Erst sollten die Franzosen drankommen, dann alle anderen. Das klingt hart, aber so ist es.» Dass sie selbst algerische Wurzeln hat, spielt für sie dabei keine Rolle, sie sieht sich als Französin.

«Die neue Generation des RN tritt in Migrationsfragen viel weniger aggressiv auf als die alte», findet Lucas Foulon, 22, der auf dem Marktplatz von Suresnes Flyer für die Macron-Partei Ensemble verteilt. «Ob sich ihre Ideologie grundsätzlich gewandelt hat, finde ich aber schwer zu beurteilen.» Doch Foulon macht sich keine Illusionen: «Wir werden bei der Wahl viele Stimmenanteile verlieren. Und sie werden sie gewinnen.»

In Suresnes und Nanterre, den beiden grössten Städten im Wahlbezirk von Mélina Bravo, lagen linke Parteien bei den Europawahlen vorne. In Nanterre hätten Parteikollegen von ihr kürzlich die Polizei rufen müssen, erzählt Bravo, nach einer Konfrontation mit Mitgliedern des Front populaire. Sie sieht sich dadurch erst recht bestärkt: «Die Linken sind die Extremen, nicht wir.»

«Ich will später eine Familie gründen»

Internationale Bekanntheit erlangte Nanterre vergangenes Jahr durch den Tod des 17-jährigen Nahel M., der bei einer Polizeikontrolle erschossen wurde. Wochenlang kam es im ganzen Land zu Protesten und Ausschreitungen mit grossen Sachbeschädigungen. Für Bravo ging das zu weit: Sie möchte, dass Randalierer härter bestraft werden. So sieht ein Vorschlag von ihr vor, Eltern von straffällig gewordenen Jugendlichen das Kindergeld zu streichen.

Bravo will diejenigen Wähler in ihrem Bezirk ansprechen, die sich wie sie Sorgen um ihre Sicherheit machen. Bedroht werde diese vor allem durch die Zuwanderung. «Gerade als junge Frau ist das doch ein wichtiges Thema: dass man nachts alleine rausgehen kann», findet Mélina Bravo. «Und dass man darauf vertrauen kann, dass Straftäter wirklich bestraft werden. Ich möchte irgendwann eine Familie gründen, und ich will, dass meine Kinder in einem sicheren Land aufwachsen.»

Auch für Kalissa Mabrouki ist klar, dass das RN die Partei ist, die am meisten für junge Frauen tut. Im EU-Parlament hat sich die Partei bei Abstimmungen zu Themen wie häuslicher Gewalt oder Abtreibungen zwar meist enthalten. «Aber in Frankreich ist das anders», glaubt Mabrouki. Die Partei werde sich für alle einsetzen, Männer wie Frauen. «Wir sind die Einzigen, die Frankreich lieben.»

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