Donnerstag, September 19

Auch in der Schweiz muss der Staat künftig Übernahmen wichtiger inländischer Firmen durch Ausländer überprüfen. Das hat der Nationalrat am Dienstag entgegen dem Willen des Bundesrats beschlossen.

Nationale Sicherheit geht vor wirtschaftlicher Offenheit. Das ist ein globaler Trend der letzten Jahre. Treiber des Trends sind die Spannungen zwischen China und dem Westen, Russlands Krieg in der Ukraine, die Pandemie und Energiekrisen.

Auch die Schweiz wurde von diesem Trend erfasst. Die im internationalen Vergleich noch eher liberale Grundhaltung und die Kleinheit des Landes bremsen zwar Illusionen über die wirtschaftliche Unabhängigkeit. In der Schweiz gibt es auch keine massiven Subventionen für bestimmte «strategische» Branchen. Trotzdem haben sich die Gewichte auch in der Schweiz verschoben.

Eine Illustration liefert die Lust des Parlaments auf die Einführung einer staatlichen Kontrolle bei Übernahmen von Schweizer Firmen durch ausländische Investoren. Das Parlament hatte 2020 durch Überweisung eines Vorstosses dem Bundesrat entgegen dessen Willen befohlen, ein Gesetzesprojekt für eine solche Investitionskontrolle vorzulegen.

Auch «Lex Russland»

Der Vorstoss war eine Art «Lex China». Im Visier waren vor allem staatsnahe chinesische Firmenkäufer. Eine gängige Befürchtung: Solche Investoren kaufen mit Staatshilfen und aus strategischen Motiven westliche Firmen auf, saugen deren Wissen ab und verschieben dann die Wertschöpfung ins eigene Land. Seit 2020 ist der Drang nach staatlichem Aktivismus noch deutlich gestiegen. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die Energiekrise und die Pandemie gaben dem Begriff «Versorgungssicherheit» hohe Prominenz.

Der Bundesrat erfüllte seine Strafaufgabe zähneknirschend und schickte 2023 einen Gesetzesvorschlag an das Parlament. Die Regierung wollte ein relativ eng beschränktes Kontrollregime. Generell unterstellt wären nur Übernahmen von Schweizer Firmen durch staatliche Auslandsinvestoren in besonders heiklen Bereichen – vor allem Kriegsmaterial-Hersteller und Energieproduzenten. Zusätzliche sensible Branchen wären erst ab einem Jahresumsatz von 100 Millionen Franken kontrollpflichtig. Das wären zum Beispiel Spitäler und Medikamentenhersteller.

Doch der Nationalrat hat am Dienstag mit klarer Mehrheit ein deutlich weitergehendes Kontrollregime beschlossen. Das beginnt schon bei der Zweckbestimmung des Gesetzes. Laut der Regierungsversion sollte das Gesetz Firmenübernahmen verhindern, wenn diese die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Schweiz gefährden oder bedrohen. Der Nationalrat fügte die «Versorgung mit essenziellen Gütern und Dienstleistungen» hinzu.

Gemeint sind hier unerlässliche Güter wie etwa Nahrungsmittel, Medikamente und Energieträger. Der Zweckartikel bestimmt nicht direkt den konkreten Anwendungsbereich des Gesetzes, kann aber im Einzelfall Auswirkungen auf die Behördenpraxis haben.

Auch Privatinvestoren im Visier

Die mit Abstand bedeutendste Ausweitung durch den Nationalrat: Das Kontrollregime soll generell nicht nur für Übernahmen durch ausländische Staatsakteure gelten, sondern durch alle ausländischen Investoren. Die Abgrenzung zwischen staatlichen und privaten Investoren ist laut den Befürwortern der Ausweitung vor allem in autokratischen Staaten wie China und Russland oft nur schwer zu machen.

Diese Ausweitung dürfte laut einem Bericht des Wirtschaftsdepartements zu einer Verzehnfachung der Kontrollen von Firmenübernahmen führen – von einigen wenigen auf geschätzte 30 bis 40 pro Jahr. Das für die Kontrollen zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft müsste gemäss dem Papier sieben statt nur zwei neue Vollzeitstellen schaffen.

Akzeptiert hat der Nationalrat einige der vom Bundesrat vorgeschlagenen Schwellenwerte für die Übernahmekontrolle. Bei zentralen Lieferanten der Schweizer Armee und grundsätzlich bei Kriegsmaterialexporteuren sowie bei bedeutenden Dienstleistern für die Informatiksicherheit sind Übernahmen durch Ausländer ab einem Jahresumsatz von 10 Millionen Franken oder ab 50 Vollzeitbeschäftigten kontrollpflichtig.

Für andere als heikel eingestufte Sektoren gilt ein Schwellenwert von 100 Millionen Franken Jahresumsatz oder Bruttoertrag. Die Liste der betroffenen Betriebe umfasst im Einklang mit dem Bundesratsvorschlag zum Beispiel Zentrumsspitäler, Pharmafirmen, Betreiber von Transportinfrastruktur, Lebensmittelverteiler, Telekomfirmen und systemrelevante Banken.

Deutlich tiefere Schwellenwerte als die Regierung will der Nationalrat bei Übernahmen von Unternehmen der Stromwirtschaft und von Wasserversorgern. Laut Angaben der Verwaltung dürften die Auswirkungen hier allerdings gering sein, weil viele potenziell betroffene Unternehmen in Staatsbesitz seien.

Kurswechsel der Grünliberalen

Die Mehrheiten im Nationalrat waren deutlich. Im Einklang mit dem Bundesrat grundsätzlich gegen eine staatliche Investitionskontrolle waren nur die FDP und etwa ein Drittel der SVP-Exponenten. Praktisch geschlossen dafür waren die Linke, die Mitte und die Grünliberalen. Die veränderten Wahrnehmungen illustrierte die Berner Grünliberale Kathrin Bertschy. Aus liberaler Sicht könne man argumentieren, es brauche das Gesetz nicht, betonte sie: Der Markt sei am besten geeignet, die Versorgung mit essenziellen Gütern sicherzustellen. Eine Investitionsprüfung bei Privatfirmen sei schwer verständlich.

Bertschy erinnerte auch daran, dass die Grünliberalen den ursprünglichen Parlamentsvorstoss für eine solche Investitionskontrolle 2020 noch abgelehnt hatten. Aber die geopolitischen Verhältnisse hätten sich verschoben, erklärte sie mit Verweis auf den russischen Krieg, die Pandemie und den zunehmenden Protektionismus. Und: «Es ist ein schwieriges Abwägen.»

Unklares Preisschild

Wirtschaftsminister Guy Parmelin stand bei seinem Kampf gegen die Investitionskontrolle im Nationalrat auf verlorenem Posten. Er sprach von bedeutenden Kosten und nur beschränktem Nutzen eines solchen Kontrollregimes. Und bisher kenne man noch keine Firmenübernahme, welche die öffentliche Ordnung in Frage gestellt habe. Redner im Nationalrat nannten einige aus ihrer Sicht beunruhigende Übernahmen wie jene des Basler Agrochemiekonzerns Syngenta durch einen chinesischen Konzern oder den Einstieg des russischen Investors Viktor Vekselberg beim Industriekonzern Sulzer. Doch ob diese Übernahmen unter dem geplanten Gesetz verboten worden wären, erscheint zweifelhaft.

Die Befürworter betonten, dass viele Mitglieder der EU und des Industrieländervereins OECD eine staatliche Investitionskontrolle eingeführt hätten. Insgesamt liegen aber die Einschränkungen für Auslandsinvestitionen in der Schweiz gemäss OECD-Index leicht über dem Durchschnitt der OECD.

Gemessen an den ausländischen Erfahrungen dürfte eine staatliche Investitionskontrolle die ausländischen Firmenübernahmen reduzieren und damit auch den Wohlstand senken, hatte das Wirtschaftsdepartement in einem Papier vom Juni für die nationalrätliche Wirtschaftskommission erklärt.

Laut einer vom Kiel Institut für Weltwirtschaft heuer publizierten Studie für die Periode 2007 bis 2022 führte die Einführung staatlicher Investitionskontrollen in EU- und OECD-Ländern in den betroffenen Sektoren zu einer Reduktion von grenzüberschreitenden Firmenübernahmen von 12 bis 16 Prozent. Laut den Autoren dürften die Kontrollen angesichts der Grösse dieses Effekts nicht nur unerwünschte Übernahmen vermieden haben.

Das Dossier geht nun in den Ständerat. Auch dort dürfte das Gesetzesprojekt gute Chancen haben.

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