Dienstag, November 26

In Staaten wie Ungarn, Polen oder Litauen gibt es verhältnismässig wenige Asylgesuche. Mit strikten Massnahmen schrecken sie Migranten ab, oder sie lassen sie durchziehen. Während zentrale Zielländer in Westeuropa nun aber ihre Grenzen dichtmachen, nehmen irreguläre Übertritte in Osteuropa stark zu.

Mitten in der europäischen Migrationsdebatte dieser Woche sorgen neue Zahlen der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex für Aufsehen. Zwar veröffentlicht die Behörde monatlich Daten zu den registrierten irregulären Grenzübertritten auf dem Kontinent, doch diesmal gibt es auf den ersten Blick Positives: Im Vergleich zu den ersten neun Monaten des Vorjahres sank die Zahl der Übertritte um 42 Prozent – von rund 285 000 auf etwa 170 000 im gleichen Zeitraum.

Frontex verzeichnet deutlich weniger Übertritte auf der zentralen Mittelmeer-Route von Afrika nach Italien und auf der Westbalkan-Route nach Ungarn und Österreich. Im Mittelmeer verhindert Tunesien derzeit Überfahrten nach Italien, und auch Länder wie Serbien und Montenegro haben ihre Grenzkontrollen verschärft.

Das strengere Vorgehen auf den zuvor stark genutzten Routen verlagert die Migration auf andere Wege. Im Westen steigen die Zahlen auf den Kanarischen Inseln deutlich, im Osten kommen wieder mehr Migranten aus der Türkei nach Griechenland. Noch ist das Bild für dieses Jahr unvollständig. In den Monaten Oktober und November wurden in der Vergangenheit stets hohe Zahlen registriert, weil viele Migranten vor allem im Atlantik die günstigeren Bedingungen zur Überfahrt nutzen.

Besonders auffällig ist allerdings bereits jetzt die Zunahme irregulärer Grenzübertritte fern von Europas Meeren.

Frontex meldet die stärkste Zunahme an Übertritten über die osteuropäische Route nach Polen und in die baltischen Staaten. In den letzten neun Monaten registrierte die europäische Grenzschutzbehörde dort knapp 13 200 irreguläre Grenzübertritte. Das sind bereits fast dreimal so viele Übertritte wie im gesamten Jahr 2023, was einer Zunahme von 192 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht.

Der drastische Anstieg der Zahlen kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die osteuropäische Migrationsroute einer der am wenigsten benutzten irregulären Wege nach Europa bleibt.

Trotzdem erklärte Polens Ministerpräsident Donald Tusk diese Woche, dass die Regierung aufgrund des starken Anstiegs irregulärer Einreisen das EU-Asylrecht teilweise aussetzen wolle. Zuvor hatten bereits Ungarn, die Niederlande, Finnland und Zypern in Brüssel Ausnahmen von den gemeinsamen Asylregeln gefordert.

In Ost- und Nordeuropa wird kaum Asyl beantragt

Ungarn, Polen und Finnland sind bisher im europäischen Vergleich allerdings nicht als Länder aufgefallen, in denen besonders viele Migranten einen Antrag auf Asyl stellen. Im Gegenteil: Mit gerade einmal 30 Asylanträgen bildete Ungarn im vergangenen Jahr das Schlusslicht in der europäischen Asylstatistik. Das Land verfolgt unter Ministerpräsident Viktor Orban seit Jahren eine Asylpolitik, die auf Abschreckungsmassnahmen an der Grenze und dem Durchwinken von Migranten in Nachbarländer beruht.

Dieses Jahr rapportierte Europas Statistikbehörde Eurostat bis Ende Juli 15 Asylgesuche in Ungarn. In Finnland gingen im selben Zeitraum knapp 1700 Gesuche ein und in Polen 9050. Bis Sommer 2024 wurden in dem osteuropäischen Land fast so viele Anträge gestellt wie im gesamten Vorjahr. Dennoch liegt Polen weiterhin deutlich hinter Ländern wie Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien oder auch der Schweiz zurück.

Bis Juli dieses Jahres wurden hierzulande über 16 000 Asylgesuche eingereicht. Das Staatssekretariat für Migration rechnet damit, dass bis Ende des Jahres rund 30 000 Anträge eingehen werden, was dem Niveau von 2023 entsprechen würde.

Das Ungleichgewicht zwischen denjenigen europäischen Ländern, in denen mehr, und denjenigen, in denen weniger Migranten Asyl beantragen, wird besonders im Verhältnis zur Einwohnerzahl deutlich. Vergangenes Jahr wurden in Zypern im Verhältnis zur Bevölkerung die meisten Erstantragsteller registriert, darauf folgen Österreich und Griechenland. In Österreich stellten in der Vergangenheit viele Migranten ein Asylgesuch, die sich bereits in einem der Mittelmeerländer registriert hatten, dann aber weiterzogen. In Staaten wie Dänemark, Polen, Litauen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn lag die Zahl der Erstantragsteller hingegen bei weniger als einem pro tausend Einwohner.

Viele Ukraine-Flüchtlinge auch in Westeuropa

Seit 2022 bieten viele osteuropäische Staaten allerdings rund 3,3 Millionen der über 6 Millionen ukrainischen Flüchtlinge in Europa Schutz. Diese Flüchtlinge gelten jedoch nicht als herkömmliche Asylsuchende. Sie profitieren von speziellen Richtlinien, die ihnen seit Kriegsausbruch vorübergehenden Schutz gewähren, ohne dass sie ein reguläres Asylverfahren durchlaufen müssen.

Laut aktuellen Zahlen des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR bieten neben Polen, Tschechien, Bulgarien und Rumänien aber auch Deutschland, Spanien und Italien Hunderttausenden Ukrainern Schutz.

Gemessen an der Einwohnerzahl bieten aber vor allem die baltischen Staaten, Irland, Österreich und die Schweiz vielen Ukrainern Schutz. Ungarn hingegen bleibt sowohl absolut als auch pro Kopf hinter den meisten europäischen Ländern zurück.

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