Im Ausland verzerren staatliche Agenturen mit Subventionen den Welthandel. In der Schweiz waren die Behörden bisher zurückhaltend. Nun werden Forderungen nach mehr Spielraum laut.
Das weltwirtschaftliche Klima ist rauer geworden. «My country first» lautet vielerorts die Devise. Es ist ausser Mode geraten, sich noch an gemeinsame Regeln zu halten.
Im Aufwind sind dagegen Zölle, wie sie der amerikanische Präsident Donald Trump in zahllosen Varianten propagiert. Auch andere Formen der Wettbewerbsverzerrung gewinnen an Gewicht, etwa Subventionen an einheimische Firmen.
Internationaler Subventionswettlauf
Wichtige Akteure bei diesem Subventionswettlauf sind die Exportkredit-Agenturen (ECA, export credit agencies). Fast jedes Land kennt solche Behörden. Was sie konkret tun, unterscheidet sich aber von Land zu Land. Längst geht ihr Aufgabenbereich vielerorts weit über das hinaus, was anfänglich im Fokus der Exportförderer stand, nämlich die Versicherung von politischen Risiken bei Ausfuhren in unsichere Länder.
«In den letzten Jahren haben viele ausländische ECA ihre Angebote stark ausgedehnt und sind aktivistischer geworden», sagt Peter Gisler. Er ist Direktor der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (Serv), die Schweizer Unternehmen bei Exporten unterstützt und ihnen den Zugang zu ausländischen Märkten erleichtert. Gisler stellt fest: «Von gleich langen Spiessen kann zunehmend keine Rede mehr sein.»
Gisler hätte für die Serv gerne flexiblere Rahmenbedingungen. Doch weil die in Zürich ansässige Serv eine öffentlichrechtliche Anstalt des Bundes ist, braucht er dafür die Unterstützung der Regierung. Diese muss entscheiden, ob das Gesetzeskleid für den Schweizer Exportförderer zu eng geworden ist und die Organisation mehr Bewegungsspielraum braucht. Derzeit liegt das Begehren beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Die Finanzkrise war eine Zäsur
Zielkonflikte sind programmiert: Einerseits legt das Seco viel Wert auf die Subsidiarität der Serv und will eine Verzerrung des Wettbewerbs verhindern; der Exportförderer soll daher als «Versicherer der letzten Instanz» erst dann zum Einsatz kommen, wenn es keine private Lösung gibt. Anderseits besteht die Gefahr, dass Schweizer Exporteure ins Hintertreffen gelangen, weil ausländische ECA grosszügiger agieren.
Andreas Klasen bestätigt die Gefahr. Er ist Professor für internationale Betriebswirtschaft an der Brunel University of London und spezialisiert auf Fragen der Exportförderung. Er stellt fest, dass ECA ihre Mandate seit Jahren stetig ausgeweitet hätten und zusehends auch industriepolitisch tätig seien. Begonnen habe dies in der Finanzkrise 2007/08. «Was damals als einmalige Hilfsaktion gedacht war, hat sich seither verstetigt.»
Die Schweiz hat sich dem Trend widersetzt. Sie gehöre zu den Ländern mit der zurückhaltendsten Aussenwirtschaftsförderung, sagt Klasen. Das sei ordnungspolitisch richtig, zumal in einer idealen Welt die Qualität eines Produkts über den Markterfolg entscheide und nicht die Höhe der staatlichen Unterstützung. «Aber die Schweiz wird wohl gezwungen sein, mehr zu tun. Das Produktportfolio der Serv ist extrem schmal.»
Die Schweiz wird von den anderen belächelt
An einer kürzlich durchgeführten Handelskonferenz der Universität St. Gallen, wo ECA aus aller Welt ihre Erfahrungen austauschten, trat der Hang zu einer industriepolitisch motivierten Exportförderung offen zutage. Vertreter verschiedener ausländischer Behörden machten in ihren Referaten keinerlei Hehl daraus, dass sie gezielt Sektoren, denen der Staat grosses Zukunftspotenzial zutraue, fördern würden.
Ganz anders Ivo Germann, Leiter der Direktion für Aussenwirtschaft beim Seco. Er plädierte für ein technologieneutrales Vorgehen. Man rede zu viel über Industriepolitik und zu wenig über Industrialisierung, wandte er ein. Mit dieser Position schien er aber in der Minderheit zu sein. Man hatte in Gesprächen mit Konferenzteilnehmern den Eindruck, die Schweiz werde für ihre liberale Politik nicht bewundert, sondern eher belächelt – als hätte das Land die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt.
Staaten, die ihre Industriepolitik als Exportförderung kaschieren, finden sich in allen Weltregionen. In Asien agiert vor allem China aggressiv, aber auch Japan und Südkorea zeigen wenig Zurückhaltung. In Europa definieren die skandinavischen Länder ihre «nationalen Interessen» besonders breit, wobei dies auch Italien und Frankreich tun. Und in Übersee treibt am ehesten Kanada den Subventionswettlauf an.
Interesse an Importen statt Exporten
Beispiele für den Trend gibt es viele, etwa im Bereich ungebundener Kredite. So unterstützt etwa die schwedische ECA Investitionen in ausländische Minen, auch wenn dort gar keine Produkte aus Schweden zum Einsatz kommen. Schweden verbindet diese Hilfe mit Verträgen, die dem Land einen Zugriff auf die in den Minen gewonnenen Rohwaren erlauben. Schwedens Exportförderer sichern sich also mehr Importe, nicht Exporte.
Ein anderes Beispiel: Inmitten der Energiekrise des Jahres 2022 brauchte der Rohstoffhändler Trafigura dringend ein Darlehen. Als Garant für einen fünfjährigen Kredit über 800 Millionen Dollar trat die deutsche ECA auf. Im Gegenzug zur Absicherung der Finanzierung verpflichtete sich Trafigura zur Lieferung strategischer Rohstoffe nach Deutschland. Mit Exportförderung hatte dies ebenfalls nichts zu tun.
Der Serv sind solche bankähnlichen Geschäfte, wie sie im Ausland gang und gäbe sind, untersagt. «Wir sind ein reiner Versicherer und bieten im Unterschied zu vielen anderen ECA keine direkte Kreditfinanzierung an», sagt Gisler. Nicht enthalten im Angebot der Serv sind auch die Versicherung ungebundener Kredite, andere Formen industriepolitischer Interventionen und die Versicherung von Investitionsrisiken.
Umstrittene 20-Prozent-Regel
Im Zentrum steht seit je die klassische Exportversicherung. In diesem Kerngeschäft stellte die Serv im Jahr 2023 neue Policen in der Höhe von rund 2,6 Milliarden Franken aus. Unterstützt werden dabei vor allem KMU; diese machen rund drei Viertel der Kundschaft aus. Die Serv greift dabei nicht auf Steuergelder zurück. Sie arbeitet eigenwirtschaftlich und mit eigener Bilanz – anders als dies etwa in Deutschland der Fall ist.
Spräche die Serv ebenfalls gern Kredite? Gisler winkt ab, das wolle man nicht. In der Schweiz gebe es bei der Finanzierung von Exportgeschäften kein Marktversagen, der Bankenmarkt funktioniere gut, also müsse nicht ein öffentlicher Akteur einschreiten. Man wolle sich weiterhin auf das Kerngeschäft der Versicherung konzentrieren. «Bei dieser Aufgabe wollen wir aber eine grössere Flexibilität.»
Als einengend empfunden wird etwa die Vorschrift, dass ein Export nur versicherbar ist, wenn mindestens 20 Prozent der Leistung aus Schweizer Wertschöpfung stammen. Gisler sagt: «Viele Industriefirmen haben ihre Produktion ins Ausland verlagert und bieten in der Schweiz häufig nur noch Stellen für Forschung und Entwicklung oder den Vertrieb an. Entsprechend schwierig wird es, das 20-Prozent-Kriterium einzuhalten.»
Unklar, ob das Seco für Änderung zu haben ist
Bei anhaltender Deindustrialisierung wird es vor allem für MEM-Firmen schwieriger, die Kriterien der Serv zu erfüllen. Gisler regt daher an, statt auf die Wertschöpfung auf den Fussabdruck einer Firma im Land zu schauen, etwa die Zahl Jobs oder die bezahlten Steuern und Löhne. «Dann kann man auch Firmen vermehrt unterstützen, die zwar gute Jobs in der Schweiz anbieten, deren Produktion aber zunehmend im Ausland stattfindet. Zudem müssten die Geschäfte nicht mehr einzelfallweise geprüft werden, was den Zugang zu Serv-Versicherungen vereinfacht.»
Ob das Seco für eine solche Anpassung zu haben ist, bleibt offen. Martin Saladin, der beim Seco die Direktion für Standortförderung leitet, sagt: «Im internationalen Vergleich ist die 20-Prozent-Quote eher niedrig. Ausserdem ist die Serv bei diesem Kriterium flexibel und kann Ausnahmen machen.» Saladin befürchtet, dass eine Abstützung auf den Fussabdruck zu mehr Bürokratie bei den Exporteuren oder der Serv führen könnte, falls vertiefte Abklärungen nötig würden.
Auch Saladin betont: Es sei wichtig, die Serv fit zu halten in einer Zeit, in der ausländische ECA zusehends für industriepolitische Zwecke und die gezielte Förderung bestimmter Wirtschaftssektoren eingesetzt würden. Er fügt aber an: «Für das Seco war und ist es immer wichtig, dass die Serv alle exportorientierten Sektoren gleich behandelt. Das gilt, auch wenn diese Gleichbehandlung im Ausland immer seltener gegeben ist.»
Stumpfes Regelwerk bei den multilateralen Organisationen
Eigentlich gäbe es Regeln, die für gleich lange Spiesse sorgen sollten. Gemäss der Welthandelsorganisation (WTO) sind Exportsubventionen nämlich grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme ist nur vorgesehen, falls sich die Staaten gemeinsam auf Regeln etwa für die Prämien, Zinssätze und Laufzeiten einigen. Die Idee dahinter: Nicht die Prämien sollen im Wettbewerb zueinander stehen, sondern die Exportprodukte.
Tatsächlich existiert ein solches Regelwerk, und zwar im Rahmen des Ländervereins der OECD. Der «OECD-Konsens», eine freiwillige und nicht bindende Übereinkunft der Mitgliedstaaten, ist aber voller Schlupflöcher. Manches von dem, was von den Industrieländern unter dem Deckmantel der Exportförderung betrieben wird, jedoch überhaupt nichts mehr mit Exporten zu tun hat, fällt nicht unter den Konsens.
Dazu kommt ein weiteres Problem: Schwellenländer wie China gehören nicht der OECD an und fühlen sich dementsprechend nicht gebunden an den «OECD-Konsens». Wenn diese Länder dennoch Exporte subventionieren, müsste ihnen eigentlich die WTO auf die Finger klopfen, da dies im Grundsatz ja verboten ist. Doch zu solchen Sanktionen kommt es nicht, zumal die stark angeschlagene WTO derzeit mehr schlecht als recht funktioniert.
Unterstützung nur bei Marktversagen
Die Folge: Bei der Exportförderung tun momentan viele Staaten, was ihnen gerade passt. Eine Bestrafung müssen sie nicht befürchten, selbst wenn sie den internationalen Wettbewerb mit ihren Subventionen massiv verzerren. Für die Schweiz als kleines und exportabhängiges Land verheisst das nichts Gutes. Sie kann sich immer weniger darauf verlassen, dass im Exportgeschäft halbwegs verlässliche Regeln gelten.
Als eines der wenigen Länder beschränkt die Schweiz ihre ECA auf jene Bereiche, wo sie ein Marktversagen sieht. Laut Seco sind das Geschäfte mit mittlerer und langer Laufzeit ab zwei Jahren in zumeist ärmeren Ländern. Auch bei «small tickets», also Beträgen unter 5 Millionen Franken, würden Angebote privater Versicherer fehlen, weil es sich hier oft nicht lohne, den aufwendige Compliance-Prozess anzustossen.
Den globalen Realitäten entgegenzukommen und der Serv mehr Spielraum zu geben, birgt aber Risiken. Erstens ist die Schweiz mit ihrer ordnungspolitisch klaren Linie bisher gut gefahren; weder die Serv noch das Seco wollen dies ändern. Zweitens ist ein Aufschnüren des Serv-Gesetzes mit der Gefahr verbunden, dass die Politik dem Exportförderer bei dieser Gelegenheit noch allerlei neue Aufgaben zuschanzen will.
Drohende Überfrachtung der Serv
So ist Ende vergangenen Jahres im Nationalrat eine Motion eingereicht worden, welche die Serv nicht nur zu einer nachhaltigen Klima- und Umweltpolitik verpflichten soll. Das vom Mitte-Nationalrat Lorenz Hess lancierte und von links-grünen Politikern unterstützte Ansinnen will auch neue internationale Abkommen, etwa die Erklärung der Uno-Klimakonferenz 2021 in Glasgow, ins Regelwerk der Serv übernehmen.
Dies käme einem Swiss Finish und der verbindlichen Übernahme von Regeln gleich, die im globalen Wettbewerb kaum ein Rivale einhält. Beispielsweise die Versicherung von Erdgasprojekten wäre dann kaum mehr möglich. Ob man den hiesigen Exporteuren, die von der Schweizer Regierung zu Recht nicht mit Subventionen unterstützt werden, diese Hürde auch noch in den Weg stellen soll, muss die Politik entscheiden.