Schon Tage zuvor wiesen Meteorologen auf die Gefahr von Unwettern hin. Dass sich die gewittrigen Regenfälle in den Alpen derzeit häufen, liegt an der Grosswetterlage. Sie hält sich hartnäckig.

Die Visletto-Strassenbrücke wurde vom Wasser zerstört.

Michael Buholzer / Keystone

Tobende Bäche und Flüsse, unterspülte Strassen, donnernde Murgänge, von Gestein begrabene oder eingedrückte Gebäude – die Bilder vom Wochenende aus dem Wallis und dem Tessin erwecken den Eindruck eines Déjà-vus: Hat sich all das nicht eine Woche zuvor schon einmal ereignet, nämlich im Süden Graubündens und im Wallis?

Meteorologen haben die Gefahr früh erkannt. Bereits am Donnerstag weisen sie warnend auf die Möglichkeit von Unwettern hin. Ein kleines Tiefdruckgebiet über Spanien zieht Ende der vergangenen Woche langsam Richtung Mitteleuropa. Das Tief verstärkt sich, was bedeutet, dass der Luftdruck sinkt. Auf der Vorderseite des Tiefs wird sehr warme und feuchte Luft vom Mittelmeer angesaugt.

In dieser Luftmasse, schwül wie in der Waschküche, bilden sich am Samstag auf der Alpensüdseite immer wieder kräftige Schauer und Gewitter. Sie stauen sich an den Bergen. Weil sich das Tief so langsam bewegt und die Windrichtung über längere Zeit die gleiche bleibt, lösen sich diese Gewitter nicht rasch auf, sondern regenerieren sich an Ort und Stelle über Stunden hinweg immer wieder.

Im Wallis, im Tessin und in Piemont regnet es extrem heftig

Auf diese Weise kommen aussergewöhnlich hohe Regenmengen zusammen. Laut Meteo Schweiz fallen im oberen Teil des Maggiatals zwischen 200 und 250 Liter Regen pro Quadratmeter, und das innerhalb von 24 Stunden. Das ist mehr als der gesamte Niederschlag, der im Juni durchschnittlich in Lugano fällt. Im Grenzgebiet zwischen Wallis und Piemont sind es mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter. Verstärkt werden die Sturzfluten dadurch, dass in hohen Lagen auch Schnee schmilzt – dies gilt vor allem für das Wallis.

Obendrein blitzt und donnert es in diesen Gewittern, was das Zeug hält. Die Meteorologen von Meteo Schweiz zählen innerhalb weniger Stunden mehr als 10 000 Gewitterblitze. Erst in den Morgenstunden des Sonntags ist der Spuk vorüber.

Fachleuten bereitet die Vorhersage von Unwettern wie sie die Südalpen an den vergangenen Wochenenden erlebten Schwierigkeiten. Der Südwind bringt eine Menge Saharastaub mit, und der Wüstenstaub kann die Wetterprognosen durcheinanderbringen, weil er die Wolkenbildung und die Sonneneinstrahlung beeinflusst. Der Saharastaub war der Grund, dass sich in der Deutschschweiz kaum Gewitter entwickelt haben, obwohl Meteo Schweiz welche vorhergesagt hatte. Die Unsicherheit der Prognosen ist aber auch gross, weil Gewitter zu den dynamischsten und chaotischsten Wetterphänomenen überhaupt zählen.

Die Wetterlage löst am Samstag auch heftige Gewitter in der Westschweiz und in den Nachbarländern aus. In Frankreich und im Nordwesten Italiens werden an mehreren Orten Sturm- oder Orkanböen gemessen, und es fallen Hagelkörner vom Himmel, die teilweise die Grösse von Aprikosen haben. Im Aostatal und in Piemont treten Bäche und Flüsse über die Ufer, ähnlich wie im Tessin.

Die Unwetter wiederholen sich wegen der Grosswetterlage

Die Witterung in Mitteleuropa ist seit Wochen unbeständig. Der Alpenraum wird immer wieder von heftigen gewittrigen Regenfällen heimgesucht, die Überflutungen und Murgänge verursachen. Der Grund dafür ist die bestehende Grosswetterlage, die in diesem Jahr eine spezielle Form besitzt.

Im europäischen Sommer bildet sich nicht selten eine Zone hohen Luftdrucks, die von den Azoren über West- und Mitteleuropa bis nach Skandinavien reicht und wochenlang für trockenes, heisses Wetter sorgt. Doch im Sommer 2024 sieht die Grosswetterlage anders aus: Der Luftdruck über Mitteleuropa ist deutlich niedriger als sonst. Immer wieder dringen Tiefdruckgebiete aus Nordwesten bis zum Alpenraum vor und rufen dort Unwetter hervor. Ein Wechsel zu sonnigem Hochdruckwetter ist derzeit nicht in Sicht.

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