Sonntag, April 20

Rückführungen von abgewiesenen Asylbewerbern aus Algerien haben in letzter Zeit gut funktioniert. Doch im März kam es zu einem Rückschlag, wie Recherchen zeigen. Was steckt dahinter?

Alles war bereit für die Rückschaffung. Das Asylgesuch der Algerier war in der Schweiz eingehend geprüft, aber rechtskräftig abgewiesen worden. Die Männer, ein halbes Dutzend an der Zahl, mussten das Land verlassen. Doch freiwillig wollten sie dies nicht tun, auch wenn sie eine finanzielle Rückkehrhilfe hätten in Anspruch nehmen können. Also organisierte das Staatssekretariat für Migration (SEM) einen sogenannten Sonderflug.

Dieser hätte am 13. März von Genf nach Algier stattfinden sollen. Doch dazu kam es nicht. Am Tag zuvor wurde der Flug plötzlich verschoben. Bis heute scheint er nicht nachgeholt worden zu sein.

Die Hintergründe für den Aufschub bleiben rätselhaft. Vom SEM ist dazu wenig zu erfahren. «Aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes geben wir keine Auskunft über einzelne Rückführungsaktionen», heisst es. Darum können Details wie die exakte Anzahl der abgewiesenen Asylbewerber, der verwendete Flugzeugtyp oder die Gesamtzahl der Passagiere – neben den Rückzuführenden fliegen immer auch Polizisten, medizinisches Begleitpersonal und Vertreter der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter mit – nicht eruiert werden.

Auch ist nicht klar, in welchen Strukturen sich die nun doch noch nicht an ihren Heimatstaat überwiesenen Männer derzeit befinden. Die Verantwortung für den Vollzug von Wegweisungen – und damit auch für die Unterbringung der Personen bis zum Durchführungszeitpunkt – obliegt den Kantonen.

Das Problem lag nicht in der Schweiz

Insbesondere sagt das SEM nichts über die Gründe der abrupten Planänderung. Dass ein Sonderflug verschoben werden muss, kommt immer wieder einmal vor – etwa weil rückzuführende Personen untertauchen, aus medizinischen Gründen nicht transportfähig sind, das Flugzeug ein technisches Problem hat oder neue Rechtsmittel eingebracht werden.

Recherchen zeigen aber: Dieses Mal lag das Problem nicht in der Schweiz. Nein, es waren die algerischen Behörden, die der betreffenden Flugverbindung plötzlich nicht mehr die notwendigen Genehmigungen erteilten – trotz weiterhin gültigem Rückübernahmeabkommen.

Theoretisch sind technische Ursachen für die Verschiebung denkbar. Zum Beispiel, dass in Algier nicht genügend Personal verfügbar war, um die abgewiesenen Asylbewerber regelkonform zu empfangen – zu jenem Zeitpunkt hatte eben erst der Fastenmonat Ramadan begonnen.

Reisedokumente werden organisiert

Auch wäre möglich, dass irgendwelche Dokumente fehlten – was jedoch unwahrscheinlich ist, da die Schweiz die notwendigen Papiere zuvor jeweils organisiert. Verfügen die abgewiesenen Asylbewerber über keine eigenen Reisedokumente (oder verheimlichen sie diese), beschafft das SEM bei den ausländischen Vertretungen ein Ersatz-Reisedokument, das sogenannte Laissez-passer. Dieses ist je nach Dauer der Rückreise ein paar Tage bis Wochen gültig.

Zudem hätte in so einem Fall der Ausschaffungsflug längst nachgeholt werden können. Doch das ist mutmasslich bis heute nicht geschehen. Beim Bund heisst es dazu: «Das SEM kann weder bestätigen noch dementieren, dass der Sonderflug in der Zwischenzeit stattgefunden hat oder, wenn nicht, ob schon ein Ersatzdatum fixiert wurde – und, wenn ja, wann. Wir kommunizieren solche Details aus genannten Gründen nicht.»

Algerische Botschaft schweigt

Noch verschwiegener sind die algerischen Behörden. Auf schriftliche Fragen antwortet die Botschaft in Bern nicht. Am Telefon wiederholt ein subalterner Angestellter minutenlang, dass man «keine Informationen geben» könne und man sich doch bitte ans SEM wenden möge. Der Botschafter sei nicht zu sprechen. Auch eine Anfrage direkt bei den Behörden in Algier bleibt unbeantwortet.

Dafür schiessen bei den betroffenen Stellen in der Schweiz die Spekulationen ins Kraut. Innerhalb der Verwaltung gehen Fachleute davon aus, dass der Sonderflug aus politischen Gründen verschoben wurde. Dabei steht vor allem eine Hypothese im Vordergrund: dass das algerische Regime verärgert ist über die Art und Weise, wie seine Landsleute in der Schweizer Öffentlichkeit und in den Medien jüngst dargestellt wurden.

«Algerien ist ein stolzes Land»

In der Tat gab es in den letzten Monaten fast im Tagesrhythmus Berichte über die stark gestiegene Kleinkriminalität, die von jungen Männern aus Nordafrika ausgeht – manche mit, manche ohne Asylhintergrund. Die Artikel sind freilich nicht aus der Luft gegriffen, sondern basieren auf den nackten Zahlen der kantonalen Polizeibehörden. Auch die NZZ hat das Thema verschiedentlich aufgegriffen.

Beat Stauffer, Autor und profunder Kenner Nordafrikas, kennt den Einzelfall nicht. Er hält es jedoch für plausibel, dass die algerischen Behörden eine «Retourkutsche» für unliebsame Berichterstattung fahren. «Algerien ist ein stolzes Land, das auf Kritik schnell gekränkt reagieren kann. Allein die Tatsache, dass so viele junge Leute das Land verlassen wollen, ist eine Demütigung», sagt er. Jedenfalls sei hinlänglich bekannt, dass die algerischen – wie auch die marokkanischen und die libyschen –Behörden die Migration schon verschiedentlich als Druckmittel eingesetzt haben.

In der Tat war das Verhältnis zwischen der Schweiz und Algerien in Asylfragen vor allem in der Vergangenheit harzig. Obwohl das Rückübernahmeabkommen bereits 2007 in Kraft getreten ist – und obwohl ein Staat völkerrechtlich eigentlich ohnehin verpflichtet ist, seine Landsleute jederzeit aufzunehmen –, weigerten sich die algerischen Behörden während Jahren, nichtfreiwillige Rückkehrer zu akzeptieren. Nur wer von sich aus in ein Flugzeug stieg, war willkommen.

Die meisten gehen per Linienflug

In letzter Zeit aber besserte sich die Situation merklich. Wie die Tamedia-Zeitungen kürzlich berichteten, konnten 2023 zum ersten Mal überhaupt Sonderflüge nach Algerien durchgeführt werden. «Mit Algerien funktioniert die Zusammenarbeit gut», sagte der Justizminister Beat Jans letzte Woche gegenüber der NZZ. Manch ein Land – Deutschland etwa – würde sich glücklich schätzen, eine vergleichbare Ausgangslage zu haben.

So wurde gemäss Angaben des SEM letztes Jahr die Rückkehr von 474 algerischen Staatsangehörigen – 350 Freiwillige und 124 Nichtfreiwillige – organisiert. Algerien ist gar jenes Land, in das am meisten abgewiesene Asylbewerber zurückgekehrt sind, vor der Türkei und Georgien. Längst nicht für alle Personen, welche die Schweiz unfreiwillig verlassen, ist ein eigens gecharterter Sonderflug notwendig. Die grosse Mehrheit reist, begleitet oder nicht, mit einem regulären Linienflug aus.

Ist der verschobene Sonderflug von Mitte März Ausdruck davon, dass dieses Tauwetter zwischen der Schweiz und dem Maghreb-Staat nun schon wieder beendet ist? Noch ist es zu früh, um darauf eine Antwort zu haben. Klar ist jedoch: Die Lage ist angespannt – und neue Rückführungsprobleme mit Algerien kann sich die Schweiz kaum leisten.

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