Der Skeptiker hinterfragt, was die Masse für richtig hält. Die Figur hat eine lange Tradition, in der Gegenwart ist er in Verruf geraten.

Um es gleich zu sagen: Das Wort Querdenker kommt in Ralf Konersmanns Buch über den «Aussenseiter» nur ein einziges Mal vor. Hier will der deutsche Philosoph nicht in Debatten geraten, die zu schrill sind, um seinem Herzensprojekt nützlich zu sein. Die, die ausserhalb der Mehrheitsdiskurse denken oder ihre Lebensführung nicht von der Zustimmung der Allgemeinheit abhängig machen, erfahren in Konersmanns langem Essay eine fast schon unüblich gewordene Wertschätzung. Kunststück, möchte man sagen, weil der Autor die gegenwärtige Politik ganz beiseitelässt. Aber ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Alles, was auf den hundertsechzig Seiten des Buches steht, scheint sehr subtil auf die derzeitige Lage verweisen zu wollen.

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Von der Antike bis zur Aufklärung reiht Konersmann Beispiele von Nichtangepassten aneinander. Ihre Ideen, die aus dem Schema der Zeit fallen, widersetzen sich der «Masterposition des Wir», wie es im Buch heisst. «Diejenigen, die sie beanspruchen, haben unterschiedliche Gesichter. Gemeinsam ist ihnen jedoch, ein Allumfassendes zu unterstellen, sowie der Anspruch, dieses Allumfassende zu vertreten, ja mehr noch: es zu sein.»

Der Mainstream schliesst laut Konersmann die Andersdenker aus. Und der Begriff Denker ist bei ihm durchaus emphatisch gebraucht. Als Sokrates auf seiner Philosophie des Zweifels beharrte, hat man ihm den Prozess gemacht und ihn wegen Gottlosigkeit und Verführung der Jugend zum Tode verurteilt. Sokrates stand mit seinen Überzeugungen ausserhalb des damaligen Common Sense, aber sein Umgang mit den Sanktionen machte ihn als Aussenseitertypus noch signifikanter. Den Tod nahm er mit Heiterkeit an. Seine Freiheit des Denkens lag darin, lieber das Leben hinzugeben, als die eigenen Ideen zu verraten.

Aussenseiter fallen aus dem Rahmen

Die Geschichte der Aussenseiter, wie sie Ralf Konersmann erzählt, ist eine Parade einflussreicher Tabubrecher. Diogenes wollte mit seiner Philosophie des Kynismus jeden Dogmatismus über Bord werfen und hat mit seiner welt- und ergebnisoffenen Art des Nachdenkens die Zeitgenossen gegen sich aufgebracht. Er wollte die Macht der Gewohnheit aushebeln, genauso wie es später Nikolaus von Kues und Montaigne getan haben. Beide betreiben das Nachdenken als einen Akt, der sich gegen die akademisch verbildeten Diskurse und Dogmen richtet. Der eine als Theologe, der andere als Skeptiker, der mit seinen Essays den Erfahrungsmöglichkeiten der Sprache selbst auf den Grund geht. Dass auch der Laie Kenntnis der Welt hat und nicht nur die sich als autoritär gerierende Wissenschaft, ist die Botschaft beider.

Wenn es heute einen globalen Zug zur Wissenschaftsskepsis gibt und die Menschen sich ermächtigt fühlen, selbst grundlegendste Fakten des Weltgefüges infrage zu stellen, dann hat Ralf Konersmann in seinem Buch mit Absicht etwas Entscheidendes ausgeblendet: Der Skeptiker ist nur so lange Aussenseiter, wie er nicht als Vertreter meinungsgleicher Gruppen auftritt. Und nicht jede öffentlich zur Schau getragene Skepsis ist schon ein Ausweis vernünftiger Gedanken.

Das heutige deutsche Wort Aussenseiter kommt vom englischen «outsider» und bezieht sich auf den Sport. Ein Outsider ist derjenige, der nicht ganz ins Schema der Regeln passt. Wie es im Sport nun einmal so ist, wird diese mangelnde Fitness durch Niederlagen bestraft. Die Gesellschaft als ganze funktioniert ähnlich. Sie weist dem, der nicht zu ihr passt, einen eigenen Ort zu, sie schliesst ihn aus.

Verschärft haben sich diese Massnahmen mit der anbrechenden Moderne. Vor der Säkularisierung und als der Himmel noch voller Götter war, waren auch die Hierarchien klar. Der gegenüber den höheren Mächten nichtswürdige Mensch hätte sich nur durch Häresie ins Aus schiessen können. Feudale Gesellschaftssysteme sorgten zusätzlich dafür, dass die Rolle des Einzelnen schnittfest reguliert war.

Das aufrührerische Ich

In der Moderne musste sich das Ich gegenüber einem neuen Heilsbringer verpflichten: dem kollektiven Wir, das dafür sorgt, dass es den Menschen einmal besser gehen wird. Über dieses kollektive Wir hat Ralf Konersmann nicht das Beste zu sagen: «Dieses Wir ist gross, urteilsfreudig und besitzergreifend. Als informelles Bündnis Ähnlich- und Gleichgesinnter ist es erklärtermassen politisch und nimmt für sich in Anspruch, die Frage der Zugehörigkeit in seinem Sinn zu entscheiden.»

Die Insider, wenn man sie als Gegensatz zu den Aussenseitern so nennen will, haben bei Konersmann etwas Monströses. Es sind die gleichmacherischen Massen, gegen die sich die von ihm geliebten philosophischen Köpfe behaupten müssen. Jene im wahrsten Sinne des Wortes Aussergewöhnlichen, die mit ihrem ungeschützten Ich gegen die Macht des Wir aufbegehren.

Als die Moderne ein neues Wir installierte, hat ein französischer Philosoph den Austritt aus dieser Gemeinschaft feierlich vollzogen: Jean-Jacques Rousseau. In seinen «Confessions» hat sich das Ich als Erkenntnisform radikalisiert. Ralf Konersmann setzt ihm in seinem «Aussenseiter»-Buch ein Denkmal. Der Satz «Wenn ich nicht besser bin, so bin ich wenigstens anders» stammt von Rousseau. Was in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch ein revolutionäres Statement war, ist heute längst massentauglich.

Ralf Konersmann: Aussenseiter. Ein Essay. S.-Fischer-Verlage, Frankfurt am Main 2025. 160 S., Fr. 39.90.

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