Mittwoch, Oktober 30

Er gilt als das Resultat von Pannen oder Nachlässigkeiten: Madrooba, ein würziger Reisbrei mit Huhn, ist ein typisches Gericht der Küche von Dubai, wird in Varianten aber auch in Bahrain, Qatar und Oman gekocht.

Sie lässt alles stehen und liegen, rennt aus dem Haus, dem Esel hinterher, der sich losgerissen hat, vergnügt in die Wüste hinaustrottet. Als sie das einzige Reittier der Familie endlich eingefangen hat und in ihre Küche zurückkehrt, steigt ein fieser Rauch aus dem Topf mit dem Mittagessen auf. Ehe der Hühnerreis anbrennt, kann sie gerade noch Wasser angiessen, die Sache aus der Gefahrenzone rühren. Der Reis aber ist jetzt ein weicher Brei, die Geflügelstücke fallen auseinander. Was werden der Mann und die Kinder sagen? Die Jüngste, die sowieso nichts isst? Die Köchin zupft das Fleisch gänzlich vom Knochen, gibt frische Kräuter und etwas Kurkuma dazu, rettet, was noch zu retten ist. Als ihre Lieben das Ergebnis der Panne kosten, sind sie begeistert, die Kleinste verlangt in den nächsten Tagen gar wieder und wieder nach dem kulinarischen Unglücksfall.

So stellt sich Ali M. Alrais die Genese von Madrooba vor, einem typischen Gericht der Küche von Dubai, das in Varianten auch in Bahrain, Qatar und Oman gekocht wird: «Madrooba ist im Grunde ein ausser Kontrolle geratenes Machboos oder ein Biryani, das zu lange und mit zu viel Flüssigkeit auf dem Herd gestanden hat. Es kann nur in einer Küche erfunden worden sein, die bloss über wenige Zutaten verfügte und auf eine einzige Feuerstelle, einen einzigen Kessel angewiesen war.»

Missgeschicke führen zu kulinarischen Höhenflügen

Zahllose Spezialitäten dieser Welt gelten als das Resultat von Pannen oder Nachlässigkeiten. Gleichwohl ist die Entstehungsgeschichte bei diesem Rezept in besonderem Masse bedeutend, denn nur in Verbindung mit einer solchen Story führt der Brei in eine Zeit zurück, als in Dubai noch nicht überall Wolkenkratzer standen und die Füsse noch einen anderen Untergrund gewohnt waren als den Marmorboden einer Mega-Mall.

Und diese Vergangenheit ist das, was Ali M. Alrais in seinen Restaurants verkauft. Als er 1997 das erste Arabian Tea House gründete, glaubte seine Umgebung nicht an den Erfolg: «Wer geht schon in ein Lokal, um Emirati-Küche zu essen, haben sich alle gefragt. Ich aber wusste, dass die Touristen kommen würden.» Also renovierte Ali ein stattliches Haus im Bastakia-Viertel von Dubai, am Südufer des Creek. Das alte, einst vor allem von iranischstämmigen Händlern bewohnte Quartier mit seinen schönen Palästen und Windtürmen war damals schwer heruntergekommen. Gegen Ende der neunziger Jahre allerdings besann sich auch die Stadtregierung auf ihr Erbe und machte sich daran, alles instand zu stellen. Heute wirkt die ganze Gegend perfekt stabilisiert, aufgeräumt und durchorganisiert, fast fühlt man sich wie in einer Mall mit historisierendem Dekor.

Ich treffe Ali und seine Frau Raina am Morgen früh in dem hellen Lokal mit den blauen Bänken, den weissen Marmorkieseln am Boden und den altmodischen Fotos an den Wänden. Mit einem stolzen Lächeln weist Ali mich auf all die Familien hin, die um uns herumsitzen und sich Tabletts mit Fladenbrot, Käse, Eierspeisen, Bohnen, Fisch und Salaten teilen: «Heute kommen auch viele Einheimische her, um hier zu frühstücken. Sie essen mit den Händen. Das zeigt, dass sie sich wohlfühlen. Und das freut mich ganz besonders.» Ich glaube dem grauhaarigen Herrn in der strahlend weissen Kandura, dass es ihm nicht nur ums Geschäft geht. Ali blickt auf eine erfolgreiche Karriere bei Gulf und Qatar Air zurück, das Arabian Tea House versteht er als seine Art, «etwas zurückzugeben. Es geht mir darum, unsere Kultur zu zeigen – und nichts ist so nahe bei den Menschen wie die kulinarische Kultur.»

Trotz allem Idealismus war sein Teehaus bald so erfolgreich, dass es heute in Dubai eine ganze Reihe von Lokalen gibt, die nach einem ähnlichen Modell funktionieren, teilweise mit fast identischen Menus. «Man könnte sich darüber aufregen», sagt Alis Frau Raina, die in Lausanne an der Hotelfachschule studiert hat, «aber eigentlich ist es doch gut, dass sich immer mehr Leute für die kulinarische Tradition unseres Landes einsetzen.»

Die Rezeptur beruht auf einer mündlichen Überlieferung

Das Arabian Tea House kocht nach Rezepten von Alis Mutter Marjam. «Als wir hier anfingen, gab es keinerlei Vorbild, an das wir uns halten konnten, auch keine Rezeptbücher», erinnert sich Ali: «Also habe ich meiner Mutter in der Küche zugeschaut und alles aufgeschrieben. Damit bin ich dann zu meinen Köchen gegangen, die haben das nachgemacht – und das Resultat habe ich wiederum Yuma («Mutter») zu kosten gegeben, sie hat korrigiert . . . So haben wir allmählich ein Menu zusammengestellt, das wir jetzt in all unseren Filialen anbieten.»

Auch für Alis Frau, die sich um die Standardisierung der Rezepte kümmert und sie als Managerin in die Bestellabläufe des Restaurants übersetzt, ist Schwiegermama die Referenz. In der Küche des Arabian Tea House zeigt mir Raina gemeinsam mit einem ihrer Chefs, wie sie Madrooba zubereitet. Man kann dieses Gericht auch mit Fisch oder Lamm kochen, die gängigste Version aber verwendet Huhn («deyay»). Gelegentlich kommen Tomaten in den Topf, und einzelne Rezepte, vor allem aus den USA, packen sehr viele verschiedene Gewürze hinein. Raina aber beschränkt sich auf Kardamom, Pfeffer und Kurkuma, ausserdem Koriander und Dill. Das überrascht mich, denn ich dachte immer, die Küchen Arabiens seien alle überreich an Gewürzen. Schliesslich trieben die Seefahrer vom Golf ja schon in der Antike Handel mit Pfeffer, Nelken und Zimt, ihnen stand also immer alles zur Verfügung.

«Die Küche dieser Gegend ist traditionell eher einfach und kommt oft mit wenigen Zutaten aus, die sehr bewusst eingesetzt werden», erklärt mir Raina. Gewürzorgien wie in Indien, Persien oder auch im benachbarten Kuwait sind den Emirati demnach fremd. Es gibt auch Köche, die Weizen oder Hülsenfrüchte an der Stelle von Reis verarbeiten.

Gutes Rühren ist ausschlaggebend für den Geschmack

«Ich würde dann nicht mehr von Madrooba sprechen», meint Raina, räumt aber ein, dass es «kein ‹richtiges› Madrooba-Rezept gibt», dass jede Familie «auf etwas andere Gepflogenheiten schwört». Der Name des Rezepts kommt von dem arabischen Wort für «schlagen» – gemeint ist das, was man mit dem Kochlöffel tut, wenn man den Reisbrei wieder und wieder umrührt. Manche mögen ihr Madrooba noch etwas körnig, andere eher breiig, einige nehmen sogar den Mixer und verwandeln so alles in eine homogene Crème. «Wenn das Madrooba gelingt, dann hat es ein Aroma, das mich zurückführt in den Winter von einst, in die gemütliche Atmosphäre der alten Häuser, die viele von uns noch aus ihrer Kindheit kennen.»

In einer Stadt wie Dubai, wo es kaum möglich ist, zu Fuss unterwegs zu sein, ist ein Gericht wie Madrooba vielleicht tatsächlich die einzig mögliche Verbindung zurück in eine andere, in Jahren gerechnet eigentlich gar nicht so ferne Zeit, als noch nicht alles auf Rädern unterwegs war. Die Emirati machen allerdings nicht gerade den Eindruck, als würden sie diesen Tagen mehr als ein paar nostalgische Tränen nachweinen. Man kann sie verstehen, denn immerhin ist es doch eher unwahrscheinlich, dass sich das Reittier einer modernen Familie von allein aus der Garage losreisst und in der Wüste verschwindet.

Zutaten (Hauptspeise für 4 Personen)

  • 500 g Huhn in Stücken (zum Beispiel zwei Keulen)
  • 2 Zwiebeln, fein gehackt
  • 3 Kardamomkapseln
  • 1 getrocknete Limette, mit einer Gabel eingestochen
  • 700 ml Wasser für das Huhn
  • 10 g Koriandergrün, gehackt
  • 10 g Dill, gehackt
  • 2 TL Salz
  • 1 TL schwarzer Pfeffer, gemahlen
  • 1 TL Kurkuma
  • 350 g gedünsteter Basmati
  • Ghee

Zubereitung

  • Huhn, Zwiebel, Kardamom und getrocknete Limette in einer Pfanne mit Wasser bedecken (etwa 700 ml), zum Kochen bringen, 30 Minuten sanft garen, bis das Fleisch sich von den Knochen löst.
  • Huhn aus der Brühe heben, Haut abziehen, Fleisch von den Knochen lösen, kräftig auseinanderzupfen. Zerfasertes Fleisch zurück in die Brühe geben.
  • Koriander, Dill, Salz, Pfeffer und Kurkuma einrühren, 10 Minuten auf kleiner Flamme köcheln lassen.
  • Reis in Portionen in die Hühnersauce rühren. Sauce dabei auf kleiner Flamme halten. Mit einem Löffel weiterrühren, bis der Reis die gewünschte Konsistenz erreicht hat. Bei Bedarf immer wieder etwas Wasser zugeben.
  • Auf Teller verteilen, grosszügig mit Ghee beträufeln.


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