Die neue deutsche Arbeits- und Sozialministerin will künftig auch Beamte, Abgeordnete und Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen lassen. Damit trägt sie Streit statt Reformmut in die Koalition.
Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick am Abend», heute von René Höltschi, Wirtschaftskorrespondent Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Das fängt ja gut an: Schon am ersten Wochenende nach Amtsantritt der neuen deutschen Regierung bricht die Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas mit einem verfehlten Rentenvorstoss einen handfesten Koalitionskonflikt vom Zaun. In die gesetzliche Rentenversicherung sollten auch Beamte, Abgeordnete und Selbständige einzahlen, sagte die Sozialdemokratin der Funke-Mediengruppe. Zur Begründung führte sie aus, dass mehr Leute an der Finanzierung beteiligt werden sollten.
Hauptproblem ist die Demografie
Die Absage des konservativen Koalitionspartners folgte auf dem Fusse. Der Vorschlag sei «nicht common sense», es gebe dazu keine Belegstelle im Koalitionsvertrag und er sei kein tragbares Finanzierungsmodell, betonte der Kanzleramtschef Thorsten Frei von der CDU am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Caren Miosga». Auf beiden Seiten brachten sich Sekundanten in Stellung. So unterstützte unter anderem die Linkspartei den Vorstoss von Bas, während zum Beispiel der Beamtenbund dagegenhielt.
Deutsche Beamte zahlen keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung, und sie erhalten auch keine Rente daraus. Stattdessen beziehen sie im Alter ein stattliches Ruhegehalt (Pension), das aus Steuergeldern finanziert wird. Das Nebeneinander mehrerer Systeme der Altersversorgung hat Schattenseiten, auch weil die Ungleichbehandlung Anlass zu Neiddebatten bietet.
Es ist aber nicht das Hauptproblem im Rentenwesen. Das eigentliche Problem ist die demografische Entwicklung.
Die Rentenversicherung funktioniert nach dem Umlageverfahren, bei dem die laufenden Renten aus den laufenden Beiträgen der Erwerbstätigen und ihrer Arbeitgeber finanziert werden. Dieses System gerät zunehmend in Schieflage, weil statistisch gesehen nur noch rund zwei Erwerbstätige für einen Rentner aufkommen müssen, während es Anfang der 1960er Jahre noch deren sechs waren. Schon heute benötigt die Rentenversicherung deshalb jährliche Zuschüsse von derzeit etwa 120 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt, um über die Runden zu kommen.
Beamte sind nicht die Lösung
An diesem Ungleichgewicht würde die Einbeziehung der Beamten und weiterer Gruppen in die Rentenversicherung nichts Grundsätzliches ändern, das Problem würde bestenfalls etwas in die Zukunft verschoben. Denn wer einzahlt, erhält auch Ansprüche auf künftige Renten, und wer nicht einzahlt, erhält auch keine Rente. Und da Beamte eine etwas höhere Lebenserwartung haben als der Durchschnitt der gesetzlich Versicherten, wären sie sogar relativ «teure» Rentner.
Hinzu kommen komplexe Übergangsprobleme, da derzeitige Pensionäre und aktive Beamte einen Bestandesschutz geniessen. So müsste der Staat für einen langen Übergangszeitraum sowohl laufende Pensionen von Beamten als auch Arbeitgeberbeiträge für die Rentenversicherung finanzieren.
Was es wirklich braucht
Bas’ Vorschlag mag auf den ersten Blick bei vielen Bürgern einen Nerv treffen. Auf den zweiten Blick aber lenkt er nur ab von der bitteren Wahrheit: Deutschland braucht eine umfassende Rentenreform, will es die Renten langfristig sichern, ohne zugleich die aktive Generation mit immer höheren Versicherungsbeiträgen und Steuern zu überfordern.
Die Stichworte sind altbekannt: Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung, Anpassung der Renten an die Inflation statt an die Lohnentwicklung, Abschaffung aller Anreize für einen vorzeitigen Renteneintritt, Ergänzung des Umlageverfahrens durch kapitalgedeckte Vorsorgemodelle.
Ob im Zuge einer solchen Reform auch ein schrittweiser Einbezug der Beamten sinnvoll und machbar wäre, wäre allenfalls am Ende zu prüfen. Als erster oder gar einziger Schritt einer Reform eignet er sich sicher nicht.
Vor echten Reformen aber schrecken SPD und Union aus Rücksicht auf ältere Wähler bis jetzt zurück. Stattdessen wollen sie laut Koalitionsvertrag das Rentenniveau bis 2031 unverändert lassen und die daraus resultierenden Mehrkosten aus Steuermitteln finanzieren. Weiteres soll bis Mitte der Legislatur eine Rentenkommission prüfen. Mit anderen Worten: Der Rentenzug rast mit steigendem Tempo auf eine Felswand zu, doch im schwarz-roten Führerstand wird beschwichtigt und gestritten statt gebremst.
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