Donnerstag, Dezember 26

Es ist höchste Zeit, dass der Bund in der Tempofrage ordnend eingreift.

Die halbdirekte Demokratie der Schweiz lässt die Stimmberechtigten glauben, über alles bestimmen zu können. Doch manchmal entpuppt sich das als Illusion. Vor rund zwanzig Jahren wollte der Verkehrsclub der Schweiz Tempo 30 generell einführen, auch auf Hauptstrassen. Die als «Schneckentempo-Initiative» verspottete Vorlage kam auf eine Zustimmung von nur gerade 20,3 Prozent. Kein Kanton stimmte zu.

Noch heute hätte der Vorschlag vor dem Volk wenig Chancen. Dies hat eine Umfrage der ETH jüngst wieder bestätigt. Und doch wächst die Zahl der Tempo-30-Schilder in der Schweiz scheinbar unaufhaltsam.

Tempo 30 hat viele Vorteile für den Lärmschutz und die Sicherheit. In Wohnquartieren ist das niedrige Tempo angezeigt. Aber nicht auf Hauptstrassen. Wenn immer mehr Städte und Dörfer damit beginnen, das Tempo dort zu drosseln, wird die Mobilität empfindlich eingeschränkt. Auf kurzen Strecken fällt die Zeiteinbusse nicht ins Gewicht, aber bei einer Beschränkung im gesamten Siedlungsgebiet sehr wohl.

Wenn die Strassenhierarchie ins Wanken gerät, birgt dies Gefahren. Zum Beispiel, dass Automobilisten die Hauptverkehrsachsen meiden, wenn überall das gleiche Tempolimit gilt. Der Verkehr sucht sich dann einfach den schnellsten Weg. In diesem Fall würde sich der Lärm ausgerechnet auf die Wohnquartiere verteilen.

Vor der eigenen Haustüre finden viele das Niedrigtempo gut, Hauptstrasse hin oder her. Nach dem Motto: «not in my backyard». Mit der lokalen Brille geht aber die Sicht auf das übergeordnete Ganze verloren.

Das eigentliche Problem liegt ohnehin anderswo. Der grösste Treiber von Tempo 30 sind, von rot-grün regierten Städten einmal abgesehen, nicht die Entscheidungen der lokalen Politik. Sondern die Mühlen der Justiz. Die Gerichte haben begonnen, die Lärmschutzverordnung strenger auszulegen. Dies setzt Gemeindeexekutiven unter Druck, Tempo 30 einzuführen. Zum Beispiel weil sich Bauherren beklagen, dass sie an lauten Lagen nicht mehr bauen dürfen.

Die Stimmberechtigten haben einst in den achtziger Jahren zu einem Umweltschutzgesetz Ja gesagt. Doch niemand dürfte vorausgesehen haben, dass daraus die vorliegende Lärmschutzverordnung hervorgehen würde – und dass diese von den Gerichten dereinst derart scharf angewandt werden würde, dass daraus fast schon zwangsläufig Tempo 30 in Zentrumslagen hervorgeht.

Die demokratische Legitimation von Tempo 30 ist dünn, die politische Diskussion und das Abwägen zwischen Wohnen und Mobilität überfällig.

Und die Stossrichtung des aktuellen FDP-Vorstosses im Nationalrat ist richtig: Grundsätzlich soll Tempo 50 innerorts gelten, wie das eigentlich heute schon vorgesehen ist. Abweichungen sollen möglich sein, aber nach klaren gesetzlichen Vorgaben.

Teil dieser Diskussion muss sein, dass Tempo 30 keineswegs das viel gepriesene Allheilmittel an lauten Lagen ist. Der Effekt einer Temporeduktion ist deutlich geringer als vielfach behauptet. Bauliche Massnahmen wie Mehrfachverglasung sind sehr viel effektiver. Hilfreich wäre es auch, wenn man aufhören würde, bei offenem Fenster zu messen, weil dies sämtliche baulichen Fortschritte bei der Lärmbekämpfung negiert. Die sich nun abzeichnenden Verbesserungen beim Bauen im Lärm sind ein erster guter Schritt.

Natürlich kann Lärm störend sein. Aber das Problem wird gerne überhöht dargestellt. Von einer Million «Lärmbetroffenen» schweizweit spricht das Bundesamt für Umwelt. In der ETH-Umfrage wurden die Teilnehmenden gefragt, ob sie sich nachts stark vom Strassenverkehr gestört fühlen. Mehr als 97 Prozent beantworteten die Frage mit Nein.

Es ist angezeigt, die Leute vor Lärm zu schützen, aber mit Augenmass. Der Lärmfrage alles unterzuordnen, ist falsch.

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