Sonntag, Dezember 29

Experten sehen die kommerzielle Fertigung im erdnahen Orbit nur noch ein paar Jahre entfernt. Auch eine Firma in Zürich gehört zu den Pionieren der Weltallproduktion.

Der Raum über unseren Köpfen füllt sich rasch: Bereits 47 500 menschengemachte Objekte kreisen gemäss der Website Space-Track.org um die Erde. In aller Regel handelt es sich um Satelliten und leider vermehrt um Weltraumschrott.

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Doch bald dürften im Weltall auch erste Fabrikationsstätten entstehen. «Ich rechne damit, dass bereits in zirka drei bis fünf Jahren eine kommerzielle Produktion im erdnahen Orbit entsteht», sagt Raphael Roettgen. Er ist Gründer der auf Raumfahrt spezialisierten Wagniskapitalfirma E2MC und Dozent an der ETH Lausanne.

Erfolgreiche Experimente gibt es bereits seit längerem, und laut Experten steht auch einer Massenproduktion bald nichts mehr im Wege. «Für eine Skalierung benötigen wir noch geeignete Raumstationen oder Raumkapseln – deren Entwicklung aber weit fortgeschritten ist», sagt Roettgen.

Raumkapsel und Raumstationen

Das europäische Unternehmen The Exploration Company etwa werde im kommenden Jahr mit Kunden zusammen einen Test mit seiner neuen Raumkapsel durchführen, die für Produktionsprozesse geeignet sei, so Roettgen. In den Startlöchern stehe zum Beispiel auch die Firma Vast, die bereits 2026 eine erste private Raumstation im Einsatz haben wolle.

Während Raumkapseln nur eine befristete Zeit im Orbit sind und nach erfüllter Mission dank eigenen Antriebssystemen wieder auf die Erde zurückkehren, dürften auf privaten Raumstationen permanente Fabriken entstehen.

Zu den ersten Produkten «made in space» gehören wohl Medikamente und andere pharmazeutische Produkte. Einer der führenden Anbieter in diesem Bereich ist das amerikanische Unternehmen Varda Space Industries, das auch über eigene Raumkapseln verfügt.

«Varda hat seine Technologie zur Herstellung von Arzneimitteln bereits erfolgreich im Orbit demonstriert, und ich gehe davon aus, dass das Unternehmen schnell handeln wird, um diese zu skalieren», sagt Matthew Weinzierl. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Harvard Business School wird demnächst ein Buch über die Weltraumwirtschaft publizieren («Space to Grow»). Varda hat seine letzte Finanzierungsrunde mit dem expliziten Ziel begründet, «Fabriken im Weltraum» zu bauen.

Organoide aus dem Weltall

Aber auch in der Schweiz gibt es mit Prometheus, einem Spin-off der Universität Zürich, einen Weltraumpionier. Die Biotechnologiefirma liess bereits 500 Organoide im All wachsen. Organoide sind kleine, organähnliche Gewebestücke, die aus Stammzellen gezüchtet werden.

Sie spielen zum Beispiel bei der Krebsforschung eine Rolle und könnten eines Tages sogar kranke Organe ersetzen. Wird dieses menschliche Gewebe auf der Erde erzeugt, muss es aufgrund seiner dreidimensionalen Struktur mit speziellen Stützen versehen werden. Bei einer Produktion in der Schwerelosigkeit dagegen braucht es solche Fremdkörper nicht.

Roettgen, der Prometheus mitgegründet hat, sieht nicht länger die Infrastruktur im erdnahen Orbit oder die Transportkapazität als grösstes Hindernis für Herstellungsprozesse im Weltall. Sondern, «dass Unternehmen, für die eine Produktion in der Schwerelosigkeit eigentlich grosse Vorteile brächte, zum Beispiel in der Pharma- oder der Halbleiterindustrie, noch skeptisch beziehungsweise schlicht nicht ausreichend informiert sind».

«Es ist verständlich, dass dies den Unternehmen vorkommt wie Science-Fiction: Vor fünfzig, sechzig Jahren hätte auch kein Manager geglaubt, dass es eines Tages vorteilhafter sein würde, elektronische Güter in Ostasien herzustellen. Dafür brauchte es erst die grossen Containerschiffe», sagt Roettgen.

Die Analogie liegt auf der Hand: Statt Containerschiffe benötigen Fabriken im Weltall leistungsfähige Raketen und Raumschiffe. Ein Problem, dessen sich Elon Musk und sein Erzrivale Jeff Bezos aber noch so gerne annehmen.

Stark fallende Transportkosten

«Der Game-Changer sind die rapide fallenden Kosten für Transporte ins All. Mit Starship stehen wir vor einem neuen grossen Sprung. Dieses Raketensystem hat nicht nur eine Transportkapazität von hundert Tonnen, sondern wird auch komplett wiederverwertbar sein, was entscheidende Kostenvorteile bringt», sagt Roettgen.

Trotzdem wird es sich bei den ersten Weltallprodukten wohl um Güter handeln, die auf sehr kleinem Raum gefertigt werden können. «Nicht immer geht es um grosse Volumen: Prometheus hätte im Moment noch Mühe, nur schon eine kleine Raumkapsel zu füllen», sagt der Risikokapitalgeber.

Auch bei Halbleitern sei es vorderhand nicht sinnvoll, den gesamten Produktionsprozess im Orbit durchzuführen. «Aber man kann dort zum Beispiel Siliziumkristalle züchten», so Roettgen. Diese sind das Herzstück von Mikrochips und integrierten Schaltkreisen, die in Computern, Smartphones und vielen anderen elektronischen Geräten verwendet werden. Die Schwerkraft kann die Kristallisation stören.

Natürlich denken amerikanische Unternehmer wie Musk bereits ein paar Jahrzehnte voraus und träumen vom Rohstoffabbau auf fremden Planeten und von einer Kolonisierung anderer Himmelskörper. Das würde aufgrund der immensen Distanzen lokale Fabriken erforderlich machen. «Die Produktion auf dem Mond und dem Mars kann für den Erfolg von Siedlungen dort entscheidend sein», sagt Matthew Weinzierl.

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