Samstag, Oktober 19

Wie sich Clans in der Schweiz festsetzen.

Orientalische Musik ertönt. Ein Mann in Jeans, Sakko und mit Mikrofon bringt sich auf der Bühne in Position. Um ihn herum tanzen junge Frauen. Sie machen Bewegungen wie beim Bauchtanz, ihre knappen Pailletten-Kleidchen glitzern im Licht des Klubs.

Dann beginnt der Sänger auf der Bühne mit seiner Performance. Wie auf Kommando verlassen die Tänzerinnen die Bühne.

Es ist eine Szene, aufgenommen in einem Klub in der Zürcher Agglomeration. Lokale, wie es sie Dutzende gibt im Zürcher Umland und im Mittelland.

Das Konzept: Balkan-Partys, Konzerte und leicht bekleidete Frauen.

Ermittler glauben: Einige dieser Klubs sind weit mehr als Partylokale für junge Männer aus Serbien, Nordmazedonien, Kroatien oder dem Kosovo. In den Augen der Strafverfolger sind sie Fassade für Geschäfte der organisierten Kriminalität. Wie Nagelstudios, Barber-Shops oder Shisha-Bars.

Allen gemeinsam ist: Es sind Milieus, in welche die Ermittler nur mit Mühe eindringen können. Milieus, gut vernetzt und hierarchisch gegen innen, verschwiegen und verschlossen gegen aussen.

Wie komplex sich die Untersuchungen in diesen Bereichen gestalten, zeigt der Fall von zwei Brüdern aus Nordmazedonien aus der Zürcher Agglomeration.

Die Brüder

Es ist Sommer 2024, und Azem und Berat (Namen geändert) nehmen im Saal des Bezirksgerichts Dietikon Platz. Der 44-jährige Azem und sein drei Jahre jüngerer Bruder haben in den letzten Jahren mehrere Nachtklubs in der Zürcher Agglomeration betrieben.

Azem, gross, grobschlächtig, breiter Nacken, kurzgeschorenes Haar, ist der Boss. Berat, ebenso grobschlächtig, ebenso breiter Nacken, ebenso kurzes Haar, sein Stellvertreter und wichtigster Helfer.

Der Chef und sein Saubermann.

Berat prahlt gerne damit, wie viel er besitzt. Auf Videos in den sozialen Netzwerken zeigt er sich einmal mit einem weissen Mercedes. Auf einem andern Video sieht man das Innere einer Limousine, ausgeleuchtet wie ein Ufo. Deutsch-Rap wummert aus den Boxen, der Bolide rauscht bei Nacht über die Autobahn.

Ein andermal ist ein grosses, neu gebautes Haus mit reichlich Umschwung zu sehen. Weiss getüncht, viel Chromstahl, Säulen und Rundbögen – so stellt man sich die Ferienvilla eines Neureichen vor. Auf dem Parkplatz steht ein weisser Luxus-SUV mit Zürcher Kennzeichen.

Azem dagegen bleibt im Hintergrund. Aber er ist es, der die Entscheidungen trifft und Anweisungen gibt. Davon ist auch die Zürcher Staatsanwaltschaft überzeugt. Sie hält in der Anklageschrift, die Azem akzeptiert hat, fest, der 44-jährige Nordmazedonier habe eine bestimmende Funktion innegehabt.

Im Klub lässt er sich nur selten blicken. Für die Arbeit vor Ort sind sein Bruder und weitere Mitarbeiter zuständig. Berat fungiert als Geschäftsführer und Patentinhaber für das Lokal.

Das Geschäftsmodell der Gebrüder: Frauen, die an der Bar, als Sängerinnen oder als Animierdamen für Umsatz sorgen sollen. Sie sollen in dem Klub in aufreizender Kleidung mit den männlichen Gästen tanzen, sie zum Trinken animieren und sich teure Drinks offerieren lassen.

Laut Anklage verdingen sich in drei Jahren fast 60 Frauen in Azems und Berats Lokal. Die Tänzerinnen und Bardamen kommen aus Bosnien, Serbien, einige auch aus Kroatien und Russland. Sie verbringen meist bloss einige Wochen, manchmal einige Monate in der Schweiz, dann reisen sie wieder zurück. Das Problem: Die Brüder holen weder Arbeits- noch Aufenthaltsbewilligungen ein.

Azem wählt die Frauen eigenhändig aus. Die Staatsanwaltschaft hält in ihrer Anklage fest, er habe höchstpersönlich entschieden, wer in seinem Klub arbeiten durfte. Dies habe er nach optischen Kriterien getan. Kurz: Gefällt ihm eine Frau, arbeitet sie in dem Lokal, gefällt sie ihm nicht, lehnt er ab. Zudem lässt sich Azem laufend über das Geschehen im Klub informieren.

Dasselbe Muster zeigt sich in mehreren Zürcher Ermittlungsverfahren zu sogenannten Balkan-Klubs der letzten Jahre. Immer geht es um junge Frauen aus Südost- und Osteuropa, fehlende Arbeitsbewilligungen, ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Die Grenze zur Prostitution ist fliessend.

Doch die Behörden haben ein Problem: Illegale Prostitution und Menschenhandel haben sich in den bisherigen Fällen nie rechtsgenügend nachweisen lassen. Denn nicht nur die Betreiber schweigen eisern, wenn die Ermittler sie fragen. Auch die Frauen. Sie verweigern wohl aus Angst vor Bestrafungsaktionen und Repression die Aussage.

Auch bei Azem und Berat lässt sich der Verdacht nicht bestätigen. Sicher ist im Fall der beiden Brüder aber: Die Arbeit der Frauen ist hart, die Löhne sind mickrig. Für sieben Stunden Arbeit an sechs Tagen in der Woche erhalten die Frauen zwischen 1400 und 2500 Franken monatlich. Sozialleistungen zahlt Azem keine, eine Arbeitsbewilligung holt er nicht ein. Machen die Frauen einen Fehler, zieht er ihnen Geld vom Lohn ab oder er spricht Bussen aus.

Untergebracht werden die jungen Frauen in angemieteten Wohnungen. Offiziell werden sie auf die Namen von Mitarbeitern des Klubs und von Strohmännern gemietet. Azem entscheidet schliesslich allein, in welcher Unterkunft die Frauen untergebracht werden. Zu diesem Schluss gelangt die Zürcher Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Einer seiner Kompagnons, der ebenfalls verurteilt wird, chauffiert die Tänzerinnen jeden Tag von den Wohnungen in den Klub. Damit hat er sie auch unter Kontrolle.

Und er gibt den Frauen genaue Anweisungen. Fragt jemand, müssen sie sagen, sie seien bei einem Freund zu Besuch. Zudem sollten sie bei Kontrollen im Klub angeben, sie seien als Touristinnen in der Schweiz.

Monatelang werden Azem und Berat observiert, Telefongespräche werden abgehört, Chats mitgeschnitten und Nachrichten sichergestellt. Azem sitzt nach seiner Festnahme im März 2023 fast 9 Monate in Untersuchungshaft, sein Bruder knapp 8 Monate.

Doch hängen bleibt am Ende wenig. Die Brüder gestehen die Förderung der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung und die Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts sowie weitere Delikte ein, dafür wird ihr Verfahren im abgekürzten Verfahren erledigt.

Das Urteil: eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 36 Monaten für Azem, ein Landesverweis von sechs Jahren, eine Ersatzforderung von 100 000 Franken sowie die Zahlung von Zivilforderungen über 30 000 Franken. Berat erhält eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 20 Monaten.

Azem sagt vor Gericht, er habe die Straftaten grösstenteils unbewusst begangen: «Das ist schlecht. Es tut mir leid, aber was soll ich machen. Es ist passiert.» Er habe einen Fehler begangen, um die Arbeitsplätze in seiner Firma zu sichern. «So haben wir auch die Mitarbeiterinnen ohne Arbeitsvisum eingestellt.»

Und sein Bruder sagt bloss: «Es war ein Fehler. Ich akzeptiere es so.»

Dann marschieren die Brüder wieder aus dem Gerichtssaal.

Das Netzwerk

Die Ermittlungen gestalten sich häufig schwierig. Denn ob hinter einer legalen Fassade organisierte Kriminalität steckt, zeigt sich oftmals erst nach langwierigen Untersuchungen.

An Warnungen vor kriminellen Netzwerken mangelt es zwar nicht. Die oberste Polizeidirektorin des Landes, Karin Kayser-Frutschi, erklärte im Mai in einem Interview mit den Zeitungen von CH Media: «Ich höre viele Leute, die sagen, sie hätten nie gedacht, dass es so schlimm ist.» Und der Zürcher Regierungsrat hat im letzten Frühling die Verhinderung von clanartigen kriminellen Strukturen zu einem Schwerpunkt der Strafverfolgung erhoben.

Doch eine gut informierte Person sagt es so: «Alle wissen, dass sich die organisierte Kriminalität bei uns festgesetzt hat, aber man setzt viel zu wenig Ressourcen für ihre Bekämpfung ein.» Noch habe man zwar keine Zustände wie in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden, wo kriminelle Clans ihre Machtkämpfe auf offener Strasse austragen. «Aber wir müssen aufpassen, dass bei uns nicht dasselbe passiert.»

Um Azem kursieren viele Geschichten. Er selbst ist einst wegen Drogengeschäften verurteilt worden. Die Ermittler glauben, dass diese alten Netzwerke noch immer aktiv sind. Denn da ist zum einen eine Rumänin, die in einem seiner Klubs arbeitete und laut Anklage verdeckt Wohnungen anmietete. Sie ist auch die ehemalige Geliebte des Chefs eines kriminellen Netzwerks in Rumänien.

Da ist auch ein Restaurant in Nordmazedonien, das der Familie gehört und über das Kokain gehandelt wird. Da sind die Kontakte zu Leuten, die mit jungen Frauen handeln. Und da ist die Verbindung zu einem albanischen Clan, der tief im Drogensumpf steckt und von dem die spanischen Behörden glauben, dass er zu einem der grossen Kokain-Netzwerke Europas gehört.

Doch Beweise dafür, dass Männer wie Azem etwas mit diesen Geschäften zu tun hätten, gibt es nur wenige. Bloss Ahnungen, Vermutungen und Hinweise.

Die Zürcher Ermittler fokussieren sich deshalb auf gezielte Nadelstiche gegen sogenannte Balkan-Klubs. Kontrollieren, um sie zu vergraulen, lautet das Motto.

Aktionen wie in diesem Frühling. Mitte April lassen Einsatzkräfte der Polizei eine Party in einem Balkan-Klub im zürcherischen Buchs platzen. Die Polizei nimmt mehrere Sängerinnen, einen Sänger und einen Rapper fest. Der Grund: Sie hatten keine Arbeitsbewilligung.

Die Ermittler kontrollieren an diesem Tag insgesamt 13 Klubs samt ihren Geschäftsführern, Angestellten und Gästen. 47 Personen werden vorübergehend festgenommen, vor allem wegen Widerhandlungen gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz. In mehreren Lokalen stellen die Einsatzkräfte Pistolen, Munition, eine Schreckschusspistole, Schlagstöcke und einen Baseballschläger sicher. 70 Personen werden schliesslich angezeigt.

Der Jäger

Einer, der sich wie wenige andere hierzulande mit organisierter Kriminalität auskennt, ist Alexander Ott, der Chef der Berner Fremdenpolizei. Er sagt: «Das Business von Clans ist aufgebaut wie eine Pyramide.»

An der Spitze stehe der Menschenhandel. Das Fundament der Pyramide seien halblegale und legale Geschäfte, die im Laufe der Zeit ineinandergreifen würden. Branchen wie Gerüstbauer, Eisenleger, Teppichverkäufer, Barber-Shops oder Shisha-Bars seien anfällig. «Diese Strukturen müssen gestört werden. Nur so können Zustände wie in Berlin verhindert werden», sagt Ott.

Denn die Kriminellen haben laut dem Ermittler ein ganz klares Ziel. Vom illegalen ins legale Business rein. Ott: «Sie geben sich als normale Geschäftsleute, die etwa Immobilien kaufen. Nur stammt das Geld aus illegalen Geschäften.»

Diversifizierung sei für Clans eine grosse Sache. Ott nennt ihr Verhalten «polykriminell». «Einmal besorgen sie einen Maserati, ein andermal eine Rolex, und beim dritten Mal machen sie einen Fehler.» Das sei dann der Fall, wenn die Clans zu gierig würden, sich in unbekannte Gefilde vorwagten und sich damit übernehmen würden.

Der Berner sieht sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, gewisse Ethnien und Gruppen unter Generalverdacht zu stellen. Dies sei Unsinn, sagt Ott, weil es gar keine eindeutige Definition von Clan gebe. «Bei einem Clan geht es um einen geschlossenen Kreis, der nach patriarchalen Familienstrukturen funktioniert», sagt er. Die Mitglieder müssten nicht zwingend der gleichen Ethnie angehören: «Aber einer ist immer die Nummer eins.»

Um die Machtstruktur zu stören, setzen Ott und seine Leute auf eine Taktik der Nadelstiche. Wichtig dabei sei, auf Unregelmässigkeiten zu achten und sofort zu reagieren. Wenn in einer Wohnung sieben Leute gemeldet sind oder wenn über Nacht in einem Wohnhaus ein Geschäft aufmacht, wird er hellhörig.

Viele würden ihm sagen, der Aufwand sei zu gross, wenn am Ende nur ein paar zweitrangige Straftaten nachgewiesen werden könnten. Ott sieht das anders: «Wir haben diese Kreise zumindest gestört. Und man muss sie immer wieder aufs Neue stören.»

Neues Gebiet

Azem ist inzwischen weitergegangen. Er lebt inzwischen in Deutschland. In der deutsch-schweizerischen Grenzregion hat er begonnen, Immobilien zu kaufen. Auch ein Hotel gehört dazu. Ist das bloss Tarnung? Vor Gericht sagt Azem: «Ich bin selbständig mit einer Baufirma. Es ist ein Generalunternehmen. In U-Haft hat es Probleme gegeben, aber langsam kommt es wieder. Es hat sehr gut funktioniert.»

Alles ganz legal, alles sauber. Vielleicht.

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