Donnerstag, Oktober 10


Ein unerwarteter Herrenschuh

Die Zeiten klobiger Ugly-Sneakers klingen langsam ab: Bei den Frauen feiern die «Ballet Flats» derzeit ein grosses Revival – und sie werden allmählich auch bei Männern immer beliebter.

Dass sich in der Männermode «etwas tut», davon ist schon seit einer Weile die Rede. Tatsächlich ist bemerkenswert, wie sich die Herrenmode über die Jahre stetig weiterentwickelt. Man kann von einer Emanzipation der Herrengarderobe sprechen. Aufgelöst wurden starre Grenzen und Barrieren, die bis vor kurzem noch herrschten. (Fast) alles ist möglich, nicht mehr nur noch in der Frauenmode, jetzt auch bei den Herren. «Casualisierung» lautet das Stichwort.

Nachdem in den letzten Jahren neue Männertrends wie Perlenketten, Handtaschen und Clutches beim Massenpublikum angekommen sind, wird nun auch die Schuhwelt – zumindest aus konservativer Sicht – ein wenig auf den Kopf gestellt: Zarte Ballerinas sind derzeit das neue Nonplusultra, um einem Männerlook ein zeitgeistiges «Je ne sais quoi» zu verleihen.

Eine der letzten Bastionen der Frauenmode?

Der neue Trend ergibt aus verschiedener Sicht Sinn: Das Übernehmen von als typisch feminin wahrgenommenen Stilcodes in der Herrengarderobe ist derzeit ein grosses Thema und auch ein Bedürfnis. Es ist ein Plädoyer für eine offenere Mentalität und Wahrnehmung von Geschlechternormen. Schliesslich erlebt der «Ballet Flat» als aktueller Trendschuh für Frauen derzeit ein grosses Comeback. Der Ballerina ist elegant, etwas lieblich und – im Vergleich zu absurd hohen High-Heels – bequem.

Marc Jacobs als Ballerinavorreiter

Der Männerballerina ist zwar noch nicht in der breiten Masse zu sehen, das könnte eventuell noch einige Jahre dauern. Aber klare Anzeichen dafür, dass sich der Trend manifestieren wird, gibt es.

Vorreiter ist einerseits Marc Jacobs, der nicht nur als Modedesigner international prägend ist. Mit seiner privaten Garderobe sorgt der 61-jährige Fashion-Fan bei seiner 1,8 Millionen grossen Instagram-Anhängerschaft immer wieder für Aufsehen. Jacobs ist bekannt dafür, dass er sich gerne mal das eine oder andere Teil aus einer Frauenkollektion zu eigen macht. Als Kontrast zu den wahnwitzigen Plateaustiefeletten, die er in allen Variationen gerne trägt, sieht man nun seit rund einem Jahr regelmässig auch Ballerinas an seinen Füssen.

Jacobs trägt sie etwa zu einem schlichten schwarzen Look mit weiten Hosen. Oder zur klassischen Kombination aus Jeans, weissem T-Shirt und schwarzem Sakko. Schlichte schwarze Ballerinas trägt Jacobs gerne zu ebenso schlichten Caprihosen: sei es zur Serienpremiere von «Feud. Capote vs. The Swans» im Januar – kombiniert zu einem schwarzen Satinblazer, schwarzen Lederhandschuhen und einer Handtasche – oder zum Finale seiner jüngsten Modenschau im Februar während der New York Fashion Week.

Ob im Abendlook oder im Arbeits-«Tenue» – Jacobs präsentiert mit seinen Ballerinas stets den nackten Rist. Das signalisiert eine Nonchalance, fast schon wie in Pantoffeln, wirkt aber viel eleganter und vermittelt in gewisser Weise auch die Wendigkeit von Tänzern. Der Look vermittelt das klassische Flair einer Audrey Hepburn, die ja seit den 1950er Jahren als Stilikone in Ballerinas schlechthin gehandelt wird.

Kim Jones’ wegweisende Dior-Modenschau

Dass der Ballerinaschuh auch mit Socken funktionieren kann, das bewies kürzlich ein weiterer wichtiger Innovator der Männergarderobe: Modedesigner Kim Jones. Der Kreativchef der Dior-Herrenkollektionen liess sich für seine jüngste, im Januar präsentierte Kollektion von Balletttänzer Rudolf Nurejew inspirieren. Wichtigstes, prägnantes und verbindendes Stilelement waren dabei die Ballerina-artigen Schuhe – mal mit Riemen als Mary-Jane, mal ohne, aber stets mit kontrastierenden, unifarbenen Socken getragen, sei es zu Shorts oder weiten Hosen.

Der Nährboden, sprich die bisher fehlende Legitimierung der «Ballet Flats» für Männer, ist also da. Nicht nur auf dem Laufsteg und bei Stilvorbildern wie Marc Jacobs oder etwa dem New Yorker Hipster-Koch Danny Bowien, der Ballerinas ziemlich punkig zu Schlabberjeans und Muscle-Shirt trägt. Immer mehr Marken bieten ihre Ballerinamodelle auch in Männergrössen, meist bis 43 an.

Je mehr wir Mannsbilder in Ballerinas sehen, desto weniger «fremd» wirkt der Schuh für die Männergarderobe. Das kommt natürlich auch auf das Modell an. Je schlichter dieses ist – etwa frei von einer Schlaufe und mit einer neutral runden Front statt einer eckigen oder spitzigen –, desto plausibler ist die Nähe zu klassischen Loafers, Lackschuhen oder «Opera Pumps» aus dem Register der klassischen Gentleman-Garderobe.

Sich mit tragbareren Alternativen an Ballerinas herantasten

Sowieso: Männerballerinas könnte man durchaus als Spitze des Eisbergs, nämlich eines weit übergeordneten Trends verstehen: Schuhe mit dünnen Schuhsohlen. Wer sich noch nicht ganz an die Vollversion eines Ballerinas für Männer getraut, der tastet sich anhand artverwandter Schuhmodelle heran: mit dünnen, weichen Sohlen und keinem oder kleinstem Absatz, ähnlich wie weiche Tanzschuhe. Das sind etwa sommerliche Espadrilles mit Bastkonstruktion oder die eleganteren Pendants aus Venedig, die Friulane-Slippers aus Samt mit weicher Gummisohle und edel geschwungenem Schaft.

Ziemlich fesch und höchst elegant sind die «Grecian Slippers», die in England vor allem als elegante Hausschuhe bekannt sind. In der Kalbslederversion des Berliner Herrenschneiders Maximilian Mogg erhalten sie mit kleinem Absatz etwas mehr Fundament als ein klassischer Ballerina.

Bei Bally gab es für letzten Herbst den «Glendale»-Mary-Jane aus Lackleder auch in den Herrengrössen bis 45. Der Entwurf basierte auf einem Archivmodell von 1923, das ursprünglich für Männer zum Charleston-Tanz entworfen worden war. Etwas weniger exzentrisch sind die «Plume»-Loafers der aktuellen Kollektion, die Kreativchef Simone Bellotti in zarten, Ballerina-artigen Proportionen und bequemer «Goodyear welt»-Konstruktion vorschlägt.

Wer doch einen geschlossenen Schnürschuh bevorzugt: Bei Prada gibt es auf den Herbst hin neue, smarte Versionen aus Glanzleder, die aber klassischen Tanzschuhen nicht unähnlich wirken. An der Modenschau schritten die Models geräuschlos mit ihren «Flat mini slippers» mit dünner Gummisohle über den gläsernen Laufsteg.

Ja, es ist eine Kehrtwende in der Schuhmode absehbar: Die klobigen «Dad»- und «Ugly»-Sneakers mit monströsen Profilsohlen scheinen allmählich ihren Reiz zu verlieren. Für alle, die sich davon noch nicht verabschieden wollen, gibt es einen Hybrid: den «Ballet Sneaker» (etwa von Rombaut) mit engem Schnitt und fetter Profilsohle.

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