Der Schweizer Versicherer präsentiert eine neue Strategie, ohne auf Vorschläge des aktivistischen Aktionärs einzugehen. Das wird für den Verwaltungsrat nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Was Baloise am heutigen Investorenupdate präsentiert hat, tönt auf den ersten Blick vielversprechend – doch es wird das Verhältnis mit dem neuen und inzwischen grössten Aktionär Cevian in die nächste Eskalationsstufe führen.
Der aktivistische Investor hat nach eigenen Aussagen eine Position von 9,4% am Schweizer Versicherer aufgebaut und diesen im Vorfeld des Investorentags aufgefordert, das Geschäft zu transformieren, primär zu fokussieren.
Dass die teilweise weitreichenden Vorschläge nicht alle und nicht sofort umgesetzt werden würden, war klar. Die Frage bezüglich der heutigen Strategiepräsentation lautete lediglich: Wie viel Wille zu Veränderung besteht im Verwaltungsrat und im Management?
Schöne Worte
Die Wortwahl signalisiert eigentlich Offenheit: Baloise spricht nun selbst vom «Start einer Refokussierungsstrategie», nachdem eine sorgfältige Analyse «substanzielles Effizienzsteigerungspotenzial» gezeigt habe.
Auch ein neues Ziel wurde ausgegeben: Die Eigenkapitalrendite soll in der neuen Strategieperiode 2024 bis 2027 auf 12 bis 15% (2023: 7,2%) steigen. Zudem soll die Barmittelausschüttung auf 80% der Cash-Einnahmen der Holding erhöht werden. Zu den weiterhin jährlich wachsenden Dividenden sollen deshalb auch Aktienrückkäufe hinzukommen.
Was ambitioniert tönt und höhere Barrenditen verspricht, ist dennoch enttäuschend: Die Konsensschätzungen der Analysten führen die zur Eigenkapitalrendite neu präsentierten Eckwerte schon länger in ihren Schätzungen – für das Ende der Strategieperiode erwarteten sie sogar noch mehr:
Auch bezüglich der Dividende dürfte die nun höher veranschlagte Ausschüttungsquote kaum üppigere Auszahlungen erwarten lassen. Diesbezüglich lagen die Schätzungen ebenfalls bereits vor der neuen Zielausgabe auf dem nun verkündeten Niveau.
Keine Fokussierung
Inhaltlich gänzlich unverständlich ist jedoch der Begriff der «Refokussierungsstrategie». Gemäss der heutigen Ankündigung strebt das Unternehmen an, «in der Schweiz, Belgien, Deutschland und Luxemburg zu den führenden Versicherungen in ihren attraktiven Zielsegmenten zu gehören.»
In all diesem Märkte ist der Schweizer Versicherer schon heute aktiv. Ein Ausstieg aus einem Land oder einem Geschäftsbereich wird also nicht in Erwägung gezogen. Im Gegenteil: Baloise strebt überall eine Steigerung über dem jeweiligen Marktwachstum an.
Der einzige Einschnitt ist, dass die Kostenquote um 2 bis 3 Prozentpunkte sinken soll. Dafür sollen mitunter gruppenweit 250 Stellen abgebaut werden, was bei gut 8000 Mitarbeitern unter der natürlichen Fluktuation liegt und damit ebenfalls wenig ambitioniert anmutet.
In der fünfzigseitigen Investorenpräsentation werden zwar Dutzende Massnahmen aufgeführt, mit denen Baloise «auf den bestehenden Stärken weiter aufbauen und die Profitabilität erhöhen» will. Eine «Refokussierung» ist jedoch nirgends ersichtlich.
Genau eine solche steht jedoch auf der Prioritätenliste von Cevian ganz zuoberst. Beispielsweise ein Exit aus Deutschland, wo Baloise nicht nur schwach positioniert ist, sondern auch kaum Gewinn schreibt – aber wo dennoch reichlich Kapital gebunden hat. Ähnliches gilt für das Schweizer Bankgeschäft. Beide Bereiche steuern kaum Cash-Zahlungen an die Holding bei, aus denen die Dividenden für die Aktionäre alimentiert werden.
Eine Trennung von Deutschland würde die Dividendenfähigkeit des Konzerns damit nicht beeinträchtigen, sondern im Gegenteil Kapital freisetzen, lautet die Logik von Cevian – und die Begründung ihrer Forderung, aus dem Geschäft auszusteigen.
Verwaltungsrat im Visier
Mit der heutigen Präsentation wurde trotz anderslautender Schlagworte klar, dass transformierende Schritte keinen Eingang in die Strategieplanung des amtierenden Verwaltungsrats (VR) und von Konzernchef Michael Müller finden.
Dies macht absehbar, dass Cevian den Verwaltungsrat ins Visier nehmen wird – an vorderster Front VR-Präsident Thomas von Planta. Offen ist lediglich noch, ob der neue Grossaktionär eine ausserordentliche Generalversammlung beantragen wird, um eigene VR-Kandidaten zu stellen, oder dazu die ordentliche Generalversammlung vom Frühling abwartet.
Fest steht gemäss Marktteilnehmern jedenfalls, dass Nominierungen, die für eine strategische Erneuerung im Sinne von Cevian stehen, auf eine breite Unterstützung im Aktionariat zählen können.
«One share, one vote»
Bereits Ende April hatte der Vermögensverwalter zCapital mit der Forderung, die Stimmrechtsbeschränkung abzuschaffen, einen Stimmenanteil von 78% erreicht – obwohl sich der Verwaltungsrat dagegen ausgesprochen hatte.
Die hohe Zustimmungsrate für das Begehren spiegelt die Stimmung im Aktionariat – und hat letztlich auch den Weg geebnet, dass Cevian auf den Plan trat: Seither gilt das Prinzip «One share, one vote», womit sich das Kräfteverhältnis weg vom Verwaltungsrat hin zu den Eigentümern verschoben hat.
Damit ist klar: Kommen die strategischen Reformen nicht vom derzeitigen Verwaltungsrat, werden nach dem heutigen Tag die Aktionäre dafür sorgen, dass die Geschäftsentwicklung zumindest in Zukunft in ihrem Sinne verläuft – und von Personal beaufsichtigt wird, das auf sie hört.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Ruedi Keller