Donnerstag, November 13

Die Ernennung von Muhammad Yunus zum Übergangsregierungschef in Bangladesh ist ein Glücksfall. Doch der 84-jährige Nobelpreisträger steht vor enormen Herausforderungen. Der Westen sollte ihm helfen, das Land zurück zur Demokratie zu führen.

Der Sturz von Sheikh Hasina ist ein grosser Erfolg der Zivilgesellschaft in Bangladesh. Er zeigt, dass die Bevölkerung nicht länger bereit war, die autoritäre Einparteiherrschaft Hasinas hinzunehmen. Über fünfzehn Jahre hatte sie ein Klima der Angst geschaffen, doch war die Wut schliesslich grösser als die Furcht vor ihren Schlägertrupps und Todesschwadronen. Bis zuletzt drängte die 76-Jährige die Armee, auf die Menge zu schiessen. Doch am Ende war die Menge zu gross, und die Armeeführung entzog der Premierministerin die Unterstützung.

Dass sich die Generäle dagegen entschieden haben, selbst die Macht zu übernehmen, ist gut. Zu begrüssen ist auch, dass sie den hochgeachteten Ökonomen Muhammad Yunus mit der Bildung der Übergangsregierung beauftragt haben. Der 84-Jährige, der 2006 für die Entwicklung des Mikrokreditsystems mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist eine gute Wahl. Er geniesst nicht nur moralische Integrität, sondern auch weltweit grosses Ansehen.

Es macht Hoffnung, dass das Militär ihm nur vier Tage nach Hasinas Sturz die Regierungsverantwortung übergeben hat. Auch ist positiv, dass Yunus zwei Anführer der Studentenbewegung in sein Kabinett berufen hat. Die Studentenführer hatten die Proteste gegen Hasina organisiert und verdienen Anerkennung für ihren Mut und ihre Standhaftigkeit. Im Gegensatz zu den grossen Oppositionsparteien stellen sie eine frische Kraft dar, die glaubhaft für einen Neuanfang steht.

Yunus muss nun rasch das Chaos auf den Strassen beenden

Zugleich ist jedoch klar, dass die Aufgaben, die Yunus bevorstehen, gewaltig sind. Er muss rasch handeln, um die Anarchie und die Gewalt in den Städten zu beenden. Seit Montag ist die Polizei fast völlig von den Strassen verschwunden. Die Polizisten fürchten Racheakte, nachdem sie mit grosser Brutalität gegen die Demonstranten vorgegangen waren. Es gibt vielerorts Diebstähle und Plünderungen, auch kam es zu Übergriffen auf Geschäfte, Wohnungen und Gebetsstätten von Hindus und Christen, die der Unterstützung von Hasinas Awami League beschuldigt werden.

Anhänger der Opposition haben das Sicherheitsvakuum zudem genutzt, um sich an Vertretern der Regierungspartei zu rächen. Es gab bereits Dutzende Tote. Besonders die islamistische Partei Jamaat-e Islami hat eine lange Geschichte der Gewalt, aber auch der Bangladesh Nationalist Party (BNP) von Hasinas Erzfeindin Khaleda Zia ist Gewalt nicht fremd. In ihrer Zeit an der Regierung neigte sie ebenfalls zur Verfolgung ihrer Gegner sowie zu Korruption und Klientelismus.

Yunus sollte nun rasch Schritte ergreifen, um faire und freie Wahlen vorzubereiten. Dazu gehört, die Neutralität der Wahlkommission wiederherzustellen, die Hasina mit ihren Parteileuten besetzt hatte. Auch muss er die Unabhängigkeit der Justiz und die Glaubwürdigkeit der Polizei als Garant für Recht und Ordnung retablieren. Nicht zuletzt sollte er die Wirtschaft stabilisieren. Hier können die USA und Europa als Bangladeshs wichtigste Handelspartner Hilfe leisten.

Es braucht in Bangladesh einen echten Neuanfang

Zugleich sollte Yunus den Studenten die Zeit geben, sich politisch zu organisieren. Bei Neuwahlen würde heute wohl die BNP eine Mehrheit gewinnen. Damit würde aber die Macht lediglich zu einer anderen Fraktion des Establishments übergeben, die sich in der Vergangenheit als kaum weniger korrupt und autoritär als die Awami League erwiesen hat. Ohne Einbindung der Zivilgesellschaft droht eine Fortsetzung der bisherigen Politik unter anderen Vorzeichen.

Dies zeigt sich in Sri Lanka. Dort war im Juli 2022 der autoritäre Präsident Gotabaya Rajapaksa nach Massenprotesten zum Rücktritt und zur Flucht ins Ausland gezwungen worden. Die Szenen, wie die jubelnde Menge seinen Palast in Colombo stürmte, glichen den Bildern aus Dhaka, als die Demonstranten in Hasinas Amtssitz eindrangen. Doch nach dem Sturz des Präsidenten blieben die alten Eliten in Sri Lanka an der Macht, und Rajapaksa zog im Hintergrund weiter die Fäden. Bangladesh sollte einen anderen Weg einschlagen.

Exit mobile version