Mittwoch, November 27

In der Euro-Zone haben Banken im Jahr 2023 rund 130 Milliarden Euro Zinsen auf ihren Einlagen bei der EZB erhalten. Für zwei Professoren sind das leistungslose Einnahmen. Ein Bankökonom widerspricht.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit den Null- und Negativzinsen sowie den Anleihekäufen in Billionenhöhe jahrelang eine sehr expansive Geldpolitik betrieben und damit auch die Banken- und Finanzmärkte gehörig durcheinandergewirbelt. Die Folgen sind bis heute spürbar. Während die Geschäftsbanken der Euro-Zone trotz Erleichterungen mehrere Jahre von den Negativzinsen betroffen waren, profitieren sie derzeit vom hohen Einlagensatz. Nun fordern die beiden Hamburger Wirtschaftsprofessoren Bernd Lucke und Dirk Meyer die Abschöpfung der aus ihrer Sicht «leistungslosen Zinserträge» von Kreditinstituten, die nicht benötigtes Geld bei der Zentralbank parkieren.

Gut 3,5 Billionen Euro an Überschussliquidität

Die Ökonomen knüpfen an die Tatsache an, dass die EZB – ebenso wie viele andere Zentralbanken weltweit – durch die enormen Wertpapierkäufe (Quantitative Easing, QE) grosse Mengen an Überschussliquidität geschaffen hat. Diese wird von Geschäftsbanken in der Euro-Zone gehalten, welche sie wiederum überwiegend bei der EZB parkieren, nämlich in der Einlagenfazilität. Auf den dort parkierten Mitteln zahlt die EZB Zinsen in Höhe des Einlagensatzes, den sie zwischen Juli 2022 und September 2023 zur Bekämpfung der enorm hohen Inflation von –0,5 auf 4 Prozent erhöht hat.

Dies geschah auch deshalb, weil die EZB eben seit einigen Jahren die Geldpolitik im Euro-Raum mit dem Einlagensatz steuert. Nach der in diesem Juni eingeleiteten Zinswende, die mit einer Reduktion der Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte einherging, notiert der Einlagensatz derzeit bei 3,75 Prozent. Das ist deutlich mehr, als man für vergleichbar sichere und liquide Anlagen auf den Märkten erhalten kann.

Ende des Jahres 2023 hatten die Banken der Euro-Zone laut Lucke und Meyer gut 3,5 Billionen Euro in der Einlagenfazilität des Euro-Systems, das durch die EZB und die nationalen Zentralbanken gebildet wird, parkiert. Der grosse Liquiditätsüberschuss sei deshalb entstanden, weil die Zentralbanken im Rahmen von QE den Geschäftsbanken grosse Mengen an niedrig verzinsten Staatsanleihen abgekauft hätten.

Auf diese Papiere müssten die entsprechenden Länder dauerhaft niedrige Zinsen zahlen, welche an die Zentralbanken fliessen. Zugleich müssten die EZB und die nationalen Notenbanken den Geschäftsbanken die bei ihnen parkierten Gelder zum variablen, derzeit viel höheren Einlagensatz verzinsen.

Die Deutsche Bundesbank hat im vergangenen Jahr aufgrund dieser Mechanik einen Verlust von rund 20 Milliarden Euro erlitten, den sie durch zuvor gebildete Reserven gerade noch ausgleichen konnte. Auch die EZB musste einen milliardenschweren Verlust hinnehmen. Für Deutschland haben die beiden Ökonomen die zugrunde liegenden Zinssätze berechnet. «Die durchschnittliche Verzinsung der von der Bundesbank gehaltenen Anleihen hat im vergangenen Jahr 0,37 Prozent ausgemacht, während die zu leistenden Zinsen auf die Einlagen der Geschäftsbanken im Durchschnitt 3,27 Prozent betragen haben», sagt Dirk Meyer von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.

Die daraus entstandene negative Zinsmarge von –2,9 Prozent sei die Ursache für die Verluste der Bundesbank, die sich in den kommenden Jahren fortsetzen dürften. Der Bundesbank-Präsident Joachim Nagel rechnet für die nächsten Jahre mit Verlusten aus den entsprechenden Zinsgeschäften in Höhe einer mittleren zweistelligen Milliardensumme, wie er im Februar auf der Bilanzmedienkonferenz sagte. Für die gesamte Euro-Zone machten die Zinszahlungen auf die Einlagen der Geschäftsbanken nach den Berechnungen der beiden Professoren allein im Jahr 2023 rund 130 Milliarden Euro aus.

Bundesbank muss erhebliche Verluste verbuchen

«Diese Zinseinkommen beziehen die Geschäftsbanken ohne erkennbare Gegenleistung, denn sie finanzieren keine Investitionen, und sie tragen keinerlei Risiko», sagt Bernd Lucke von der Universität Hamburg. «Die Banken und sonstigen Kreditinstitute erhalten von der EZB derzeit gewissermassen ein bedingungsloses Grundeinkommen.» Zugleich müsse die Bundesbank erhebliche Verluste verbuchen und könne der Bundesregierung nicht mehr – wie früher üblich – einen Zuschuss zum Bundeshaushalt in meist einstelliger Milliardenhöhe überweisen.

Schlimmstenfalls müsse der Bund in den kommenden Jahren sogar umgekehrt die Bundesbank alimentieren, falls die noch entstehenden Verluste dereinst ihr Eigenkapital aufgezehrt hätten und die Bundesbank aus währungspolitischen Gründen nicht mehr mit Verlustvorträgen arbeiten könne.

Lucke und Meyer halten die Zinsgewinne aus gesellschaftlicher und marktwirtschaftlicher Sicht für ungerechtfertigt und schlagen daher eine gewinnneutrale Besteuerung der Banken vor. Idealerweise solle dies innerhalb der OECD geschehen, damit den hiesigen Banken keine Wettbewerbsnachteile entstünden. Die Chancen dafür stünden gut, sagen die beiden Professoren, denn in allen OECD-Staaten flössen derzeit leistungslose Zinseinkommen an die Geschäftsbanken, zum Schaden der nationalen Haushalte und Steuerzahler.

Dazu sollten die Staaten die Überschussreserven des Bankensektors pro Institut zum 31. Dezember 2022 als dauerhaft gültige Bemessungsgrundlage erfassen. So könnten Ausweichreaktionen effektiv verhindert werden. In den Folgejahren würde aber der Steuersatz auf diese Bestände so angepasst, dass das Steueraufkommen genau den jeweils von der EZB geleisteten Zinszahlungen entspräche. «Die Besteuerung ist gewinnneutral», sagt Lucke, «weil die Steuerlast der Banken genau um den Betrag erhöht wird, der den Geschäftsbanken von den Zentralbanken als leistungsloses Zinseinkommen zufliesst.»

Banken tauschen fixen gegen variablen Zins

Das sieht Jörg Krämer ganz anders. «Natürlich gibt es eine Leistung», sagt der Chefökonom der Commerzbank. Die Banken hätten der EZB Staatsanleihen verkauft und dafür ein Guthaben auf ihrem jeweiligen EZB-Konto erhalten. Dadurch bekämen die Banken nun einen variablen Zins in Form des schwankenden Einlagensatzes, nachdem sie zuvor den fixen Coupon einer Staatsanleihe mit mehrjähriger Laufzeit erhalten hätten. Finanztechnisch sei das ein «fix to variable swap». Solche Zins-Swaps seien an den Finanzmärkten weit verbreitet.

«Mit anderen Worten verzichten die Banken auf einen fixen Zins und bekommen dafür einen variablen Zins», sagt Krämer. Aus den einst negativen Zinsen von –0,5 Prozent seien in kurzer Zeit hohe positive Zinsen von derzeit 3,75 Prozent geworden. In den kommenden Quartalen dürften die Zinsen aus seiner Sicht eher wieder leicht sinken. Die Entwicklung des Einlagensatzes sei stets im Fluss. Sehe man von Risikoprämien ab, entspreche ein Festzins über zehn Jahre aber dem Durchschnitt der erwarteten variablen Zinsen.

Würde eine Besteuerung der Einlagen nicht auch die Geldpolitik der EZB beeinträchtigen, weil die Banken als Reaktion auf die Steuern die Einlagen auflösen und woanders parkieren oder in Wertpapiere investieren? «Nein», sagt Meyer, «deshalb wollen wir ja keine direkte Besteuerung der Zinserträge aus den Einlageguthaben und fordern stattdessen die Bemessungsgrundlage per 31. Dezember 2022.» Dies sei auch deshalb angemessen, weil der leistungslose Zugewinn der Banken vollständig durch die Barwertsteigerung der Einlagen erfasst werde, die die Zinswende 2022 für die damaligen Überschussreserven bewirkt habe.

«Selbst bei einer Reinvestition der Überschussreserven einer Bank behält sie den Gegenwert des Zinsvorteils durch den niedrigen Kurswert der nun erworbenen Anleihen. Die Steuer wirkt deshalb bis zum vollständigen Abbau der QE-Bestände.» Auch eine Gefahr für die Finanzstabilität aufgrund der zusätzlichen Belastung der ohnehin schwachen europäischen Banken sehen die beiden Professoren gelassen. Sollte tatsächlich eine Bank in Not geraten, könne der Staat ihr Kapital zuführen, das ihn selbst zum Miteigentümer machen würde. Dies sei besser, als «mit der Giesskanne» Geldgeschenke an alle Banken zu verteilen, ohne dass der Staat dafür zumindest Aktienbesitz erhalte.

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