Samstag, September 28

Die USA, Grossbritannien und die EU schieben die Verschärfung der Kapitalauflagen für die Banken auf. Die Eidgenossenschaft jedoch hält an ihrem Zeitplan fest – und landet wieder einmal in der Rolle der Musterschülerin.

Fasziniert, konsterniert und etwas neidisch schauten Topmanager von Schweizer Banken zu, als die amerikanische Zentralbank Fed am 10. September vor den US-Grossbanken kapitulierte. An diesem Tag sagte Michael Barr, der Verantwortliche für Bankenaufsicht beim Fed, bei einem Auftritt die geplante Verschärfung der Eigenkapitalauflagen für die Finanzinstitute ab. Eine verwässerte Variante der Reform dürfte frühestens 2026 in Kraft treten.

Die US-Banken hatten während eines Jahres eine heftige, eher ungewöhnliche Kampagne gegen das «Basel III final» genannte Regelwerk geführt. Diese richtete sich direkt an die Bevölkerung: «Noch eine Rechnung, die sich Amerikaner nicht leisten können», lautete der Slogan in einem Fernsehwerbespot, der eine einfache Botschaft transportierte: Wenn die Banken mehr Eigenkapital halten müssen, werden Kredite, Hypothekarzinsen und das Leben generell noch teurer.

Die Argumentation verfing. Die letzte Etappe der internationalen, nach der Finanzkrise 2008 aufgegleisten Bankenreform «Basel III» wurde in den Vereinigten Staaten immer unpopulärer, bis das Fed einknickte.

A new Basel endgame ad

Zwei Tage nach dem Fed kündigte am 12. September auch die Bank of England an, die Umsetzung von «Basel III final» bis mindestens Anfang 2026 zu verzögern. Die Briten reagierten damit auf Sorgen in der Wirtschaft, dass sich Kredite für KMU, Infrastrukturprojekte und Wohnimmobilien verteuern könnten.

Bereits im Juli hatte die Europäische Union die Aufschiebung der vollständigen «Basel III final»-Umsetzung beschlossen. Brüssel will abwarten, wie sich die USA positionieren. Europäische Grossbanken sollen im internationalen Wettbewerb gleich lange Spiesse haben wie die amerikanischen.

Ganz anders sieht es in der Schweiz aus: Hierzulande hat der Wind in Sachen Bankenregulierung seit dem Untergang der Credit Suisse im März 2023 gedreht. Die Zeichen stehen auf Verschärfung.

Der Bundesrat denkt nicht daran, die «Basel III final»-Umsetzung auch nur um einen Tag zu verschieben. Am 1. Januar 2025 wird er die neue Eigenmittelverordnung definitiv und vollständig in Kraft setzen. Und das, bevor klar ist, ob und wann Washington, London und Brüssel diesen Schritt machen werden.

Bankenvertreter äussern vor diesem Hintergrund die Befürchtung, dass die Schweiz unter dem Eindruck des Traumas aus der CS-Krise die Wettbewerbsfähigkeit ihres Finanzplatzes preisgeben könnte. Niemand stelle mehr die Frage: Geht das zu weit?

Schon wieder Musterschülerin

Auch Andreas Ita, Bankenexperte beim Beratungsunternehmen Orbit 36, spricht von einer «gefährlichen Entwicklung». Das Problem sei nicht, dass sich die Schweizer Banken schon ein Jahr früher an die «Basel III final»-Regeln halten müssten als die Konkurrenz in London, Frankfurt oder New York. Der Finanzplatz opponiere auch nicht pauschal gegen die Reform, die die Eigenkapitalausstattung unter den Banken zielgerichteter, einheitlicher und damit vergleichbarer machen soll.

Das Problem sei jedoch, dass sich die internationale Bankenregulierung nach dem 1. Januar 2025 in eine Richtung entwickeln könnte, die der Bundesrat heute nicht vollständig absehen könne. Die Landesregierung riskiere mit ihrem Festhalten am Einführungstermin, dass die Schweizer Finanzinstitute am Ende mit ungleich langen Spiessen im globalen Wettbewerb dastünden, sagt Ita.

In eine ähnliche Rolle ist die Schweiz geraten, als sie Anfang dieses Jahres die OECD-Mindeststeuer einführte, während grosse Wirtschaftsmächte immer noch abwarten.

Bestnote vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht

Die Schweiz gehört laut einer offiziellen Übersicht nicht nur in zeitlicher Hinsicht zu den Musterschülern, was die Umsetzung globaler Mindeststandards bei der Bankenregulierung anbelangt. Auch inhaltlich zählt sie zu denjenigen Staaten, die die bisherigen «Basel III»-Regeln am genauesten umgesetzt haben. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, der die Bankenregulierung international koordiniert, gibt der Eidgenossenschaft die Bestnote «konform» für die Umsetzung der Kapitalauflagen.

Die EU und Grossbritannien dagegen tragen das Attribut «im Wesentlichen nicht konform». Die Vereinigten Staaten wiederum haben derzeit zwar die Note «grösstenteils konform», aber die Tendenz dürfte künftig eher in Richtung nicht konform gehen.

Kritische Stimmen am Schweizer Finanzplatz befürchten, dass die Musterschüler-Rolle den Schweizer Banken mittel- und langfristig schaden könnte: Die Eidgenossenschaft habe bei der Umsetzung von «Basel III final» den ihr zur Verfügung stehenden Spielraum nicht genutzt, um die Reform für den Finanzplatz verträglicher auszugestalten. Höhere Risikogewichte in Verbindung mit strengeren Kapitalanforderungen führten in einzelnen Geschäftsbereichen zu einer erheblichen Benachteiligung von Schweizer Banken.

Betroffen von abweichenden, strengeren Kapitalvorschriften im Rahmen von «Basel III final» wäre vor allem die Grossbank UBS. In zweiter Linie aber auch international ausgerichtete Banken, die ausserhalb der Schweiz im Wettbewerb um Kunden und Aufträge stehen.

Banken verlieren bereits jetzt Aufträge

Dass die Schweiz die Musterschülerin spielt, hat laut Bankverantwortlichen bereits jetzt Auswirkungen aufs Geschäft. Ein hochrangiger Vertreter eines namhaften Instituts berichtet gegenüber der NZZ, dass sein Arbeitgeber aufgrund von «Basel III final» im Ausland schon heute Aufträge verliert. Das Finanzinstitut kann laut eigenen Angaben bestimmte Geschäfte nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten, weil es diese künftig mit mehr Eigenkapital unterlegen muss als die ausländische Konkurrenz.

Ein anderer Bankvertreter warnt davor, dass die Schweizer Wirtschaft als Folge der strengen Bankenregulierung künftig mit höheren Finanzierungskosten konfrontiert sein könnte. Das würde dann nicht nur den Banken, sondern allen Unternehmen schaden. Doch in Bundesbern treffen solche Bedenken anders als in den Vereinigten Staaten oder in Grossbritannien auf wenig Verständnis.

Auf Anfrage der NZZ bekräftigt das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF), dass eine Verzögerung der «Basel III final»-Umsetzung nicht infrage komme: Erstens sei die Reform in Ländern wie Japan oder Kanada bereits in Kraft. Zweitens schätze man die Auswirkungen eines abweichenden Umsetzungszeitplans in den Vereinigten Staaten und Grossbritannien als gering ein. Finanziell entscheidend für die Banken seien vor allem die Umsetzungskosten der neuen Regeln, und deren Höhe sei unabhängig vom Einführungszeitpunkt. Mit effektiv höheren Kapitalanforderungen sei «im Wesentlichen» bei den Grossbanken – sprich: der UBS – zu rechnen.

Für die Grossbank beginnt wenige Wochen nach dem Inkrafttreten von «Basel III final» am 1. Januar 2025 bereits die nächste Verschärfung der Eigenkapitalauflagen. Dann nämlich dürfte der Bundesrat die nächste Revision der Eigenmittelverordnung in die Vernehmlassung schicken.

Auf die UBS warten noch höhere Kapitalauflagen

Die UBS soll ihre ausländischen Tochtergesellschaften als Konsequenz aus der CS-Krise mit mehr Eigenkapital unterlegen. Strittig ist nur noch das Ausmass. Der neue Direktor der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht, Stefan Walter, drängt in Interviews darauf, dass ausländische Beteiligungen zu 100 Prozent mit Eigenmitteln unterlegt werden sollen. Die UBS müsste je nach Schärfe der Regelung zwischen 15 und 25 Milliarden Franken an zusätzlichem Eigenkapital halten. Dagegen wehrt sich die Bank. «Hat man zu viel Kapital, bestraft man die Aktionäre, aber auch die Kunden, denn die Bankdienstleistungen werden verteuert», sagte der Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher im März der NZZ.

Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) von Finanzministerin Karin Keller-Sutter legt Wert auf die Feststellung, dass keine generellen Eigenkapitalanpassungen für Banken geplant seien, sondern «eine spezifische Anpassung für systemrelevante Banken mit grossen ausländischen Tochtergesellschaften». Diese Massnahme stärke die Stabilität und indirekt auch die Wettbewerbsfähigkeit. «Die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes und der Wirtschaft bleiben ein zentrales Anliegen des Bundesrates», heisst es aus Bern.

Kritische Stimmen am Finanzplatz sagen jedoch, die Schweiz leiste sich eine teure Zusatzregulierung, die es gar nicht mehr brauche. Der Untergang der Credit Suisse liege in der Vergangenheit. Für eine verstorbene Person schliesse man auch keine Todesfallpolice mehr ab.

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