Montag, Oktober 7

Die SP will das Bankgeheimnis vollends abschaffen. Es geht um Hunderte Milliarden: Laut Ökonomen verstecken die Schweizer mehr Geld vor dem Fiskus als andere Nationen.

«Jenen, die das schweizerische Bankgeheimnis angreifen, kann ich allerdings voraussagen: An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen», rief Bundesrat Hans-Rudolf Merz 2008 in den Nationalratssaal. Wenig später war die Schweiz gegenüber dem Ausland eingeknickt.

Namhafte Stimmen sagten danach voraus, das Bankgeheimnis werde ebenso im Inland ein baldiges Ende erleben. «Die Schweiz darf auch für Schweizer kein Hort für unversteuertes Geld sein», erklärte der Banker Pierin Vincenz in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» im Jahr 2014.

Doch der Sturm um die Schwarzgelder hat sich rasch wieder gelegt. Ist das Bankgeheimnis eben doch unantastbar wie eine Klosterfrau, wie es der einstige Finanzminister Willi Ritschard formuliert hat? Der wirkliche Härtetest steht noch bevor: Im März hat die Berner SP-Nationalrätin Andrea Zryd eine parlamentarische Initiative eingereicht. Sie verlangt die Einführung des automatischen Informationsaustausches auch für die inländischen Finanzkonten. Demnächst kommt der Vorstoss in die zuständige Nationalratskommission.

«Einerseits geht es mir um die Steuergerechtigkeit», sagt Andrea Zryd. «Gegenüber all jenen, die ihre Vermögen korrekt deklarieren, ist es nicht fair, wenn manche ungestraft den Staat betrügen können.» Sie verstehe ihren Vorstoss keineswegs als «Reichen-Bashing», betont sie: «Wir wollen niemanden ins Gefängnis bringen. Deshalb könnte es sinnvoll sein, wenn parallel dazu eine temporäre Steueramnestie in Kraft tritt.» Der Informationsaustausch mit dem Ausland habe zudem gezeigt, dass der Schutz der Bankdaten weiterhin funktioniere.

Der Staat muss sparen

Der zweite Grund für die Initiative sei der grosse Spardruck. «Durch die Steuerhinterziehung gehen dem Bund, den Kantonen und Gemeinden Milliarden verloren, welche für wichtige Aufgaben wie die Bildung oder Infrastruktur fehlen.» Zryd beruft sich auf Schätzungen, wonach der Staat zusätzlich 5 bis 10 Milliarden Franken im Jahr einnehmen könnte.

Damit diese Rechnung aufgeht, müsste aber ein erheblicher Teil der Steuerzahler gewisse Vermögenswerte unterschlagen. Ist das realistisch? Prüfbare Daten gibt es keine – da diese Gelder ja eben versteckt sind. Eine Annäherung stammt indes vom Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart. Er analysierte mit drei weiteren Ökonomen die Vermögensentwicklung im Kanton Luzern, als dieser die Vermögenssteuern halbierte. In der Folge stiegen die versteuerten Vermögen deutlich an – unter anderem, weil mehr Gelder gegenüber dem Fiskus offengelegt wurden.

Hochgerechnet auf die ganze Schweiz beziffert Brülhart die Summe der nicht deklarierten Gelder auf 400 bis 500 Milliarden Franken – was knapp einem Fünftel der steuerbaren Vermögen in der Schweiz entspricht. Ähnlich hoch falle der Betrag aus, wenn man die Vermögen der Steuerstatistik mit denjenigen aus der Bankenstatistik abgleiche.

Auch der Mittelstand schummelt

Diese beträchtliche Summe erklärt der Lausanner Professor damit, dass sich die Steuerhinterziehung nicht nur auf die ganz Reichen beschränke. «In der Schweiz genügt es, ein Konto zu ‹vergessen›. Dagegen ist in anderen Ländern mehr Aufwand nötig ist, sei es durch aktiven Betrug oder komplexe Umgehungsstrukturen, die sich nur sehr Wohlhabende leisten können.»

Brülhart schätzt, dass die Offenlegung im Inland zu jährlichen Steuereinnahmen von 2,5 Milliarden Franken führen würde. Der Ökonom Enea Baselgia von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich hat in seiner Forschung ebenfalls Belege für beträchtliche nichtdeklarierte Gelder gefunden. Durch die Steueramnestie und den Informationsaustausch mit dem Ausland haben von 2010 bis 2020 156 000 Steuerpflichtige Vermögenswerte von 66,4 Milliarden Franken deklariert.

Vergleiche man die Schweizer Amnestie mit ähnlichen Programmen im Ausland, so falle auf, dass Steuerhinterziehung hierzulande stärker verbreitet sei, sagt Baselgia. «Die Gefahr, erwischt zu werden, ist bei uns ziemlich gering. Deshalb wirken die Bussen nur wenig abschreckend: Fliegt jemand trotzdem auf, so zahlt er in der Regel das Doppelte von dem, was er sonst eingespart hätte.»

Privatsphäre schützen

Der Zürcher SVP-Nationalrat Thomas Matter ist strikt dagegen, das Bankgeheimnis über Bord zu werfen. Solange kein Verdacht auf ein Delikt bestehe, habe der Staat nichts in der Privatsphäre der Bürger zu suchen. Er gibt sich zudem überzeugt: «Die Steuerhinterziehung von Bankguthaben existiert praktisch nicht mehr in der Schweiz. Das viel grössere Problem sehe ich, wenn schon, bei der Schwarzarbeit.»

Ohnehin habe man ja die Verrechnungssteuer eingeführt, um die Steuerehrlichkeit zu fördern, so Matter. Wer sein Konto nicht deklariert, verliert 35 Prozent auf dem Zinsertrag. «Konsequenterweise müsste man auch die Verrechnungssteuer abschaffen, wenn das Bankgeheimnis nicht mehr existiert. Das aber würde beim Fiskus zu tieferen Einnahmen führen.»

Wie gross ein solcher Ausfall wäre, sei schwierig zu schätzen, erklärt Marius Brülhart. Denn der Bund weise nicht aus, wie hoch der inländische Anteil auf diesen Erträgen sei. Enea Baselgia wiederum bezweifelt, dass die Verrechnungssteuer bei reichen Personen stark abschreckend wirke. Dazu müsse der Satz eher bei 50 bis 60 Prozent liegen. Denn durch das Einsparen der Vermögenssteuer komme es für Reiche immer noch günstiger, auf die Rückerstattung der Verrechnungssteuer zu verzichten. Zudem könne man die Steuer leicht umgehen, indem man etwa einen Fonds aus Luxemburg kaufe.

Im Parlament ist ein hartes Ringen um die Initiative von Andrea Zryd zu erwarten. Die Bernerin stellt bereits in Aussicht, sie könnte sich die Lancierung einer Volksinitiative vorstellen, wenn sie im Rat keine Mehrheit erhalte.

Ein Artikel aus der «»

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