Mittwoch, September 10

Kein anderer Strassenkünstler wird so bewundert wie der Brite, der seine Identität bis heute geheim halten kann. Mit seinem neusten Werk protestiert er gegen Übergriffe der Justiz.

Ein junger Mann liegt wehrlos auf der Strasse. Mit der rechten Hand rudert er vergebens in der Luft, in der linken hält er verzweifelt ein blutverschmiertes Schild hoch, das ihn als Demonstrant ausweist. Über ihm aber kniet massig und schwer ein Vertreter der Staatsgewalt – nicht etwa ein Soldat oder ein Polizist, sondern ein mit Perücke geschmückter Richter. Mit dem Holzhammer schlägt er für einmal nicht auf sein Pult, um einen Gerichtsbeschluss zu signalisieren. Vielmehr traktiert er damit das hilflose Opfer.

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Bei dieser Szene handelt es sich um ein Bild von Banksy. Der britische Strassenkünstler, der seine bürgerliche Identität bisher geheim halten konnte, ist wieder einmal in Aktion getreten. Anfang Woche schlich er sich bei Nacht und Nebel vor das Queen’s Building, ein Gebäude des Justizministeriums, um das beschriebene Sujet dort auf eine Wand zu sprayen.

Was ist die Botschaft?

Wie immer, wenn Banksy in Erscheinung tritt und leere Mauern mit seiner Phantasie bespielt, sorgt er auch jetzt wieder für Aufsehen. Wobei seine abenteuerlichen und gesetzeswidrigen Aktionen fast ebenso zu faszinieren scheinen wie die Werke selbst. Das gilt auch für die neuste Sprayerei. Der Künstler hat das Erstaunen der Öffentlichkeit dadurch geweckt, dass er sein Werk trotz erhöhten Sicherheitsvorkehrungen rund um das Justizministerium verwirklichen konnte. Aber freilich wird nun auch über die Bedeutung spekuliert.

Fest steht, dass Banksy als Street-Artist eine gut wiedererkennbare künstlerische Handschrift entwickelt hat. Das neue Bild ist typischerweise in Schwarz-Weiss-Kontrasten gehalten, wobei leere Flächen teilweise schiefergrau eingefärbt sind. So viel zur Stilistik. Aber was ist die Botschaft?

Street-Art an sich ist eine Form künstlerischen Engagements: Die Aktivisten realisieren ein Projekt der modernen Avantgarde und holen die Kunst aus dem Museum auf die Strasse. Ihr Schaffen ist dem Kunstmarkt weitgehend entzogen. Und weil sie sich der Öffentlichkeit zumeist nicht zu erkennen geben – immerhin gelten die Graffiti juristisch in der Regel als Sachbeschädigung –, setzten sie sich vom Künstler- und Geniekult ab.

Banksy allerdings ist längst selber eine Kultfigur mit mythischem Glamour – nicht zuletzt, weil er sich immer wieder als eine Art Kunst-Robin-Hood in Szene setzt und politisch klar Stellung bezieht für Minderheiten, für Schwache und Diskriminierte.

Das neue Werk drückt nun offensichtlich Protest gegen die Justiz aus. Die Mehrheit der Kommentatoren in den sozialen Netzwerken versteht es als direkte Reaktion auf das Verbot der propalästinensischen Gruppe Palestine Action und die Verhaftung Hunderter israelkritischer Demonstranten. Andere wiederum wollen darin Kritik an fehlender Gewaltenteilung oder an durch eine linke Regierung missbrauchten Gerichten sehen.

Social-Media-Star

Die Aufregung um den neusten Banksy dürfte bald abflauen. Beim Queen’s Building handle es sich um ein denkmalgeschütztes Gebäude, verlautete die zuständige Behörde. Das wirkte fast wie eine Entschuldigung dafür, dass man die ungesetzliche Sprayerei zuerst abdecken liess, um sie danach ganz von der Mauer wegzuputzen. Eigentlich müsste die Justiz nun wohl gegen diese künstlerische Sachbeschädigung vorgehen und den Künstler zur Verantwortung ziehen – er hätte seinen Namen dann preiszugeben. Allein, wie soll man seiner habhaft werden, solange er seine Identität geheim hält?

Ganz vernichten kann man Banksys Kunstwerk übrigens nicht. Denn längst hat der gefeierte Strassenkünstler auch die Kanäle des Internets für sich entdeckt. Schon am Montag präsentierte er sein letztes Werk unter der Überschrift «Royal Courts of Justice London» auf Instagram. Banksy hat 13,5 Millionen Follower.

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