Sonntag, Januar 12

Wann kommt der nächste Bond-Film ins Kino? Vielleicht nie.

Barbara Broccoli hat die Macht, James Bond zu töten. Tatsächlich hat sie ihn schon einmal sterben lassen. In «No Time To Die» opfert sich Bond, damit seine Frau und seine Tochter überleben.

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Nun entscheidet Broccoli erneut über das Schicksal von Bond. Nur diesmal ist der Gegner kein Bösewicht aus einem Drehbuch, sondern ein reales Unternehmen: Amazon. Der Online-Versandhändler von Jeff Bezos hat sich im Jahr 2022 für viel Geld einen Teil der Filmrechte an James Bond erkauft und möchte damit nun endlich Geld verdienen.

Doch Broccoli, 64 Jahre alt, blockiert offenbar sämtliche Arbeiten für einen neuen Film. Sie hat als Produzentin die kreative Kontrolle über Bond. Über ihre Partner bei Amazon soll sie gesagt haben: «Diese Leute sind verdammte Idioten.»

Den Streit publik gemacht hat das «Wall Street Journal» in einem ausführlichen Artikel im Dezember. Mehr als zwanzig Personen aus dem Umfeld beider Parteien berichten darin von gegenseitigen Antipathien und Anfeindungen. Die Betroffenen selbst schweigen.

Der Streit um Bond ist aber mehr als nur eine kreative Meinungsverschiedenheit. Er steht sinnbildlich für die beiden Welten, die in Hollywood aufeinandertreffen. Auf der einen Seite kämpft Barbara Broccoli als eine der letzten Verfechterinnen für das klassische Kino. Auf der anderen Seite steht Amazon, der Tech-Gigant, dem es vor allem darum geht, mit seinem Streamingdienst Prime Video eine möglichst gute Rendite zu erzielen.

«Star Wars» als Franchise-Vorbild

Drei Jahre ist es her, dass Amazon das traditionsreiche Hollywood-Studio Metro Goldwyn Mayer (MGM) für 8,5 Milliarden Dollar aufkaufte. Amazon kam damit an die Rechte von rund 4000 Filmen und zahlreichen Fernsehserien, darunter Klassiker wie «Vom Winde verweht» und die «Rocky»-Reihe. Für Prime Video war das die Möglichkeit, zu den gigantischen Mediatheken von Netflix und HBO aufzuschliessen. Es war Amazons Eintrittskarte für Hollywood.

Mit der Übernahme sicherte sich das Unternehmen auch die Vertriebsrechte an den James-Bond-Filmen. Doch Barbara Broccoli machte in den Verhandlungen klar: Die kreative Kontrolle bleibt bei ihr und ihrer Familie. Sie allein entscheidet über das Drehbuch, die Besetzung und ob ein neuer Film überhaupt realisiert wird. Das klang zunächst nach einem Kompromiss. Doch laut den Recherchen des «Wall Street Journal» begannen die Probleme fast direkt nach der Vertragsunterzeichnung. Denn Amazon hat grosse Pläne: Aus James Bond soll ein milliardenschweres Franchise werden, ähnlich wie Disney es mit «Star Wars» vorgemacht hat. Zur Diskussion stehen Serienformate, ein Moneypenny-Spin-off, auch die Idee einer weiblichen 007 geht um. Barbara Broccoli aber soll jeden Vorschlag kategorisch ablehnen – mit stets derselben Frage: «Haben Sie den Vertrag gelesen?»

Der Konflikt sei eskaliert, als eine Amazon-Mitarbeiterin es wagte, James Bond als «Content» zu bezeichnen. Für Broccoli, die Bond als kulturelles Erbe sieht, war das eine Provokation. Ein Unternehmen, dessen Kerngeschäft darin bestehe, alles von Toilettenpapier bis hin zum Staubsauger zu verkaufen, sei kein gutes Zuhause für Bond, soll sie gesagt haben. Es heisst, sie habe dem Deal nur zugestimmt, um die massive Auszahlung an die MGM-Eigentümer nicht zu blockieren.

«Bond ist unser Baby»

Barbara Broccoli bezeichnete James Bond einmal als «Leben, das mir geschenkt wurde». Sie war zwei Jahre alt, als mit «Dr. No» der erste Agentenfilm ins Kino kam. Während der Dreharbeiten zu «You Only Live Twice» in Japan fing sie sich eine Mandelentzündung ein und kurierte diese in Sean Connerys Suite aus. Bis sie sieben Jahre alt war, glaubte sie, James Bond existiere wirklich.

Tatsächlich ist Bond für Broccoli mehr als eine Filmfigur. Er ist ein Familienerbe.

Ihr Vater Albert Broccoli (der Legende nach stammt die Familie von italienischen Gemüsehändlern ab) sicherte sich in den 1960er Jahren die Filmrechte an den Bond-Romanen von Ian Fleming. Er machte daraus die erfolgreichste Kinoreihe der Geschichte – und seine Firma Eon Productions zu einem Familienunternehmen.

Barbara Broccoli war 22 Jahre alt, als sie als Regieassistentin bei der Produktion von «Octopussy» mithalf. Fortan arbeitete sie an jedem Bond-Film mit. Als ihr Vater im Jahr 1996 starb, übernahm sie die Produktionsleitung zusammen mit ihrem Stiefbruder Michael Wilson.

Seither micromanagt Barbara Broccoli jeden Schritt von Bond. Von den Dialogen über das Casting bis zur Stuntszene und den Filmplakaten: Alles geht durch ihre Hände. Sie schaut, dass grundlegende Erzählregeln eingehalten werden. Bond schiesst selten zuerst.

In Hollywood hat sie den Ruf einer strengen Geschäftsfrau. Sie verbiete ihren Mitarbeitern, heikle Themen über E-Mail zu besprechen. «Barbara jagt den Leuten eine Heidenangst ein», sagte ihr Stiefbruder einmal über sie. Broccoli sass daneben und lachte, als sie das hörte. Sie widersprach ihm nicht. Sie selbst sagte es so: «Wir sind sehr beschützend, was Bond angeht. Bond ist unser Baby.»

Intuition versus Algorithmen

Diese Kompromisslosigkeit spielt sie nun gegen Amazon aus. Dort stösst Broccolis Arbeitsweise jedoch auf wenig Verständnis. Im neuen Hollywood haben Tech-Firmen übernommen, die ihre Entscheidungen auf Basis von Daten und Algorithmen treffen. Diese bevorzugen bekannte Schauspieler, deren Popularität Streaming-Zahlen und Sichtbarkeit garantiert.

Broccolis Arbeitsweise mutet in dieser Welt geradezu anachronistisch an. Bond ist nach ihrer Ansicht eine Figur, die durch Bauchgefühl und eine gesunde Portion Risiko zur Legende geworden sei. Dem «Spiegel» sagte sie im Jahr 2008: «Im Filmgeschäft muss jemand Entscheidungen fällen. Da kann man nichts abstimmen oder Marktforschung machen. Ich bin sehr von meiner Intuition geleitet. Und manche Dinge fühlen sich eben einfach richtig an.»

Dass ihre Philosophie funktionieren kann, hat sie vor zwanzig Jahren bewiesen, als sie den damals weitgehend unbekannten – und blonden! – Daniel Craig zum Bond machte. Für ihre Entscheidung wurde Broccoli zunächst kritisiert, heute wird sie dafür gefeiert.

Ob sie bei der Suche nach dem nächsten Bond erneut ein solch sicheres Gespür beweist, bleibt abzuwarten. Sie hat bereits gesagt, dass für sie nur zwei Dinge zählten: Bond müsse britisch sein und ein Mann. Seine Hautfarbe oder seine sexuelle Identität spielten keine Rolle.

In einer Unterhaltungsindustrie, die immer schnelllebiger wird, ist Broccoli die Antiheldin. Während Streaming-Unternehmen ihre Franchises in immer mehr Spin-offs zerlegen, hält sie James Bond zusammen. Doch ihr Widerstand hat einen Preis. Viereinhalb Jahre nach dem letzten Film gibt es noch immer kein Drehbuch, keine Geschichte und keinen neuen Bond. In einer Zeit, in der ständig neue Inhalte auf den Markt kommen, ist das ein riskantes Spiel.

Für Barbara Broccoli gibt es keine Alternative. Ihr Vater soll sich kurz vor seinem Tod gewünscht haben, dass die Filme in der Familie bleiben. Das verriet Broccolis Stiefbruder Wilson vor einigen Jahren: Er habe gesagt: «Ihr könnt es vermasseln, aber sorgt dafür, dass es niemand anders tut.»

Barbara Broccoli nimmt ihren Vater beim Wort. Sie hat James Bond schon einmal geopfert. Jetzt kämpft sie dafür, ihn zu retten.

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