Mittwoch, Oktober 9


Interview

Die italienische Design-Marke Fornasetti ist bekannt für ihre surrealen Welten. Piero Fornasetti habe das Leben geliebt, sagt Barnaba Fornasetti, der seit 36 Jahren das Erbe seines Vaters weiterführt.

Sie leiten das Atelier Fornasetti seit 1988. Wie beschreiben Sie den heutigen Charakter der Marke in drei Stichworten?

Phantasievoll, künstlerisch, nützlich.

Gibt es noch weitere Werte, die Ihnen wichtig sind?

Ich bin sensibilisiert auf ökologische Themen, das spiegelt sich natürlich auch im Unternehmen wider. In meinen Augen ist die Herstellung von Gegenständen, die lange halten, ungemein wichtig für die Umwelt.

Ihr Vater Piero Fornasetti gründete das Unternehmen in den 1940er Jahren. Wie gross ist der Druck, dieses Familienerbe fortzuführen?

Es ist für mich ganz natürlich, das fortzuführen, was mein Vater aufgebaut hat. Verschiedene Leute – unter ihnen auch Philippe Starck – haben gesagt, dass es keinen genauen Punkt gebe, an dem die Kreativität meines Vaters endete und meine begann.

Stimmen Sie dem zu?

Es gibt Entwürfe, Dekorationen, Ideen und kulturelle Initiativen, die von mir und dem Team konzipiert wurden. Und dann gibt es das, was ich gerne «Reinventions» nenne: Neuinterpretationen von alten Formen aus dem Archiv. Dennoch glaube ich, dass Fornasetti ein Kontinuum von Gedanken, Menschen, Ideen und Ereignissen ist, das sich nicht trennen lässt. Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen miteinander, wobei sie als Linse dienen, durch die man das jeweils andere betrachtet.

Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater?

Er war ein rastloser Mann, der das Leben liebte, aber auch streng und methodisch vorging. Anfang der 1980er Jahre rief er mich an und bat mich, wieder nach Hause zu kommen, um mit ihm zu arbeiten. Damals begannen wir, eine konstruktive Beziehung aufzubauen. Davor war ich viele Jahre weg gewesen, unterdessen waren wir zwei Erwachsene. Es gab keinen Generationenkonflikt oder -widerspruch mehr. Alles wurde konstruktiv, heiter und schön. Das war nicht immer so, aber als autoritärer Vater hat er meinen Charakter gestärkt und mich gelehrt, Konformismus und Mittelmässigkeit zu widerstehen und diese zu bekämpfen.

Auf mehreren Objekten ist das Gesicht der Opernsängerin Lina Cavalieri abgebildet – warum wurde sie für Ihren Vater zur Muse?

Die grafische und formale Anziehungskraft ihres Gesichts war die Initialzündung für seine grenzenlose Kreativität und seine Treue zu ihr: Ihre goldenen Proportionen und ihr rätselhafter Ausdruck inspirierten ihn im Laufe der Jahre zu beinahe 400 Variationen. Mein Vater hat sie nie kennengelernt, aber er hielt ihr Gesicht für ein wahres Urbild, für die Quintessenz der klassischen Schönheit. Und für so rätselhaft wie die Mona Lisa. Für ihn war jedes einzelne Bild eine Quelle der Inspiration, ein Ausgangspunkt, der zu unendlichen Variationen führen kann. Das ist das Prinzip, auf dem die meisten seiner Arbeiten beruhen.

Sollen Ihre Objekte und Möbelstücke Emotionen und Erinnerungen hervorrufen?

Die Ästhetik von Fornasetti ist in der Lage, Bilder des kollektiven Unterbewusstseins zu wecken, die seit je in unseren Gehirnen gespeichert sind. Ein Fornasetti-Möbelstück ist niemals ein einfaches, passives Objekt: Es kann zu denjenigen sprechen, die ihre Fähigkeit zu sehen noch nicht verloren haben.

Ihr Lieblingsstück der Marke?

Es gibt so viele, dass ich jeden Tag ein anderes Objekt verehre – manchmal sogar mehrere. Normalerweise verliebe ich mich in jedes neue Stück, an dem wir gerade arbeiten, vor allem in der Anfangsphase. Im Moment bevorzuge ich den Sessel «Vanity Fair», den ich in Zusammenarbeit mit Poltrona Frau entworfen habe, und ich kann es kaum erwarten, ihn in anderen Varianten weiterzuentwickeln.

Erzählen Sie uns mehr über diese Kollaboration.

Als ich das erste Mal auf dem «Vanity Fair» sass, fühlte ich mich wie auf einer Wolke und begann zu träumen. Dann traf ich wie vom Schicksal gelenkt auf Verantwortliche von Poltrona Frau und war fasziniert von diesem Unternehmen, das es schafft, handwerkliches Können mit modernster Technologie zu verbinden. Wie jedes Projekt, das ich auswähle und an das ich glaube, sehe ich in der Zusammenarbeit mit Poltrona Frau ein neues Experiment, das die Verbreitung des Wertes ermöglicht, den ich immer geschätzt habe: die Einladung zur Phantasie durch die Sprache von Fornasetti, unter Verwendung von Ideen, die in unserem kollektiven Gedächtnis verankert sind und die wir auf Alltagsgegenstände anwenden.

Was macht den «Vanity Fair» zu einer Ikone?

Er fängt die Epoche ein, die ihn prägt, transportiert sie aber in die Zukunft, ohne an Aktualität zu verlieren.

Sie haben ihm mit Sonne und Wolken einen Fornasetti-Touch verliehen.

Schon als kleines Kind wurde mir immer gesagt, dass ich den Kopf in den Wolken hätte. Also habe ich die Wolken von einem alten Druck in meinem Schlafzimmer nachgebildet und sie als Tapete und Dekoration auf verschiedenen Gegenständen angewendet. Die Sonne mit ihrem Gesicht und den stilisierten Strahlen hingegen ist eines der Themen, die mein Vater wie besessen interpretierte.

Sind Sie ein Träumer?

Das Motto von Fornasetti lautet «Sei derjenige, der träumt»: Unsere gesamte Kunst soll die Vorstellungskraft nähren und das kreative Denken anregen.

Sie sehen Ihre Arbeit als Kunst?

Als dekorative Kunst. Auch Dekoration kann eine Botschaft vermitteln, ohne mit einem kommerziellen Gegenstand verbunden zu sein. Das macht sie so einzigartig und so wichtig wie die Musik, die auch eine meiner grössten Leidenschaften ist. Versuchen Sie sich eine Welt ohne sie vorzustellen, es wäre sehr traurig. Aber Kunst kann auch Botschaften senden, die unangenehm sind. Wohingegen in der dekorativen Kunst Schönheit notwendig ist.

Beschreiben Sie uns Ihren Arbeitsplatz.

Mein Arbeitsplatz befindet sich in dem Haus, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Die Casa Fornasetti ist Ausdruck der Fornasetti-Welt: ihre Bildsprache, ihre Lebendigkeit und ihre Geschichte. Heute ist es ein Zuhause, ein Büro, ein Archiv und ein Ort, an dem Kreativität und Ideen frei zirkulieren.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Feste Arbeitszeiten kenne ich keine. Da ich ja in der Firma wohne, bin ich morgens schon im Studio mit den Mitarbeitenden. Das Atelier ist in der Nachbarschaft, und natürlich gehe ich oft dorthin und auch in den Laden. Achtzig Prozent meiner Zeit verbringe ich an diesen drei Orten: Studio, Atelier und Shop.

Sind Sie ein Ordnungsliebhaber oder ein Chaot?

Ich habe einen rebellischen und leicht anarchischen Geist, aber mein Vater hat mir auch Genauigkeit beigebracht, deshalb nutze ich das Chaos, um kreativ zu sein.

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