Der Bund hat in der Nordwestschweiz einen Pilotversuch im Baugewerbe durchgeführt. Fazit: Verkürzte Anmeldefristen für ausländische Firmen schwächen die Lohndumping-Kontrollen.
Urs Furrer versteht sich nicht als Verbündeter der Gewerkschaften, wenn es um die Verhandlungen mit der EU geht. Dies stellte der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands kürzlich im Interview mit der NZZ klar. Christoph Buser dagegen hat offenbar weniger Berührungsängste gegenüber den Gewerkschaften. Der Freisinnige ist als Direktor der Wirtschaftskammer Baselland für das regionale Gewerbe zuständig. In dieser Funktion hat er im November zusammen mit der Unia-Chefin Vania Alleva einen Brief an den Bundesrat geschrieben. Und am vergangenen Donnerstag liess er sich in der linken «Wochenzeitung» zitieren.
Im Gegensatz zu Furrer fürchtet Buser um den Lohnschutz, wenn die Ergebnisse der Verhandlungen mit der EU so umgesetzt werden, wie sie der Bundesrat im Dezember vorgestellt hat. Dabei bringt der Wirtschaftskammer-Chef einen Punkt ins Spiel, der in Bundesbern aus dem Fokus geraten ist: die Anmeldefrist für ausländische Unternehmen in Risikobranchen, beispielsweise auf dem Bau.
Um Lohndumping zu verhindern, müssen sich ausländische Firmen in der Schweiz anmelden. Bislang musste dies acht Tage (inklusive Wochenende) vor Arbeitsbeginn erfolgen. In Zukunft soll die Frist nur noch vier Werktage betragen.
Doch in der Region Basel gibt es Zweifel, ob das ausreicht. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat vergangenen Sommer in Basel-Stadt und Baselland ein Pilotprojekt durchgeführt: Während acht Wochen simulierten die Arbeitsmarktkontrolleure für das Baugewerbe eine viertägige Frist. Michael von Felten ist Geschäftsführer der Arbeitsmarktkontrolle, sein Fazit ist vernichtend: «70 Prozent der Kontrollen hätten wir mit der verkürzten Anmeldefrist nicht durchführen können.»
Firmen kommen und verschwinden
Ausländische Baufirmen melden sich in einem digitalen System des Staatssekretariats für Migration (SEM) an. Die Daten fliessen dann zum Kanton. Dieser nimmt eine Triage vor: Er entscheidet, ob die Firma Tätigkeiten ausführt, die einem allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag unterstehen. Nur dann dürfen die von den paritätischen Kommissionen beauftragten Arbeitsmarktkontrolleure Kontrollen durchführen.
Problem eins: Die Weiterleitung der Daten an die Arbeitsmarktkontrolle dauert häufig schon zwei und mehr Tage. Dann bleibt nur ein Tag für die Kontrolle. Problem zwei: Häufig kommen Firmen aus Deutschland oder Frankreich nur für zwei Tage in die Schweiz. «Taucht der Kontrolleur erst nach vier oder fünf Tagen auf, ist die Firma schon weg», sagt von Felten. Die Arbeitsmarktkontrolleure aus der Region haben dem Seco Massnahmen vorgeschlagen, um die Viertagefrist realistischer zu gestalten:
- Digitalisierung: Es braucht ein einfacheres Datenverarbeitungssystem, welches die Anmeldungen schneller weiterleitet.
- Die Triage muss weg: Michael von Felten hätte gerne direkten Zugang zum Datensystem, ohne dass der Kanton sich dazwischenschaltet und eine Triage vornimmt. Häufig sei vom Schreibtisch aus nicht erkennbar, ob ein Metallbauer wirklich Metallarbeiten ausführe oder Wartungsarbeiten an der Steuerung einer Anlage vornehme, dazu müsse man auf der Baustelle vorbeischauen. Das zu erkennen, ist wichtig: Der Metallbauer untersteht einem allgemeinverbindlichen GAV, der Softwareingenieur nicht. Diese Forderung dürfte aus Datenschutzgründen noch zu reden geben.
- Sanktionen: Alle Firmen sollen weiterhin eine Kaution bezahlen müssen, die im Fall eines Verstosses eingezogen wird. Gemäss Bundesrat soll die Kautionspflicht neu nur für Firmen gelten, die schon einmal gebüsst wurden. Darüber hinaus verlangt die Arbeitsmarktkontrolle auch drastischere Massnahmen wie einen Stopp der Arbeiten in krassen Fällen.
Firmen mit krimineller Energie
Es ist kein Zufall, dass die Forderungen aus der Nordwestschweiz kommen. In der Grenzregion ist die ausländische Konkurrenz allgegenwärtig. Im vergangenen Jahr wurden bei rund 28 Prozent der Kontrollen Verstösse festgestellt. Laut dem Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser funktioniert der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr heute gut, weil faire Rahmenbedingungen sichergestellt werden. Die meisten ausländischen Anbieter hielten sich an die Regeln, um weiterhin Aufträge in der Schweiz ausführen zu dürfen.
Problematisch seien Firmen mit krimineller Energie, die auftauchten, betrögen und wieder verschwänden. Im Jahr 2021 hat ein Fall in Pratteln für Schlagzeilen gesorgt: Bauarbeitern aus Polen, Lettland und Litauen soll gemäss Arbeitskontrolle für das Baugewerbe nur ein Drittel des geschuldeten Lohns ausbezahlt worden sein.
Buser möchte nun den Druck auf den Bund erhöhen. Er hatte erwartet, dass die Ergebnisse des Pilotprojekts in die Verhandlungen mit der EU einfliessen. Doch die Resultate sind immer noch nicht publiziert. Eine Sprecherin des Seco erklärt, der Bericht werde zuerst verwaltungsintern besprochen. Das Pilotprojekt habe einen «sehr experimentellen Charakter» und sei «lokal eingegrenzt». Die Erkenntnisse seien nicht unbedingt auf andere Kantone oder Branchen übertragbar. Sie räumt aber ein, dass die Optimierung des Meldeverfahrens wesentlich sei. Diese ist bereits im Gang.
Die Erfahrungen aus der Nordwestschweiz könnten die Diskussion über den Lohnschutz weiter anheizen. Christoph Buser setzt auch auf Urs Furrer: «Ich hoffe, dass der Schweizerische Gewerbeverband uns unterstützt.» Es gehe darum, dass die KMU im Binnenmarkt bestehen könnten. Buser verweist auf die Plattenleger in seiner Region. Diese haben sich mit den Gewerkschaften verkracht und unterstehen seit zwei Jahren keinem GAV mehr. Als Folge fielen die Arbeitsmarktkontrollen weg. Das habe umgehend dazu geführt, dass dubiose Anbieter aus dem Ausland mit Tiefstpreisen auf den Markt drängten, sagt Buser. «Ohne griffige Kontrollen geht es nicht.»
Beim Schweizerischen Gewerbeverband stosse er dabei durchaus auf offene Ohren, sagt der Direktor Urs Furrer. Auch er fordert schnellere Prozesse bei der Anmeldung: «Christoph Buser und ich sind da gar nicht so weit auseinander.»
Während das Baselbieter Gewerbe sich punkto Lohnschutz mit der Unia zusammentut, befinden sich die nationalen Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften öffentlich noch im Schlagabtausch und verhandeln hinter den Kulissen weiter. Für den Erfolg der Abkommen mit der EU im Parlament und an der Urne wird es für den Bundesrat entscheidend sein, die Unterstützung des einen oder anderen Sozialpartners zu gewinnen.