Montag, September 30

Ein Bericht über Missstände bei der Basler Kantonspolizei sorgte im Sommer für Schockwellen. Inzwischen wurde ein grosser Teil der Polizeileitung in die Wüste geschickt.

Auf so einen Sommer hat sich Basel schon lange nicht mehr freuen können: Mitte Mai ist der European Song Contest (ESC) zu Gast, mit Zehntausenden von Besucherinnen und Besuchern aus halb Europa. Die Innenstadt wird während Tagen in ein Festareal verwandelt. Kaum ist die Show vorbei, bereitet man sich auf die Art Basel vor, die sich mit ihren zahlreichen Ablegern jedes Jahr zu einem einzigen Kunst- und Party-Happening verdichtet.

Und im Juli ist Basel Host der Fussball-EM der Frauen inklusive Eröffnungs- und Finalspiel – ein sportlicher Höhepunkt, wie ihn die Stadt seit der EM 2008 nicht mehr erlebt hat. Solche Events, bei denen Basel im Mittelpunkt steht, liebt die Stadt wie vielleicht keine andere in der Schweiz. Doch seit dem Abstieg des FC Basel und dem Aus der Uhren- und Schmuckmesse (Baselworld) sind diese seltener geworden. Die Vorfreude auf den ESC ist deshalb besonders gross.

Ausser bei der Polizei. Noch bevor der Anlass definitiv vergeben wurde, verfügte die Polizeileitung kurzerhand eine Feriensperre, die teilweise mitten in die Sommerferien fällt. Die Einschränkung entspricht einem Muster, das in vielen städtischen Polizeikorps schon lange für Frust sorgt: Alle feiern – nur die Polizistinnen und Polizisten müssen für den Spass den Kopf hinhalten.

«Kultur der Angst»

In Basel aber trifft die Sonderbelastung ein ohnehin geschwächtes Korps. Die Polizei befindet sich seit Monaten – um nicht zu sagen: seit Jahren – im Unruhezustand. Zurzeit sorgt ein Bericht für Turbulenzen, der im Sommer angeblich krasse Missstände aufgelistet hatte. In der Basler Kantonspolizei herrsche eine Kultur der Angst, der Frauenfeindlichkeit und des Rassismus, heisst es darin.

Der Rapport zeichnete das Bild eines Korps, das kaum Vertrauen in seine Führung hat, unter mangelnder Anerkennung leidet und in welchem intransparente Parallelstrukturen zu Ausgrenzung und Vetternwirtschaft bei der Besetzung von Kaderstellen geführt hat.

Dem mittlerweile freigestellten Kommandanten sei «ein grosser Teil der Belegschaft entglitten». Die Kritik richtete sich gleichzeitig an die gesamte achtköpfige Polizeileitung, die als Team de facto kaum existiert habe. Auch zu sexuellen Übergriffen soll es gekommen sein, und Rassismus soll den Polizeialltag teilweise mitgeprägt haben.

Weil die meisten der geschilderten Vorkommnisse unter der Decke geblieben seien, hätten sie weder straf- noch personalrechtliche Konsequenzen gehabt. Die Publikation des vom Basler Staatsrechtler Markus Schefer und von der deutschen Polizeiexpertin Claudia Puglisi verfassten Berichts sorgte im Juni für regelrechte Schockwellen.

Bericht sei «nichts wert»

Die Basler Polizeidirektorin Stephanie Eymann (Liberal-Demokratische Partei, LDP) hatte im Juni auf den Bericht äusserst entschlossen reagiert. Kaum lag er auf dem Tisch, stellte sie den Polizeikommandanten frei. Pikant ist dies nicht zuletzt deshalb, weil dieser den Bericht selbst in Auftrag gegeben hatte.

Eymann engagierte zudem den früheren Luftwaffenchef Aldo Schellenberg als Krisenmanager. Und wenige Tage, nachdem der Bericht öffentlich geworden war, schickte sie praktisch die gesamte Polizeileitung in die Wüste. Im August hat Eymann den ehemaligen Kommandanten der Kantonspolizei Zürich, Thomas Würgler, als Polizeikommandanten ad interim eingesetzt.

Inzwischen aber nimmt die Kritik am Bericht sowie am Krisenmanagement zu. Die Linke versuchte die Geschichte umgehend politisch zu nutzen, um einen Angriff auf die forsche Polizeidirektorin Eymann zu starten. Mit der Forderung nach einer PUK scheiterte sie im Kantonsparlament zwar, doch damit ist die Sache noch nicht gegessen. Kritik kommt auch aus anderer Richtung.

In einem Interview in der «BZ Basel» erklärte der Jurist und frühere Kripo-Chef Beat Voser umwunden, für ihn sei der Bericht Schefer «nichts wert». Gegenüber der NZZ konkretisiert Voser, es fehlten darin jegliche Hinweise auf Anzahl, Qualität und Signifikanz der getätigten Aussagen. So entstehe ein einseitig negatives, jedoch kaum aussagekräftiges Bild. Auch Parlamentarier bemängelten dies.

Es wird wohl teuer

Tatsächlich lässt der Bericht Schefer viele Fragen offen. So habe sich zwar über ein Drittel des Polizeikorps freiwillig an der Studie beteiligt. Doch die Aussagen wurden nicht nur anonymisiert, sondern auch die Aufzeichnungen dazu allesamt vernichtet. Im Bericht heisst es, die Gespräche seien «nur sinngemäss und zusammengefasst protokolliert» worden. Damit sollte sichergestellt werden, dass sich die Befragten offen äusserten.

Gleichzeitig habe dieses Studiendesign aber negative Äusserungen begünstigt und einseitig in den Vordergrund gerückt, sagt Voser. Das Papier lasse auch offen, gegen welche Hierarchiestufen und welche Personen sich die teilweise happigen Vorwürfe richteten, sagt Voser. So entsteht bei der Lektüre der Eindruck einer unsystematischen Zusammenstellung von Vorkommnissen und Vorwürfen aller Art.

Bezeichnenderweise konnte dem Vernehmen nach trotz dem gross angekündigten Köpferollen noch gegenüber keinem der geschassten Polizeikader die Kündigung ausgesprochen werden. Personen, die mit dem Arbeits- und dem Personalrecht vertraut sind, halten es sogar für praktisch ausgeschlossen, dass auf einer derart dünnen Basis rasche Entlassungen überhaupt möglich sind.

Einige der Beteiligten sind inzwischen krankgeschrieben, was die Sache zusätzlich verkompliziert. Weil die Abgänge somit zur Verhandlungssache werden, entwickelt sich das unzimperliche Vorgehen von Eymann voraussichtlich zur teuren Angelegenheit. Das Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement erklärt dazu nur, zu laufenden Verfahren könnten keine weiteren Auskünfte erteilt werden.

Nur ein wahltaktisches Manöver?

Gleichzeitig wird das Problem damit kaum zu lösen sein. Das weiss auch Eymann, die die personellen Massnahmen selbst als ersten Schritt bezeichnet hatte. Viele Polizistinnen und Polizisten seien zwar froh, dass Regierungsrätin Eymann durchgegriffen habe, erklärt Pascal Eisner, der Präsident des Polizeibeamten-Verbands Basel-Stadt (PVPB).

Die Stimmung habe sich seit der Publikation des Schefer-Berichts an der Basis aber erst wenig geändert: «Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die Massnahmen zur Verbesserung der Betriebskultur an der Basis spürbar werden», sagt Eisner. Das Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel erklärt dazu, es gebe zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Informationen, «die wir mit den Medien teilen können».

Voser ist dagegen der Ansicht, dass es sich bei der Absetzung der Polizeileitung um ein rein politisches Manöver gehandelt habe. Eymann habe damit ihre Wiederwahl bei den Gesamterneuerungswahlen im Oktober sichern wollen.

Zwar gilt Eymann als populär, doch Zögerlichkeit hätte ihr tatsächlich gefährlich werden können. Eymanns Vorgänger Baschi Dürr (FDP) wurde vor vier Jahren sang- und klanglos abgewählt, obwohl ihm keine grösseren Verfehlungen vorgeworfen werden konnten. Und auch Dürrs Vorgänger Hanspeter Gass schaffte seine Wiederwahl erst im zweiten Wahlgang und nachdem sich seine Herausforderer zurückgezogen hatten.

Polizeidirektorinnen und -direktoren stehen bei den Basler Wählerinnen und Wählern überdurchschnittlich stark in der Kritik. Auch die letzten vier Kommandanten mussten mehr oder weniger unfreiwillig gehen – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Diese jahrelange Unruhe deutet möglicherweise auf eine tieferliegende Ursache für die Krise hin: ein verbreitetes Misstrauen gegenüber der Polizei, die mit der Zunahme städtischer Konflikte immer stärker exponiert ist.

Notorische Überlastung und Überstunden

Auch diesen Aspekt bringt der Bericht Schefer ans Tageslicht. Für Voser ist erstaunlich, dass dies kaum thematisiert wird, obwohl sich die Befragten gegenüber Schefer auch dazu sehr deutlich geäussert hatten. Durchwegs hätten die Befragten mangelnde Wertschätzung geltend gemacht, heisst es im Bericht. Die Gründe dafür umfassten unter anderem «ein Gefühl der Ablehnung vonseiten der Öffentlichkeit, der institutionalisierten Politik und anderer Verwaltungseinheiten».

Auch die notorische Überlastung mit einer Unzahl von Nacht- und Wochenendeinsätzen, der Personalmangel und tiefe Einstiegslöhne tragen erheblich zur Unzufriedenheit bei. Derzeit besteht beispielsweise ein Unterbestand von 100 Personen.

Beat Voser will die im Bericht Schefer festgehaltenen Missstände nicht pauschal in Abrede stellen. Doch er vermutet, dass sich ein vergleichbares Bild bei einer ähnlichen Befragung auch in anderen Polizeikorps ergäbe. Es sei richtig, wenn im Polizeikorps nach Gründen für Unzufriedenheit geforscht werde, sagt er: «Bloss sollten unter Druck und ohne weitere Abklärungen nicht einseitige Entscheidungen getroffen werden.»

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