Sonntag, November 24

Die AfD hat das Bauhaus als Irrweg der Moderne bezeichnet, der eine «menschenfeindliche» Architektur hervorgebracht habe. Barbara Steiner, Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, hält dagegen.

Frau Steiner, bei Ihnen ist gerade einiges los, oder?

Es rufen sehr viele Medien an. Auch die «Times» aus London hat sich gemeldet.

Der Grund für die Aufregung ist ein Antrag der Landtagsfraktion der AfD aus Ihrem Bundesland Sachsen-Anhalt, in dem es um Ihr Fachgebiet geht: das Bauhaus. Die Partei bezeichnet es als «Irrweg der Moderne».

Ja, das Ganze wäre komisch, wenn es nicht so tragisch wäre. Es handelt sich um reinstes Moderne-Bashing. Das Bauhaus wird von der AfD in einer völlig undifferenzierten Weise für alle realen und imaginierten Irrwege im modernen Bauen verantwortlich gemacht.

Die Rede ist von «menschenfeindlicher» Architektur und globalem «Einheitsbrei». Welche Motivation vermuten Sie hinter dem Papier?

Ich habe leider den Eindruck gewonnen, es gehe der AfD nicht um eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Erbe der Moderne, sondern um den Versuch, die Moderne pauschal zu diskreditieren und eine alternative kulturelle Agenda durchzusetzen. Das scheint das eigentliche Ziel. Haben Sie das mit dem Caspar-David-Friedrich-Preis für deutsche Malerei mitbekommen?

Nein.

Das ist ein Vorschlag der Partei in Sachsen-Anhalt, die sich sorgt, deutsche Malerei würde aussterben. Die AfD will die Debatte im Sinne eines völkischen Kulturerbes drehen. Das ist nicht neu, sondern ein Ansatz aus der Mottenkiste. Es geht darum, die kulturelle Welt von Einflüssen zu bereinigen, die man als nicht deutsch empfindet. Auch wenn das im Falle von Caspar David Friedrich mit einem Missverständnis verbunden ist. Aber das ist ein anderes Thema. Den Topos der Moderne als Zerstörerin der Tradition und der menschlichen Verortungen kennen wir seit dem 19. Jahrhundert.

Welches Missverständnis meinen Sie? Caspar David Friedrich war ein glühender deutscher Patriot, der die napoleonische Fremdherrschaft seiner Zeit verabscheute.

Richtig ist, dass zu Friedrichs Zeiten das Thema Nation Fahrt aufnahm. Nach der Zerstörung durch die Napoleonischen Kriege kam es zu einer Neuordnung Europas. Jetzt sprechen wir jedoch von einer Instrumentalisierung letztlich auch eines emanzipatorischen Nationendiskurses und einer Verschiebung hin zu Abschottung und Ausgrenzung. Der Partei geht es nicht um den Maler, sondern die Dinge werden absichtsvoll aus ihrem Kontext herausgebrochen.

Interessanterweise beruft sich die AfD in ihrem aktuellen Antrag auf Sie. Darin steht, Sie hätten selbst für Kritik und eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Bauhaus geworben.

Das stimmt. Die AfD bezieht sich auf eine Sitzung des Kulturausschusses des Landtags. Da habe ich unsere Pläne für das 100-Jahr-Jubiläum des Bauhauses in Dessau im kommenden Jahr vorgestellt. Zwei Vertreter der AfD waren dabei. Sie wussten also, dass wir keine «einseitige Glorifizierung» im Sinn haben – und trotzdem wird jetzt gewarnt. Mein damaliges Gesprächsangebot ist wohl nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Wir stehen nach wie vor für einen Diskurs, der die historische Bedeutung des Bauhauses laufend auf den Prüfstand stellt und, wenn nötig, korrigiert. Nehmen Sie die Ausstellung der Kollegen und Kolleginnen in Weimar zum Thema «Bauhaus und Nationalsozialismus» in diesem Sommer. Das einseitige Bild des Bauhauses als Opfer des Nationalsozialismus wurde dort korrigiert.

Es gab Vertreter des Bauhauses, die vor den Nazis geflohen sind oder in Konzentrationslagern landeten. Aber es gab auch welche, die sich der Diktatur angedient haben.

Es gab 188, die Mitglieder der NSDAP waren, 15 in der SA und 14 in der SS, also deutlich mehr, als man lange dachte. Aber davon spricht die AfD nicht. Man hat Hannes Meyer herausgepickt (der Schweizer Architekt und bekennende Kommunist leitete das Bauhaus Dessau von 1928 bis 1930, Anm. d. Red.).

Den Antrag der AfD hat deren sachsen-anhaltischer Fraktionsvorsitzender Oliver Kirchner unterzeichnet. Würden Sie mit ihm ein Streitgespräch führen?

Nein. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch eine Diskussion diese Perspektive der AfD verändert, halte ich für sehr gering. Das zeigt sich mir jetzt im Nachgang des Kulturausschusses.

Glauben Sie, dass die AfD mit ihrem, wie Sie sagen, Moderne-Bashing einen Nerv trifft?

Ich denke, dass die Zustimmung geringer ist, als die Partei hofft. Viele Menschen haben heute eine grosse Affinität zum Bauhaus. Bei manchen kann man eine regelrechte Euphorie beobachten – die sich auf wenige, bestimmte Merkmale bezieht. Hier wollen wir den Blick auf das Erbe des Bauhauses ausweiten, auf die Themen, die weniger Beachtung finden und auch überraschen können. Wir scheuen den kritischen Blick nicht. Beispielsweise gehen wir den Verflechtungen des Bauhauses mit der Industrialisierung nach. So kann und muss man etwa auch Umweltzerstörungen im Kontext der Moderne diskutieren.

Der bekannte AfD-Politiker Maximilian Krah hat seine Parteifreunde aus Sachsen-Anhalt für ihr Papier gelobt und erklärt die «Hässlichkeit deutscher Nachkriegs-Innenstädte» mit der «totalen Dominanz des Bauhaus-Stils». Ist an dieser Behauptung etwas dran?

Das Bauhaus hat selbst keinen Stil hervorgebracht. Das Etikett des sogenannten Bauhaus-Stils ist ein Rezeptionsphänomen, das sich über mehrere Jahrzehnte gebildet hat, indem bestimmte Aspekte als «typisch Bauhaus» bezeichnet wurden, während andere aus dem öffentlichen Blickfeld verschwunden sind. Zu diesen Fehlstellen leistet unsere Stiftung in der Forschung und Vermittlung fortlaufend Aufklärungsarbeit. Und ja, natürlich gab es nach dem Zweiten Weltkrieg Fehlentwicklungen beim Versuch, schnell für sehr viele Menschen Wohnraum zu schaffen. Man sollte nicht vergessen, dass es in den 1920er Jahren um einen sozioökonomischen Anspruch ging, qualitätvollen, aber auch bezahlbaren Wohnraum für so viele Menschen wie möglich zu schaffen.

Wie würden Sie das Bauhaus der 1920 Jahre charakterisieren?

Es war eingebettet in sehr vielfältige sozialreformerische Bewegungen. Menschenfeindlich? Im Gegenteil. Ich will hier auch nochmals auf die hohe ästhetische Qualität verweisen. Besuchen Sie in Dessau zum Beispiel einmal das Kornhaus oder das Bauhausgebäude. Schauen Sie sich die Räume, die Farben, Licht-, Schattenbildungen, Materialien und Oberflächen an. Ich denke, dass deshalb so viele Menschen heute noch von diesen Gebäuden fasziniert sind und sich gerne in ihnen bewegen, weil diese auf eine unglaublich detaillierte Weise gestaltet sind. Sie sind das Gegenteil von unpersönlich.

Deutschlands Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen, aber auch die FDP in Sachsen-Anhalt und manche Journalisten sehen im Bauhaus-Antrag der AfD Parallelen zum Nationalsozialismus. Sie auch?

Die AfD holt leider selbst das Wording von damals in die Gegenwart. Die bereits erwähnte angebliche Menschenfeindlichkeit haben auch die Nazis schon angeprangert. Ich bin allerdings gespannt, ob die AfD mit diesem Bogen zurück in die Vergangenheit Stimmen holen wird. Das Bauhaus hat inzwischen viel mehr Unterstützerinnen und Unterstützer als damals. Was uns natürlich freut! Und manchen von ihnen ist nicht bewusst, dass sie den Wegbereitern des Bauhauses einiges verdanken.

Woran denken Sie?

Herr Kirchner (der AfD-Fraktions-Vorsitzende aus Sachsen-Anhalt, Anm. d. Red.) sagte nun, er sei ein Fan des Jugendstils. Walter Gropius folgte Henry van de Velde in Weimar nach. Das Bauhaus war in den Anfängen sehr stark mit diesen und ähnlichen Reformbewegungen verknüpft. Herrn Kirchner ist wohl nicht klar, dass er mit dem Jugendstil eine Vorliebe hegt, die direkt zum Bauhaus führt.

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