Dienstag, Oktober 1

Die Stadt reisst derzeit ganze Strassenzüge auf. Nun fordern Gewerbler Schadenersatz.

Es ist eine Sisyphosaufgabe. Immer wenn Luca Messina die Tische auf der Terrasse seines Lokals geputzt hat, legt sich wieder eine Staubschicht auf die Gedecke. Der Wirt und Besitzer der Enoteca Riviera an der Dufourstrasse in Zürich kann gleich wieder von vorne anfangen.

Seit Februar werden bei Messina im Quartier Seefeld wie in der ganzen Stadt Strassen aufgerissen. Die Stadt ersetzt alte Werkleitungen und verlegt Fernwärmeleitungen. Für ihr Ziel der Klimaneutralität bis im Jahr 2040 ersetzt die Stadt über 500 fossile Heizungen in städtischen Gebäuden. Messinas Restaurant und Weinhandlung liegt direkt neben einer Baustelle. Die Bautätigkeit wird noch bis Ende Oktober dauern.

Der Mittagsservice sei eine Katastrophe, erzählt der Wirt. Wenn die Bagger nebenan um 13 Uhr krachend loslegten, halte es niemand auf seiner Terrasse aus. «Dann trinkt keiner mehr einen Espresso. Die Gäste zahlen und eilen davon.»

Auch die Zufahrt mit dem Auto gleicht einem Hindernisparcours, wie Messina sagt. Derzeit führe nur noch ein Weg zu seinem Lokal, und dieser sei erst noch eine Einbahnstrasse. Messina schätzt, dass es wegen der Baustellen im Seefeld rund 80 Prozent weniger Parkplätze habe. «Bei uns kaufen auch Leute von ausserhalb der Stadt ihren Wein ein, darum sind die Parkplätze wichtig.»

Die Bauarbeiten schlagen sich bei dem Gewerbler auf die Geschäftszahlen nieder. In den letzten Monaten sei der Umsatz im Schnitt um 40 Prozent zurückgegangen.

Die Situation gehe ihm an die Reserven. Im März habe er deswegen schweren Herzens auch schon jemanden entlassen müssen. Die Lage sei schlimmer als jene während der Pandemie, wo es immerhin Unterstützung gegeben habe. Sein Antrag auf Kurzarbeit sei abgelehnt worden, sagt er. Baustellen gälten als unternehmerisches Risiko, sei ihm beschieden worden.

Im Herbst folgt der Ausnahmezustand wegen der Rad-WM

Messina hat sich Lösungen überlegt, etwa ob er den Kunden die Billette erstatten soll, wenn sie das Auto im nahen Opéra-Parking abstellen und mit dem Tram zu ihm fahren. Auch dachte er darüber nach, jemanden anzustellen, der den Gästen das Auto parkiert. Sogar einen Shuttleservice habe er ins Auge gefasst. «Am Ende geht das alles nicht auf, ich hole die Kosten nicht heraus.»

Bleibt der Gang zur Stadt und die Forderung nach Schadenersatz. «Wir führen schon jetzt permanent ein Lärmprotokoll und fotografieren Auffälligkeiten», sagt der Wirt. Derzeit kläre er mit seiner Verwaltung ab, wer deswegen beim Tiefbauamt vorstellig werden solle. Messina ist nicht Besitzer, sondern lediglich Mieter der Liegenschaft.

Die Enoteca Riviera ist nicht der einzige Betrieb in Nöten. So klagte jüngst auch der Betreiber der Bäckerei Oskar Kuhn in den Tamedia-Zeitungen über Umsatzeinbussen von bis zu 50 Prozent. Seit im April vor seinem Laden an der Badenerstrasse die Bagger aufgefahren seien, fehle ihm die Laufkundschaft, sagt Fatmir Guci, der das Geschäft 2009 von Oski Kuhn übernommen hat. Er habe bereits seinen beiden Mitarbeitern kündigen müssen, alle Reserven seien aufgebraucht.

Die Quartierbevölkerung engagiert sich bereits für den Erhalt der Bäckerei. So kursiert ein Flugblatt, auf dem es heisst: «Jetzt Oski retten? Wähen*kaufen!!!» Guci berichtete denn auch, dass die mediale Aufmerksamkeit geholfen habe, der Betrieb sei nun wieder etwas besser gelaufen. Überwunden seien die Probleme damit aber noch nicht. Schliesslich dauern die Bauarbeiten vor seiner Bäckerei laut den Plänen der Stadt noch bis kommenden Mai.

Stadt Zürich sieht wenig Chancen auf Schadenersatz

Schadenersatz zu bekommen, ist für die Betroffenen aber schwierig. Das Zürcher Tiefbauamt sagt auf Anfrage der NZZ, Gewerbetreibende müssten damit rechnen, dass die öffentliche Infrastruktur vor ihrem Geschäft irgendwann saniert werde. Sie würden von intakter Strom- und Wasserzufuhr und der funktionierenden Kanalisation und der Verkehrsinfrastruktur profitieren, sagt ein Sprecher.

Die Rechtsprechung bezüglich Schadenersatz wegen vorübergehender Bauimmissionen sei streng. Eine Entschädigungspflicht des Gemeinwesens gebe es nur dann, wenn eine Übermässigkeit der Bauimmissionen und ein beträchtlicher Schaden gegeben seien.

Drei Faktoren sind für eine Schadenersatzpflicht entscheidend, wie Urteile aus der Vergangenheit zeigen: Zum einen die Dauer. Der Richtwert liegt bei über einem halben Jahr. Zum andern die Intensität der Immissionen sowie die Umsatzeinbusse. Hier beträgt der Richtwert 20 bis 30 Prozent.

Den Rechtsweg zu beschreiten, führt nicht zwingend zum Erfolg, wie ein Beispiel zeigt: Anfang Jahr wurde der «Zopf-Beck» Reto Hausammann ebenfalls wegen einer Baustelle vor seiner Bäckerei im Kreis 6 mit einer Schadenersatzforderung von 170 000 Franken bei der Stadt vorstellig. Das Verwaltungsgericht wies die Forderung ab. Hausammann hat aber noch nicht aufgegeben und ist nun vor Bundesgericht gezogen, wie die Tamedia-Zeitungen jüngst berichteten.

Ob nun Messina selber als Mieter oder an seiner Stelle der Eigentümer von der Stadt Schadenersatz fordert, spielt laut Tiefbauamt keine Rolle. Die Forderung nach Schadenersatz könne jede Person stellen, die einen finanziellen Schaden habe. Häufig seien es gerade die Mieter, welche die Umsatzeinbussen zu spüren bekämen.

Die FDP fordert Subventionen

Unterstützung könnten die gebeutelten Unternehmerinnen und Unternehmer nun von der FDP erhalten. Die Partei will nach den Sommerferien eine Motion im Stadtzürcher Parlament einreichen, die fordert, betroffene Gewerbler sollen Geld von der Stadt erhalten. «Wenn der Staat mit seinen Arbeiten die Umsatzeinbussen verursacht, dann sollte er dafür auch eine Entschädigung bezahlen», findet Përparim Avdili, Präsident der Stadtzürcher FDP.

Wer wie entschädigt werden soll, ist noch nicht klar definiert. «Es darf bei diesen Subventionen sicher keinen Wildwuchs geben», sagt Avdili. Schliesslich sind die Freisinnigen sonst ja zurückhaltend mit staatlichen Subventionen.

Die Kriterien für die Unterstützung sollen deshalb eng gefasst werden: Die Entschädigung soll nur an kleine Unternehmen bis maximal 50 Mitarbeitende ausgerichtet werden, die auf Laufkundschaft angewiesen sind. Die Umsatzeinbussen müssen klar ausgewiesen werden. Zudem soll nur ein Teil der Einbusse ausgeglichen werden. Ein gewisses unternehmerisches Risiko gehöre dazu, wenn man ein Geschäft betreibe, sagt Avdili.

Auf der Online-Plattform tsri.ch hat auch die SP Sympathien für solche Unterstützungszahlungen signalisiert. Die FDP plant derzeit jedoch nicht, den Vorstoss gemeinsam mit einer anderen Partei einzureichen. «Aber alle Parteien sind natürlich eingeladen, unseren Vorstoss zu unterstützen», sagt Avdili.

Selbst wenn die FDP mit ihrem Vorhaben erfolgreich sein sollte, wird es noch eine Weile dauern, bis die Sache umgesetzt ist. Für den Wirt und Weinhändler Messina wird die Hilfe zu spät kommen. Und auf ihn rollt bereits das nächste Problem zu: Im September findet in Zürich die Rad-WM statt. Dann wird das Seefeld während einer Woche von 5 Uhr bis 19 Uhr für Lieferanten und Kunden, die per Auto anfahren, abgeschnitten sein. «Ich überlege mir, ob ich dann überhaupt geöffnet haben werde», sagt Messina.

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