Der Baske könnte bei Real Madrid die Nachfolge von Carlo Ancelotti antreten. Leverkusen geht einer ungewissen Zeit entgegen.
Für den Fall der Fälle vorzubauen – das ist es, was einen klugen Strategen im Mittelfeld auszeichnet. «Egal was passiert, wir hatten eine schöne Zeit», sagte Granit Xhaka, Leverkusens Leader.
Diese Worte, die einen Abschied vorwegnehmen, ihn aber nicht als unausweichlich darstellen, galten dem Leverkusener Trainer Xabi Alonso. Xhaka sagte diese Sätze nach dem 2:2, das Leverkusen am vergangenen Sonntag in Freiburg erreichte, zwei Spieltage vor dem Saisonende. Der Schweizer sagte auch, dass der Trainer auf gar keinen Fall den Eindruck erwecke, dass er gehen wolle. So wie es Profis eben handhaben.
Bedeuten muss dies nicht viel. Denn Alonso, dem nachgesagt wird, zu Real Madrid wechseln zu wollen, ist ein begnadetes Pokerface. Zudem ist er ein äusserst seriöser Trainer. Alles andere als Einsatz bis zum allerletzten Augenblick ist bei einem Coach wie ihm partout nicht vorstellbar. Und Verhandlungen lassen sich auch noch nach der Saison bequem führen.
Alonso übertraf alle Erwartungen
Gewiss lässt sich trefflich darüber diskutieren, ob der Zeitpunkt, bei Real zu unterschreiben, der bestmögliche ist für Alonso. Das Team steht längst nicht mehr im Zenit; die Demontage durch Arsenal im Viertelfinal der Champions League war mehr eine Demütigung als ein gewöhnliches Ausscheiden. Nur sind die Erwartungen zu jedem Zeitpunkt an jeden Trainer gewaltig gross in Madrid, wo im Prinzip alles andere als ein Champions-League-Sieg eine Enttäuschung ist.
In Leverkusen war selbst den grössten Fussball-Romantikern klar, dass die Verweildauer des Trainers nach der spektakulären vergangenen Saison überschaubar sein würde. Nicht wenige rechneten bereits im vergangenen Sommer mit einem Abgang des Basken. Da Alonso damals blieb, kann es nun nicht überraschen, dass ein Wechsel näher rückt. Seine Karriere als Trainer hat er bisher äusserst sorgsam geplant. Dass Leverkusen Meister wurde, indem kein einziges Bundesligaspiel verloren wurde und zudem der DFB-Cup gewonnen wurde, dürfte auch seine Erwartungen weit übertroffen haben.
Der Entscheidung, ein zweites Jahr in Leverkusen zuzubringen, dürften keineswegs sentimentale, sondern durch und durch rationale Erwägungen vorausgegangen sein: Als Trainer zum ersten Mal die Gelegenheit zu haben, mit einem Team in der Champions League zu spielen und dabei, anders als in Madrid, nicht den Druck zu verspüren, mindestens den Final zu erreichen, wenn nicht gar den Titel zu gewinnen – genau das garantierte ihm das Leverkusener Milieu. Nicht nur, aber auch aus Dankbarkeit dafür, dass er die unscheinbare Stadt vor den Toren Kölns vom ewig scheinenden Fluch der Titellosigkeit erlöste.
Kredit beim Klub und beim Anhang hat er noch immer. Auch wenn nach dem klaren Ausscheiden gegen den FC Bayern in der Champions League erstmals so etwas wie Kritik am Meistertrainer der vergangenen Saison aufkam. Denn plötzlich wirkte der Mann, dessen Fussball für die Konkurrenten ein Buch mit sieben Siegeln war, dechiffrierbar: Die gleiche Mannschaft, die noch kurz zuvor beim 0:0 in Leverkusen chancenlos war und den Bundesliga-Match eigentlich hoch hätte verlieren müssen, beherrschte den Gegner in beiden Achtelfinalspielen nach Belieben. Fanden sich zuvor noch viele Verteidiger des Trainers, die darauf verwiesen, dass es im Jahr zuvor aussergewöhnlich gut gelaufen sei, so schwand nun der Zuspruch.
Unberechtigt war die Kritik keineswegs. Die Bayern, der grosse Konkurrent, starteten mit Vincent Kompany, einem neuen, unerfahrenen Trainer, in die Saison, zudem hatte der Verein turbulente Zeiten hinter sich. Leverkusen hingegen wirkte stabiler, und nachdem die Mannschaft bescheiden in die Saison gestartet war, legte sie im Winter eine bemerkenswerte Serie hin, als sie elf Spiele nacheinander gewann.
Doch in jenem Augenblick, als die Favoritenrolle wechselte, geriet Leverkusen ins Straucheln, gab Spiele aus der Hand, verlor bei Aussenseitern. Was Leverkusen fehlte: die Überzeugung, ein Spiel noch in den letzten Minuten entscheiden zu können, wie sie im Meisterjahr noch ausgeprägt vorhanden war. In Freiburg gelang es immerhin, eine Niederlage abzuwenden. Doch das Team hatte die alten Qualitäten zu spät wiederentdeckt.
Schwebte die Equipe im Jahr zuvor samt ihrem Trainer über der Konkurrenz, so erweckte sie in diesem Jahr den Eindruck, Angst vor der eigenen Courage zu haben. Dass der zweite Platz, auf den Leverkusen zusteuert, ein immer noch respektables Ergebnis ist, vermag über diese Erkenntnis nicht hinwegzutrösten. Granit Xhaka hat es auf einen Nenner gebracht: Ganz gleich, wie lange der Trainer noch im Klub verweilen wird – Leverkusen und Xabi Alonso hatten ihre Zeit.
Der Abwehrchef Tah verlässt den Klub
Das liegt auch an den Umständen. Die Zukunft von Florian Wirtz ist ungewiss, ebenso jene von Robert Andrich. Dazu wird Jonathan Tah, der Abwehrstratege, den Klub verlassen. Keine idealen Voraussetzungen für einen ambitionierten Coach, der nach höchsten Weihen strebt.
Und so dürften sich jene Prognosen bewahrheiten, die Leverkusen einst voraussagten, dass das Jahr des Double-Gewinns eine Ausnahme für den Werksklub bleiben werde. Und unabhängig davon, wer Xabi Alonso nachfolgen wird – der Niederländer Erik ten Hag gilt offenbar als einer der aussichtsreichsten Kandidaten –, gilt: Der neue Coach wird sich zumindest nicht am absurd hohen Massstab der Rekordsaison im vergangenen Jahr messen lassen müssen.